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Gesundheit: Lange Leitung

Wie die 1200 Kilometer der Ostsee-Pipeline verlegt werden sollen

Vier Jahre dauert es noch, bis Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ungestraft eine „lange Leitung“ nachgesagt werden kann. Von 2010 an soll nämlich eine 1187 Kilometer lange Pipeline quer durch die Ostsee jedes Jahr 27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus dem Nordwesten Sibiriens in Richtung Schweden und Deutschland pressen. Das entspricht ungefähr einem Viertel des deutschen Erdgasverbrauchs, der 2002 bei 101 Milliarden Kubikmeter lag. Höchstpersönlich hat der damalige Bundeskanzler den Bau dieser Nord-Europa-Gas-Pipeline (NEGP) durch die Ostsee mit Russland ausgehandelt. Nach der Amtsübergabe wechselte er in den Aufsichtsrat des vier Milliarden Euro schweren Pipeline-Projekts, das zu 51 Prozent von der russischen Staatsfirma Gazprom durchgeführt wird. Den Rest teilen sich die deutschen Gasversorger Wintershall und E.on Ruhrgas.

Bevor aber 2010 die erste von zwei Pipelines mit gemeinsam 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas-Jahres-Transport in Betrieb gehen soll, müssen die Ingenieure noch tüchtig ran. Mit 1,3 Millionen Tonnen soll schließlich die Jahresproduktion eines großen Stahlrohrwerkes in der Ostsee versenkt werden. Knapp 100 000 zwölf Meter lange Rohre sollen bis in rund 200 Meter Wassertiefe in den Grund der Ostsee vergraben werden, ohne dass die Umwelt allzu sehr darunter leidet. Zur- zeit planen die Ingenieure noch. Anschließend werden das Bergamt in Stralsund und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg (BSH) die Pläne für die deutschen Gewässer prüfen. Wenn auch die jeweiligen Prüfungen in Dänemark, Schweden, Finnland und Russland positiv ausfallen, soll von 2008 an der Bau beginnen.

Dann werden Spezialschiffe in der Ostsee fahren, die 300 Meter lang sein können. Sie haben 22 000 Tonnen Stahlrohre geladen, deren Wände rund vier Zentimeter dick sind. Noch an Bord werden die Rohre mit einem Innendurchmesser von 120 Zentimetern miteinander verschweißt. Vor dem Versenken im Meer wird jede Schweißnaht mit Ultraschall durchleuchtet, das schiffseigene Labor wertet die Ergebnisse aus. Nur wenn die Schweißnaht absolut dicht ist, halten die Rohre schließlich das 220-fache des Luftdruckes auf Höhe des Meeresspiegels aus. Dieser Druck wiederum ist nötig, um das Gas ohne weitere Verdichterstationen 1200 Kilometer weit von Russland bis nach Greifswald in Vorpommern zu pressen (siehe Kasten).

Schon bei der Herstellung der Stahlrohre achten die Ingenieure daher auf höchste Qualität. Zusätze der Metalle Molybdän, Niob und Titan sowie spezielle Walztechniken, bei denen die Temperaturen extrem genau kontrolliert werden, machen diese mächtigen Stahlrohre besonders widerstandsfähig. Eine etliche Zentimeter dicke Betonhülle schützt den Stahl obendrein vor Korrosion durch das Brackwasser der Ostsee, aber auch vor Gewalteinwirkungen wie den Anker eines Supertankers, der zufällig auf die Pipeline donnern könnte. Um dieses Risiko so gering wie möglich zu halten, achten das Bergamt Stralsund und das BSH pingelig genau darauf, dass die Trasse der Pipeline nicht in den Schifffahrtsrouten verläuft, sondern parallel dazu. Muss die Fahrtrinne doch einmal gekreuzt werden, dann bitte rechtwinklig und damit auf möglichst kurzer Strecke.

Ist mit der verschweißten Stahlröhre im Betonmantel alles klar, wird sie in die Ostsee gesenkt. Ein Kran lässt das Ungetüm aus der Waagrechten in einem weiten Bogen nach unten gleiten, bevor die Pipeline wieder in die Horizontale schwenkt und auf dem Boden der Ostsee abgelegt wird.

Dort bleibt sie aber nicht etwa einfach liegen. Ist der Untergrund sehr hart oder gar felsig, aber auch im Bereich von Schifffahrtsstraßen, wird die einbetonierte Pipeline zusätzlich mit einem dicken Mantel aus Steinen eingehüllt, die vom Festland mitgebracht werden und zusätzlichen Schutz bieten. Ist der Untergrund weicher, gräbt ein Unterwasserpflug eine tiefe Rinne in den Boden, in der die Pipeline versenkt wird. Alternativ kann auch eine Art Unterwasser-Wasserstrahlwerfer einen solchen Graben frei spülen, in den sich die Beton-ummantelten Stahlrohre absenken. Anschließend wirft die Maschine und die Meeresströmung das vorher entfernte Sediment wieder auf die Pipeline, bis ein guter Meter Boden über dem Betonmantel zusätzlichen Schutz bietet.

Unmittelbar nach dem Verlegen drücken die Ingenieure Seewasser mit gewaltigem Druck in die Pipeline, um den neuen Abschnitt auf Dichtigkeit zu prüfen. Kaum zu glauben, dass auf diese Weise ein Schiff jeden Tag vier Kilometer Pipeline in der Ostsee versenken kann. Für Naturschützer ist dieses hohe Tempo ein relativ gutes Zeichen. Bedeutet es doch, dass der Baulärm die Ostseebewohner nur ein paar Stunden wirklich belästigt. Danach stört die Pipeline ohnehin niemand mehr.

Allerdings queren die Stahlrohre einige Meeresschutzgebiete, zum Beispiel Teile des Greifswalder Boddens, der unter Naturschutz steht. Beim Bau werden die Organismen im Boden unter den Stahlrohren natürlich zerstört oder zumindest verwirbelt. Ist die Pipeline erst einmal verlegt, halten aber auch Naturschützer mögliche Gefahren für recht gering. Würden gleiche Mengen fossiler Brennstoffe zum Beispiel über die Ostsee verschifft, wäre die Unfallgefahr wohl deutlich höher.

Zumindest der grobe Verlauf der langen Gasleitung ist bereits bekannt. Nahe der finnischen Grenze wird die Pipeline durch die Portowaja-Bucht in die Ostsee geführt und läuft von dort parallel zur finnischen Küste nach Westen. Am Ende dieses Meeresarms schwenkt die Pipeline nach Süden und führt an den Ostküsten der schwedischen Insel Gotland und der dänischen Insel Bornholm vorbei in Richtung Deutschland. Eine 212 Kilometer lange Abzweigung soll nördlich Gotlands die Küsten Skandinaviens erreichen. Und wenn alles klappt, überlegen die Betreiber, später eine zweite, gleich große Pipeline parallel zu den ersten Röhren zu verlegen.

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