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Gesundheit: Lob der Physik

Ungeliebte Fächer: Experten appellieren an Schulen, Eltern und Unis

Wie können Jugendliche besser dafür motiviert werden, eine Naturwissenschaft zu studieren oder Ingenieur zu werden? Eine Frage, die seit langem diskutiert wird. Schließlich fehlen laut Studien in Deutschland jährlich etwa 15 000 bis 20 000 Absolventen in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen. Vor einem Fachkräftemangel warnte erst vor kurzem wieder Bundesbildungsministerin Annette Schavan – einen Mangel, den sich Deutschland in „wirtschaftlich hochsensiblen“ Bereich einfach nicht leisten könne.

Liegt die Verantwortung für das mangelnde Interesse vor allem bei den Schulen? Oft schaffen es die Lehrer nicht, ihre Schüler für Fächer wie Chemie, Physik oder Mathematik zu begeistern, sagt Thomas Christaller, Leiter des Fraunhofer-Institutes für Autonome Intelligente Systeme in Karlsruhe. Die Entscheidung darüber, was die Abiturienten studieren wollen, falle spätestens in der Pubertät, erklärte Christaller jetzt auf einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung zu dem Thema „Nachwuchsförderung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften“. Viel zu selten machten sich Lehrer die „emotionale Beziehung von Kindern zu Robotern“ zunutze. Kinder begeistern sich nicht nur für Roboterhunde und Tamagotchis, sondern haben auch Spaß daran, komplexere technische Systeme aufzubauen.

Lehrplanexperten hätten zudem „völlig abwegige“ Vorstellungen davon, was Jugendliche überhaupt lernen könnten, pflichtete ihm Sybille Volkholz bei, die ehemalige Berliner Schulsenatorin. Statt sich an deren Lebenswelten und Bedürfnissen zu orientieren, richteten sich die Lehrpläne nach einem längst überholten Bildungskanon aus, der die Schüler überfordere. Eine Art „antiökonomischer Reflex im Bildungssystem“ verhindere zudem, dass sich Lehrpläne stärker an zukunftsrelevanten Themen ausrichteten. Christaller fordert, dass fächerübergreifende, experimentelle Unterrichtseinheiten in die Lehrpläne eingebaut werden.

Nicht nur die Schulen, auch die Eltern seien vielmehr in der Pflicht, sagte Krista Sager, die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Die würden oft noch immer eine gute Note in Fächern wie Englisch für wertvoller halten als eine gute Zensur in Physik. Dies gelte vor allem bei Mädchen, die sich besonders selten für ein naturwissenschaftliches oder gar ingenieurwissenschaftliches Studium entscheiden. Womöglich liegt das auch daran, dass die Fächer noch immer als Männerdomäne gelten, in denen Frauen eigentlich nichts verloren haben. Das Berufsbild „Ingenieur“ sei eindeutig männlich besetzt – zu Unrecht, sagte Burghilde Wieneke-Toutaoui, Vizepräsidentin der Technischen Fachhochschule in Berlin.

Eine Lösung könnten spezielle Studiengänge nur für Frauen sein. Die Fachhochschule Wilhelmshaven hat damit im Fach Wirtschaftsingenieurwesen gute Erfahrungen gemacht, berichtete Carmen Gransee von der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaft. Die Zahlen seien beeindruckend: Nicht nur der reine Frauenstudiengang wurde sehr gut angenommen; auch im parallel angebotenen Studiengang für Männer und Frauen stieg der Frauenanteil von knapp acht auf über dreißig Prozent. Scheinbar habe ein „Zugpferd“ gereicht, um mehr Frauen für das Fach zu begeistern. Um das Image der Ingenieurwissenschaften zu modernisieren, empfiehlt sie gezielte Kampagnen, die Inhalte und Nutzen nach vorne stellen. Aus „reiner Technikbegeisterung“ fingen junge Frauen kein Studium an – anders als die männlichen Altersgenossen. Vergleichsweise großen Zuspruch verzeichneten dagegen alle Studiengänge, die den Zusatz „Umwelt“ im Namen tragen.

Elke Kimmel

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