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Gesundheit: Lobby erfolgreich, Reform tot

Die künftige Approbationsordnung wird am Medizinstudium wenig ändernVON ROSEMARIE STEIN"Die Reform ist tot.Eine grundlegend modernisierte ärztliche Ausbildung wird es nicht geben", sagt Dieter Scheffner.

Die künftige Approbationsordnung wird am Medizinstudium wenig ändernVON ROSEMARIE STEIN"Die Reform ist tot.Eine grundlegend modernisierte ärztliche Ausbildung wird es nicht geben", sagt Dieter Scheffner.Der frühere Dekan des Virchow-Klinikums muß es wissen.Die von ihm geleitete "Arbeitsgruppe Reformstudiengang Medizin" wartet seit Jahren auf die rechtliche Möglichkeit, das fertig ausgearbeitete Modell-Curriculum zu starten.Aber die neue ärztliche Approbationsordnung (sprich: Ausbildungsordnung), die den reformwilligen Studenten und Hochschullehrern grünes Licht gegeben hätte, ist zerredet und zerpflückt worden.Dafür haben die verschiedenen Interessengruppen gesorgt, an der Spitze der Deutsche Medizinische Fakultätentag. Ganze Generationen von Medizinstudenten haben sich für die Studienreform ebenso vergeblich ins Zeug gelegt wie diverse Gremien, von der Bundesärztekammer bis zum Wissenschaftsrat.Der hatte 1988 in seinen Empfehlungen zur Verbesserung der Medizinerausbildung festgestellt, "daß derzeit nicht einmal mehr der Anschein aufrechterhalten werden kann, die Fakultäten würden eine angemessene, den gesetzlichen Anforderungen genügende ärztliche Ausbildung vermitteln". Das Medizinstudium soll die Absolventen zu wissenschaftlichem Denken und ärztlichem Handeln sowie zu lebenslanger Fortbildung befähigen.Der Erwerb von Spezialkenntnissen nach Abschluß des Studiums ist dann Sache der Weiterbildung zum Facharzt.Die Realität sieht anders aus.Die wichtigsten der seit Jahrzehnten vorgetragenen Kritikpunkte: Die künftigen Ärzte werden von Spezialisten in mehr als vierzig Disziplinen ausgebildet.Sie müssen sich Unmengen rasch veraltenden und nach dem Examen schnell wieder vergessenen Stoffs eintrichtern.Frühestens im dritten Studienjahr bekommen sie die ersten Patienten zu sehen, meist nur jene "schwierigen Fälle", die in Universitätskliniken landen, weniger als ein Prozent.Die Unikliniken sind zu hochspezialisierten Zentren der Krankenversorgung geworden, also kaum geeignet, die angehenden Ärzte auf ihren späteren Alltag vorzubereiten. Wie man die Studierenden näher an die Realität der Patientenbedürfnisse und der täglichen ärztlichen Aufgaben heranführt, darüber ist man sich international weitgehend einig.Am ausführlichsten ist das nachzulesen im Abschlußbericht des Arbeitskreises Medizinerausbildung der Robert Bosch-Stiftung (Murrhardter Kreis): "Das Arztbild der Zukunft - Analysen künftiger Anforderungen an den Arzt - Konsequenzen für die Ausbildung und Wege zu ihrer Reform" (Bleicher-Verlag Gerlingen, 1995).Über den Stand der Ausbildungsforschung und Reformdiskussion herrscht jedoch in der deutschen Hochschulmedizin weitgehende Ignoranz.Das Konzept für eine inhaltlich wie didaktisch grundlegende Studienreform basiert aber auf langjährigen ausländischen Erfahrungen.Danach ist die heutige Trennung zwischen grundlagenwissenschaftlicher ("vorklinischer") und darauf folgender medizinischer ("klinischer") Ausbildung aufzuheben.Die Studieninhalte haben sich mehr als bisher an den jetzt dominierenden Aufgaben des Arztes zu orientieren, zum Beispiel Beratung der vielen Patienten mit chronischen Krankheiten und Altersleiden.Leitbild ist nicht der Subspezialist, sondern der wissenschaftlich geschulte, selbständig denkende und handelnde Hausarzt, der auch die psychische und soziale Situation des Kranken sieht und mit ihm zu reden versteht.Die vielen medizinischen Disziplinen sind durch fächerübergreifenden Unterricht zu integrieren, in dem das jeweilige Problemfeld im Zentrum steht und nicht ein einzelnes Fach.Neue aktive Lernformen sollen das Stoffpauken und die Passivität des Frontalunterrichts ablösen. Eine solche grundlegende Reform der ärztlichen Ausbildung hatte schon 1986 der Bundesrat gefordert und entsprechende Vorgaben gemacht.Annähernd erfüllt sind sie in dem Konzept, das die vom Bundesgesundheitsministerium berufene "Sachverständigengruppe zu Fragen der Neuordnung des Medizinstudiums" 1993 vorlegte.Zwei Jahre später machte der erste Diskussionsentwurf einer neuen Approbationsordnung dann schon Abstriche, denn der dafür verantwortlichen Bund-Länder-Arbeitsgruppe gehörten Vertreter sämtlicher Interessengruppen an, auch der Professoren, denen man nachsagt, sie seien an der Lehre weit weniger interessiert als an Krankenversorgung und Forschung. Zu diesem Kompromißpapier äußerten sich seither alle betroffenen Verbände und Organisationen und schlugen auch Änderungen vor.Nur der Deutsche Medizinische Fakultätentag lehnte es völlig ab (obgleich daran beteiligt) und stellte ihm Ende 1996 eigene Leitlinien gegenüber.Sie fanden vielstimmigen Widerspruch, weil sie im Grunde den Status quo zementierten. Harald Mau, Charité-Dekan der Aufbauzeit, verließ aus Protest das Präsidium des Fakultätentages.Zum Tagesspiegel sagte er: "Der Fakultätentag stellt sich jeder wesentlichen Änderung entgegen - unter dem dominierenden Einfluß der Vertreter der theoretischen Medizin." Die nämlich sehen ihre eingezäunten Domänen in Gefahr, wenn die vorklinische in die klinische Ausbildung integriert wird. Die besonders harte Kritik der Experten hinderte das Gesundheitsministerium nicht, vor dem Fakultätentag zurückzuweichen.In das neue, "heute konsensfähige Eckpunkte-Papier" schrieb der Fakultätentag nun Varianten hinein.Damit geht es "weit hinter alle Reformgedanken zurück und schreibt lediglich die derzeitige Medizinerausildung fest", konstatierte der "Marburger Bund" der angestellten Ärzte.Der diesjährige Deutsche Ärztetag beschwor die Fakultätenvertreter vergebens, die "dringend notwendige" Ausbildungsreform nicht "durch Rückkehr zu alten Strukturen" zu blockieren. Auch die Reste der geplanten umfassenden Reform werden nun auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunterdiskutiert werden.) Die Praxisferne des Medizinstudiums will der Fakultätentag durch eine Verdoppelung des angehängten Praktischen Jahres korrigieren.Die Bund-Länder-Kommission wird ihr vom Fakultätentag entstelltes Eckpunkte-Papier zur Basis des Referenten-Entwurfs für eine nur novellierte Approbationsordnung machen, der im Herbst erneut bei den Interessengruppen zirkulieren wird. Verbindlich wird nach Scheffners Einschätzung nur eine Rest-Reform: die stupiden Multiple Choice-Tests sollen nur die Hälfte der Prüfungen füllen; das mittlere der bisherigen drei Staatsexamen soll den Hochschulen anvertraut werden.Alle anderen Innovationen werden freiwillig sein.Eine "Modellstudiengang-Regelung" (Experimentierklausel) soll endlich wissenschaftlich begleitete Versuche mit modernen Formen der Ärzteausbildung ermöglichen, Versuche, die überall sonst in der wissenschaftlichen Medizin als unerläßlich gelten. Aber das ist zu wenig.Die Fakultäten erhalten mehr Freiheiten, um das Studium zu reformieren - oder es zu lassen.Da die meisten von ihnen auch die jetzt schon vorhandenen Spielräume nicht genutzt haben, wird wohl im wesentlichen alles beim alten bleiben.

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