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Gesundheit: Loch im Kopf

Der Arzt und sein Knochenbohrer – eine Ausstellung zur Geschichte der Schädeloperation

So einfühlsam konnten die alte Chirurgen sein: Vor einer Schädeloperation solle man dem Patienten keinesfalls die Instrumente zeigen, sondern sie lieber in einem Nebenraum bereithalten, heißt es in historischen Lehrbüchern. Ein kluger Rat. Im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt ging sogar ein – männlicher – Journalist zu Boden, als er die Bohrer, Messer und Sägen nur still in den Vitrinen ruhen sah.

Jetzt hat das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité die Ingolstädter Ausstellung „Loch im Kopf – Zur Geschichte der Schädeltrepanation“ übernommen. Sie wird ergänzt um Objekte aus dem eigenen Haus, dem Institut für Anthropologie und der Sammlung des Berliner Veterinärmediziners Helmut Wentges, denn auch Tiere wurden Eingriffen am Kopf unterzogen. Opfer einer Pferdekur war auch ein kopfverletzter armer Ritter, wie der Flügelaltar von Tuntenhausen bei Ingolstadt zeigt. Auf den Seitenflügeln wird er immer wieder von Chirurgen, Scharlatanen und Schmieden mit Zangen und Sägen traktiert. Vergeblich. Heilung bringt, auf dem Mittelflügel, erst die Madonna.

Die wirklich verwendeten Knochenbohrer, die Trepane, aber kann man hier in ihren verschiedenen, immer mehr verbesserten Varianten als Meisterwerke der Feinmechanik bewundern. Ebenso die anderen Instrumente, darunter sogar eine kleine Kettensäge. Keine Folterinstrumente, betonte Christa Habrich, Direktorin des Ingolstädter Museums, bei der Eröffnung in Berlin. „Die guten Chirurgen waren keineswegs Haudegen. Sie gingen sehr behutsam vor und operierten nur, wenn alle anderen Maßnahmen versagten."

In den Lehrbüchern, von denen einige hier ausgestellt sind, finden sich genaue Anweisungen zur möglichst schonenden Behandlung der Patienten. Bereits in den Hippokratischen Schriften wird zum Beispiel empfohlen, den Bohrer zwischendurch öfter zu kühlen. „Schlafschwämme“, getränkt mit schmerzstillenden und betäubenden Auszügen von Schierling, Alraune oder Schlafmohn, sollten die Eingriffe erträglicher machen, rieten im 11. Jahrhundert die Ärzte der Schule von Salerno.

Ran an die Schusswunde

Behandelt wurden im Wesentlichen nur Kopfverletzungen wie Schädelbrüche, Hieb- oder Schusswunden. Die Knochenfragmente wurden vorsichtig aus der Wunde entfernt, und nach der Operation reinigte man sie, etwa mit Essig oder heißem Öl. Antibiotika gab es ja noch nicht. Dennoch hätten im Durchschnitt 70 Prozent der Trepanierten überlebt, berichtet Christa Habrich. In vorgeschichtlicher Zeit dürften es sogar 90 Prozent gewesen sein.

Vielleicht, weil man da nicht Schwerverletzte, sondern Gesunde so behandelte wie heute noch bei Naturvölkern? Man nimmt an, dass die Trepanation ursprünglich – wie die Akupunktur – rituellen Charakter hatte. Sie ist der älteste chirurgische Eingriff und lässt sich auf allen Kontinenten nachweisen. Im Neolithikum war das „Loch im Kopf“ übrigens kein Bohrloch, sondern wurde mit Steinmessern und -beilchen geschabt.

Neben der rituellen und der chirurgischen gab es bis in die jüngste Zeit auch eine psychotherapeutische Indikation. Wenn der Patient Glück hatte, wurde er dabei nur zum Schein operiert.

Eine solche Scheintrepanation zeigt ein englisches Ölbildchen aus dem 18. Jahrhundert. Der Patient liegt nicht, wie sonst üblich, und wird auch nicht festgehalten. Er sitzt stattdessen mit geschlossenen Augen auf einem Stuhl, den Trepan auf dem Kopf und die entspannt wirkenden Ärzte um ihn herumstehend.

Die Placebo-Wirkung solcher Scheinoperationen machten sich vor allem Scharlatane zunutze. „Kommen Sie mal mit auf die Damentoilette, auch die Herren", sagt Christa Habrich. Dort hängt im Vorraum die Reproduktion eines satirischen Stiches von Pieter Breughel: „Das Narrenschneiden“ von 1557. Da werden den Patienten scheinbar Steine – und damit das krank machende Böse – aus dem Kopf geschnitten.

Bis zum Exzess betrieben im 18. Jahrhundert besonders französische Ärzte die keineswegs nur scheinbare Trepanation – nur zur Vorbeugung von Hirnkrankheiten! Ein Pariser Arzt soll alle seine operierten Patienten damit umgebracht haben: Trepanation gelungen – Patient tot.

Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité, Schumannstraße 20/21. Öffnungszeiten bis 5. Okober 2003 dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr, mittwochs bis 19 Uhr.

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