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Logotherapie: Aus der Lebenskrise lernen

Wer nicht gleich auf die Couch will, kann in einer Logotherapie nach dem Sinn seines Problems suchen - in einer Beratungsstelle in Wilmersdorf.

„Wie ein Hamster im Rad“ fühlte sich Anja Sommer (Name geändert) vor einem Jahr: „ Ehe, Kind und Beruf – ich war von meinen eigenen Ansprüchen an mein Leben überfordert“, sagt die 45-jährige Heilpraktikerin und Mutter eines vierjährigen Sohnes. Sie brauchte Hilfe, eine Psychotherapie hatte sie schon hinter sich. Noch eine wollte sie nicht beginnen. „Ich war ja nicht psychisch krank, sondern hatte nur einen Haufen Themen auf dem Tablett."

Doch dann entdeckte sie eine Anzeige der Logotherapeutischen Lebensberatungsstelle in Wilmersdorf. Der gemeinnützige Verein hat seinen Sitz im vierten Stock eines Backsteingebäudes in der Nähe des Ku''damm. Die großzügigen Räume sind mit Pflanzen und modernen Gemälden geschmückt. Die Logotherapeutische Lebensberatungsstelle wirkt wie ein Gegenmodell zum Klischee einer Nothilfe im dunklen Hinterhof.

„In einer Umbruchssituation ist die Suche nach einer Therapie nicht immer gleich die passende Reaktion", sagt Dagmar Hasselmann, Koordinatorin der Beratungsstelle. Die meisten Menschen, die dorthin kämen, hätten Schwierigkeiten nach einer Trennung, einem Todesfall oder nach der Nachricht über eine unheilbare Krankheit. Auch Überforderung, Enttäuschungen, Fehlentscheidungen führten Klienten in die Beratungsstelle.

Sechs Logotherapeuten arbeiten dort ehrenamtlich: ein Jurist, ein Arzt, eine Psychologin, eine Pädagogin, eine Heilpraktikerin für Psychotherapie und eine Familien-Mediatorin. Über ihr jeweiliges Fachwissen tauschen sie sich regelmäßig aus. Sie alle haben aber auch eine logotherapeutische Zusatzausbildung gemacht – an der Akademie für Existenzanalyse und Logotherapie, die den Beratungsraum zur Verfügung stellt.

Logotherapie basiert auf den Prinzipien der Existenzanalyse des Wiener Arztes und Psychotherapeuten Viktor Frankl. Das Wort „Logos“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet in diesem Zusammenhang „Sinn“. Im Mittelpunkt der Beratung steht also die Suche nach dem Sinn – auch in schwierigen Lebenssituationen. Es geht um die Frage: „Wie soll ich mein Leid aushalten?" Sinnvolles Handeln trotz und mit Belastungen wird als heilender Weg gesehen. Ganz nach den Erkenntnissen von Frankl: „Mein Leben wird nicht sinnvoll durch die Bedingungen, die ich antreffe, sondern durch die Entscheidungen, die ich treffe.“ Die Mitarbeiter des Vereins, der Mitglied des Diakonischen Werkes ist, haben seit der Gründung 1998 etwa 220 Menschen beraten. Rund 1200 Gespräche haben stattgefunden.

Die überforderte Anja Sommer suchte und fand dort „jemanden, der mich spiegelt, der Lebenserfahrung hat, und nicht dogmatisch oder moralisch denkt". Innerhalb von sechs Terminen habe sie durch die Logotherapie „Ruhe ins System“ gebracht: „Es ging nicht darum, mein ganzes Leben auszubreiten, sondern darum, wie ich mit meiner speziellen Situation umgehe.“ Die Beratung sei „sehr konkret“ gewesen: „Ich weiß jetzt, wie ich mich im Beruf besser selbst darstelle. Und was ich tun muss, um die Probleme um den Unterhalt für meine Tochter aus erster Ehe zu lösen."

Die Logotherapeuten bieten also schnelle Hilfe: „Bei uns helfen schon fünf bis zehn Sitzungen am Anfang einer Krise aus, um in einer verworrenen Situation Klarheit und Orientierung zu schaffen“, sagt Koordinatorin Dagmar Hasselmann. Manchmal sei die Beratung aber auch der Einstieg zu einer längerfristigen Therapie, eine Übergangslösung: „Vor allem, weil oft mehrere Monate verstreichen, bevor der Klient einen Therapieplatz bekommt.“ Und dann kann die Beratung auch ein Ersatz für eine Psychotherapie sein, wenn die Krankenkasse die Kosten nicht übernimmt.

Die 67-jährige Bettina Stohr (Name geändert) rief in der Beratungsstelle an, weil sie nicht an ihren Problemen „kaputt gehen“ wollte: Gerade hatte ihre Tochter den Kontakt zu ihr abgebrochen, kurz nachdem sie Bettina Stohr zur Großmutter gemacht hatte. „Das war ganz schwer zu verkraften. Ich hatte oft das Bedürfnis, viel darüber zu reden. Aber für meine Freunde und meinen Mann war das zu viel“, sagt Bettina Stohr, die aus gesundheitlichen Gründen früh in Rente gegangen ist und schon zwei längere Therapien hinter sich hat.

In der Beratungsstelle kann sie endlich bei ihren wöchentlichen Terminen über alles sprechen. Dadurch hat die Rentnerin gelernt, mit ihren Problemen „gut zu leben“, wie sie sagt. „Auch wenn ich sie nicht losgeworden bin.“ Wenn sie heute zufällig ihre Tochter trifft, sei sie freundlich, „aber ich dampfe schnell ab“. Und sie wagte endlich, sich gegen ihre laute Nachbarin durchzusetzen, die ihr den Schlaf raubte. „Mein Selbstschutz ist größer geworden“, sagt sie. Trotzdem will sie die Logotherapie noch fortsetzen. Es gebe nämlich immer wieder neue Probleme.

Grundsätzlich ist die Beratung kostenlos, eine Spende wird aber gern gesehen. „Mit meiner kleinen Rente kann ich leider nur wenig geben“, sagt Bettina Stohr.

Geneviève Hesse

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