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Peter Bobbert (M.) untersucht einen Patienten auf dem Fahrrad mit einer Stressechokardiographie.

© Thilo Rückeis

Männer und ihre Gesundheit: An der Schallmauer

Das Angebot „Medical Check-up“ richtet sich an Menschen in Führungspositionen jenseits der 50. Wir haben zwei von ihnen zu der gründlichen Vorsorgeuntersuchung begleitet.

So macht Vorbeugen Spaß. „Du musst dein Leben ändern“, Rilkes Resümee beim Anblick eines antiken Torsos steht hier nirgendwo in dicken Lettern an der Wand. Wie zum lockeren Beratungs-Talk empfängt die betreuende Ärztin Tatjana Friebel ihre Check-up-Kandidaten. Das helle Anmeldungs-Apartment im Seitentrakt des Zehlendorfer Hubertus-Krankenhauses ist schick möbliert, der Automat produziert Qualitäts-Espresso. Keine Hospitaltristesse. Für Jürgen Wette und Arnold Dreher (Namen geändert) fängt der Screening-Tag allerdings vor 8 Uhr an, ohne Frühstück. Beide sind beruflich selbstständig, entsprechen insofern dem Typus des verantwortungsvollen Vorsorgers, der weiß, was er will. Dreher (50) hatte mit 33 Jahren eine Lungenembolie, ist in dem Punkt erblich belastet; jetzt will er wieder Sport und nichts falsch machen. Jürgen Wette (59), ein flotter Genießer mit Schnäuzer, raucht seit Teenagerzeiten mehr als 30 Zigaretten am Tag, fühlt eigentlich keine Beschwerden.

Mit der Blutentnahme, die den Herren der Schöpfung anstandshalber wehtut, und der Urinprobe, die nicht sofort flutscht, kommt der Parcour in Gang. „Ihr individuelles Gesundheitsvorsorge- Programm“ nennt das Hospital sein Produkt, das in der Regel nur private Kassen übernehmen. Auf dem Check-up-Werbeheft lächelt eine Blondine, die Koordinatorin des internationalen Klientels. 85 Prozent der Kundschaft sind männlich. Viele werden als Leistungsträger vom Arbeitgeber geschickt oder von ihrer Gattin gedrängt. Kinder schenken so etwas als Vorsorgepäckchen für rund 1200 Euro (kalkuliert im Rahmen der Gebührenordnung) den Eltern zu Weihnachten, berichtet Dr. Friebel. Die Attraktivität des Angebots im Hubertus-Krankenhaus bestehe in den kurzen Wegen am Ort, was als Alternative zur Krankenhausfabrik erlebt wird; im Vertrauensverhältnis zu einem federführenden Arzt, bei dem alle Resultate gleich zusammenlaufen.

Der Stundenplan programmiert für Dreher und Wette ihre Check-up-Stationen bis in den Nachmittag. Gründliche Befragung, Ultraschall-Screening des Bauches und der Schilddrüse, Seh- und Hörtest; bei Dreher kommt Ultraschallbetrachtung der Arterien und Venen, bei Wette Computer-Tomografie der Lunge hinzu, bei beiden Herzultraschall, Gefäßsonografie, Prüfung der Lungenfunktion, Belastungs-EKG. Gespräche mit Peter Bobbert, dem Check-up-Chef, und einige Apparate-Meetings finden direkt im Apartmenthaus statt. Für andere Einblicke muss man sich zu speziellen Maschinchen in den Hauptbau auf Kassenebene hinabbewegen, vorbei an wartenden Kranken in langen Korridoren.

Im halbdunklen Monitorraum des Ultraschall-Szenarios trägt der Kandidat Shorts und Socken; lässt sich, mit Gleitcreme präpariert, von einem Sonarkopf streicheln. „Wunderschönes Halsadergefäß“, lobt Dr. Bobbert. „Keine Anzeichen für bestimmte Veränderungen.“ Oder: „Scheint vollkommen normal.“ Oder: „Wunderbar, mit einer Ausnahme – da ist ein Gallenstein.“ Auf Sonar- oder EKG-Bildschirmen sind Diagramme, Feuerwerke, unförmige Ballons zu sehen. Die Organklänge aus dem intimen Innersten des Körpers pochen, knattern und blubbern. Das aufregendste Setting entsteht beim Belastungs-EKG, wenn der verkabelte Wette liegend Rad fährt und Dr. Bobbert ihn coacht: „Wir müssen das Herz ausreizen! Schaffen Sie noch ’ne halbe Minute? Da kommt doch noch was. Noch zwei Minuten kämpfen! Neun Schläge mehr die Minute! Wir nähern uns dem einstweiligen Ziel.“

"Ich will nichts hören, was ich nicht unbedingt wissen muss"

Peter Bobbert (M.) untersucht einen Patienten auf dem Fahrrad mit einer Stressechokardiographie.
Peter Bobbert (M.) untersucht einen Patienten auf dem Fahrrad mit einer Stressechokardiographie.

© Thilo Rückeis

Jürgen Wette steckt sich auf dem Weg von Haus zu Haus eine an; auch die Frühstückspause nutzt er zum Rauchen, auf dem Balkon des Tagesapartments. Ihm geht es bei der Vorsorge nicht um die Zukunft seiner Elektrofirma mit 20 Angestellten, so unabkömmlich sei er nicht, sondern „um den eigenen Körper“. Irgendeiner in der Familie dränge ihn immer: aktuell seine Tochter, die Medizinstudentin. Vor einem Dreivierteljahr starb sein Freund an Lungenkrebs. „ Bisschen Bammel“ habe er vor der Tomografie. Einerseits lasse die Stressfähigkeit nach, andererseits überlege er mit seiner Frau, sich mehr Zeit fürs Segeln zu nehmen, den Job runterzufahren. Da wäre es gut, über sich selbst Bescheid zu wissen.

Arnold Dreher schmeckt die Brotzeit gut. Er nimmt Makromar zur Blutverdünnung, trägt Thrombosestrümpfe . Sein Vater starb mit 49, nun stehe er „an der Schallmauer“. Zwei Freundinnen der Ehefrau sind an Brustkrebs erkrankt, ihn drängt sie zur Prostata-Untersuchung. Das schiebt er noch auf. Doch heute geht die Initiative von ihm aus. Sorgen macht er sich schon. Vor vier Jahren hat er eine Depression überwunden, vor zehn das Rauchen aufgegeben. Er läuft oft mit dem Hund, will wieder joggen. Als Einmannfirma, Berater für Online-Kommunikation, müsse er gesund bleiben, drei Kinder ernähren – „ich bin das Luxusobjekt, das zu erhalten ist.“ Jetzt sucht er die Bestätigung, dass er alles richtig macht: „Ich will nichts hören, was ich nicht unbedingt wissen muss.“

Peter Boppert führt Check-ups im Hubertus seit April durch, auf dramatische Befunde stößt er selten. Überflüssige Vorsorge-Abzocke kritisiert er; ein guter Hausarzt liefere die beste Prophylaxe, verfüge allerdings nicht über alle technischen Optionen. Die eigene Klientel klasssifiziert der Internist in fünf Typen: (1) Ängstlich, achtet auf sich, sucht Sicherheit, (2) Geht sonst nie zum Arzt, wird von der Firma geschickt und ist sich erst beim Termin der Bedeutung bewusst, (3) Raucht, trinkt, übergewichtig, sucht nur die Absolution, um so weiterzumachen, (4) Wird von der Frau geschickt, will die Sache lediglich abhaken; „an den kommt man in der kurzen Zeit nicht heran.“, (5) Betuchte aus Russland und dem Orient, buchen als Statussymbol alles, was teuer ist und sind davon nicht abzubringen.

Im Abschlussgespräch mit Jürgen Wette umkreist Dr. Bobbert den kerngesunden Kettenraucher wie auf Zehenspitzen. Der wird, wegen anhaltender Stuhlgangveränderung, noch eine Darmspiegelung anhängen. Ansonsten: Für Durchblutungsprobleme kein Anhaltspunkt. Das Herz unter Belastung ideal – zum Abfotografieren! In die Blutgefäße kann man nicht hineinschauen, doch negative genetische Disposition besteht nicht. Der Blutdruck steigt relativ zügig; eine Langzeitmessung könnte zeigen, ob Belastungshochdruck vorliegt, der aber medikamentös steuerbar wäre. Die Schilddrüse soll ein Fachmann anschauen. Fettwerte: normal, Ernährungsumstellung nicht anzuraten! Diabetes: keine. Also eigentlich nur: Rauchen ... „Ihr einziger Risikofaktor! Das reduziert die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben, auf fünf bis zehn Prozent. Die kleinsten Gefäße sieht man nicht, die sind zuerst betroffen.“

Mit dem Rauchen aufzuhören, würde Lebenserwartung und -qualität steigern. Sagt der Arzt hingegen: „Rauchen Sie weiter“ – dann wissen Patienten wie Jürgen Wette, was die Stunde geschlagen hat.

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