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Gesundheit: Mäuse können gentechnisch intelligenter gemacht werden. Menschen (demnächst) auch

Auf die Erfinder von Mausefallen kommen schwere Zeiten zu. Und so manch träger Hauskater muß befürchten, dass die Streiche der listigen Maus aus "Tom und Jerry" bald grausame Wirklichkeit werden könnten.

Auf die Erfinder von Mausefallen kommen schwere Zeiten zu. Und so manch träger Hauskater muß befürchten, dass die Streiche der listigen Maus aus "Tom und Jerry" bald grausame Wirklichkeit werden könnten. Wissenschaftlern von der Princeton-Universität ist es nämlich gelungen, die Intelligenz von Mäusen erheblich zu steigern. Das Nachlassen der Merkfähigkeit im Alter hängt bei Mäusen wie Menschen mit dem Verlust des sogenannten NMDA-Rezeptors auf den Nervenzellen im Gehirn zusammen. Durch Veränderung des Erbgutes erschufen die amerikanischen Gentechniker nun einen Mäusestamm, bei dem die Anzahl der "jugendlichen" NMDA-Rezeptoren gegenüber normalen Mäusen um ein Vielfaches erhöht ist.

Das Ergebnis ist verblüffend: Die gentechnisch getunte Nagerfamilie zeigte in allen Disziplinen eines Mäuse-Intelligenztests deutlich bessere Leistungen als ihre Artgenossen, denen bloß ihr gottgegebenes Mäusehirn zur Verfügung stand. Natürlich wurde noch keiner der Super-Mickeys beim heimlichen Schachspielen beobachtet. Was ist also Besonderes daran, wenn sich ein paar Versuchs-Nager einige Tage länger an einen Ball oder einen Würfel erinnern und schneller aus einem Becken mit trübem Wasser entkommen? Die eigentliche Sensation wird von den Autoren des Berichtes wohlweislich nicht ausgesprochen, obwohl sie für die Fachwelt in großen Lettern zwischen den Zeilen steht: Die Ergebnisse sind im Prinzip auf den Menschen übertragbar. Nach allem, was wir bisher über den NMDA-Rezeptor wissen, spielt er auch bei höheren Primaten und beim Menschen eine entscheidende Rolle für die Lernfähigkeit und das Gedächtnis. Medikamente, die den Rezeptor blockieren, führen bei Menschen wie bei Mäusen zu massiven Merkstörungen und schizophrenieähnlichen Symptomen.

Natürlich ist unser Zentralorgan weitaus komplizierter aufgebaut. Aber das Mäuse-Experiment beweist, daß durch die Manipulation eines einzigen Rezeptors ohne erkennbare Nebenwirkungen eine Vielzahl kognitiver Leistungen gesteigert werden kann, die darüber hinaus in weit auseinander liegenden Hirnregionen lokalisiert sind. Die Erkenntnis, dass im Gehirn der Säugetiere, der wohl kompliziertesten Schöpfung der Natur, offenbar auch für hoch komplexe Fähigkeiten einfache Stellschrauben verborgen sind, läßt die Leistungssteigerung des Denkorganes durch gezielt angreifende Medikamente oder gentherapeutische Eingriffe plötzlich in greifbare Nähe rücken.

Doch wem sollte solch mentale Aufhellung zugute kommen? Zweifelsohne könnten Patienten mit organischen Hirnerkrankungen von den neuen Therapien profitieren. Und auch der Behandlung altersbedingter Gedächtnisstörungen wird unser gesellschaftlicher Konsens, der "Alter" ohnehin als Krankheit und nicht als natürlichen Prozeß ansieht, wohl nicht ernstlich widersprechen. Wie steht es jedoch mit dem Pülverchen vor der Prüfung, der Pille für Piloten oder gar dem organisierten Hirn-Doping einer, wie auch immer ausgewählten, intellektuellen Elite?

Der Plan, die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns zu steigern, ist so alt wie die Gentechnologie selbst. Das scheinbar harmlose Experiment mit den cleveren Mäusen zeigt, wie weit die Büchse der Pandora bereits geöffnet ist. Hier endet die Fachkompetenz der Mäuseforscher, und der fragende Blick richtet sich auf die moralisch-ethische Führungsinstanz unseres Landes. Diese jedoch schweigt beharrlich, wenn es um den richtigen Umgang mit den Gaben der Gentechnik geht. Und wenn sie dann doch einmal spricht, wie kürzlich der Philosoph Peter Sloterdijk in seinen umstrittenen Thesen zur "Menschenzucht", wird erst richtig deutlich, wie sehr die Naturwissenschaften von den Geisteswissenschaften im Stich gelassen werden.

Sloterdijks Forderung nach einem "Kodex der Anthropotechniken", den Gentechniker und Philosophen gemeinsam entwickeln sollten, um dann anhand einer "expliziten Merkmalsplanung" eine mit gentechnischen Mitteln optimierte, intelligente Elite zu züchten, gibt den Bio-Forschern wahrlich keine brauchbare ethische Leitlinie an die Hand. Im Gegenteil: Die postmetaphysische, vom Humanismus enttäuschte Philosophie greift ausgerechnet nach der Gentechnologie, um ihr sinnentkerntes Weltbild an vermeintlich objektiven, weil naturwissenschaftlichen, Koordinaten auszurichten. Doch nicht die gentechnische Revision der Menschheit, sondern die humanistische Aufarbeitung der Gentechnologie tut not.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Foto: Jacqueline Peyer

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