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Medikamente

© Kitty Kleist-Heinrich

Medikamententests: Umstrittene Wirkung

Das Institut, das Medikamente und Behandlungsmethoden in Deutschland auf ihren Nutzen prüfen soll, steht selbst in der Kritik.

Drei Jahre nach seiner Gründung steht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mehr denn je in der Kritik. Gleichzeitig – erhält es internationales Lob.

Viele Menschen kennen das IQWiG inzwischen, das Mitte 2004 in Köln seine Arbeit aufgenommen hat. Es hat in den letzten Jahren mit zwei Dutzend Berichten von sich reden gemacht, in denen es im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und des Bundesgesundheitsministeriums Behandlungsstrategien, Medikamente und Diagnoseverfahren verglichen und auf ihren Nutzen untersucht hat. Dabei hat es regelmäßig gewichtige Teile der medizinischen Fachwelt gegen sich aufgebracht.

„Methodisch unzureichend“ urteilten Diabetes-Experten, als das IQWiG Anfang Juni befand, die Überlegenheit der kurz wirksamen synthetischen Insuline gegenüber herkömmlichen humanen Insulinen sei nicht belegt, sie sollten daher – solange sie deutlich teurer verkauft werden – von der Kasse nicht erstattet werden. Viele Diabetes-Spezialisten monierten, das IQWiG habe die Vorteile außer Acht gelassen, die die flexibler einsetzbaren Mittel im Alltag haben.

„Einseitig und unkritisch“ fanden andere Experten den Bericht zu Blutdruckmedikamenten, in dem+ entwässernde Medikamente (Diuretika) empfohlen wurden. Ihre Nachteile und Nebenwirkungen würden „zu nonchalant behandelt“, befand der Hamburger Pharmakologe Thomas Eschenhagen. Die IQWiG-Empfehlungen zur Behandlung des Bluthochdrucks decken sich andererseits mit denen von internationalen Gremien, wie der WHO und des National Joint Committee in den USA.

Besonders empört reagierten Krebsmediziner, als das Institut seinen Bericht zur Stammzelltransplantation bei Blutkrebs veröffentlichte. Nach Einschätzung des Instituts fehlen bisher Beweise dafür, dass die Transplantation von Stammzellen nicht verwandter Spender, die bei bestimmten Formen von Leukämie heute oft als letzte Rettung gilt, der alleinigen Chemotherapie überlegen ist. Bei der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DHGO) zeigte man sich „entsetzt über diese folgenreiche Fehleinschätzung“. Streit hatte es schon bei der Veröffentlichung des Vorberichts gegeben. Die DGHO hatte darauf verwiesen, dass durchaus indirekte Beweise für die Wirksamkeit der Transplantation von Stammzellen nicht verwandter Spender vorlägen. „Doch die ausführlichen Stellungnahmen sämtlicher namhafter Transplantationszentren und Studiengruppen wurden kaum berücksichtigt“, moniert der Leukämie-Spezialist Axel Zander vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, Sprecher der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation.

Besonders scharf kritisiert Martin Wehling, Direktor der Klinischen Pharmakologie der Uni Heidelberg in Mannheim, den Rapid Report zu cholesterinsenkenden Medikamenten. Er wirft dem Institut „bewusst selektives Zitieren“ vor, da es von 400 gesichteten Studien zur Medikamentengruppe der Statine nur 23 verwendet habe. Weil das stärkere – und teurere – Mittel Atorvastatin nun in der Praxis meist durch das schwächere Simvastatin ersetzt werde, drohe eine Untertherapie zu hoher Cholesterinwerte, die vermutlich inzwischen schon Hunderte von Menschenleben gefordert habe. Für diese schwerwiegende Behauptung habe Wehling keine Belege, wehrt sich IQWiG-Leiter Peter Sawicki. Im Gegenteil komme es unter Atorvastatin zu mehr Therapieabbrüchen aufgrund schlechterer Verträglichkeit als unter dem gut untersuchten älteren Mittel Simvastatin.

Wehling, der schon im März in der „FAZ“ mit dem Institut hart ins Gericht gegangen war, bezeichnete das IQWiG jetzt gegenüber dem Tagesspiegel als „beschämende Einrichtung“, in der „Wissenschaft verbogen“ werde. Grundsätzlich hält er eine Institution zwar für wichtig, die unabhängig über Nutzen und Kosten von Behandlungen urteilt. Über die Bewertungen des IQWiG werde aber auf Fachkongressen „nur noch gespottet“.

Die Mediziner aus den betroffenen Fachgebieten, die sich dort treffen, sind zwar profunde Kenner der jeweiligen Materie, doch sie arbeiten oft in der einen oder anderen Form mit Pharmafirmen zusammen. In einem Kommentar für die Fachzeitschrift „Diabetologia“ weisen jetzt ein niederländischer Forscher und der britische Herausgeber der Zeitschrift darauf hin, dass das leicht zur Überschätzung der Vorteile neuer Präparate führen könne. Die Standfestigkeit des deutschen IQWiG erfährt bei dieser Gelegenheit lobende Erwähnung.

Sawicki fordert von den Sachverständigen, die die Berichte für das IQWiG verfassen, dass sie keine „themenbezogenen finanziellen Verflechtungen mit den Herstellerfirmen“ haben. Und er weist darauf hin, dass Wehling drei Jahre lang für die Pharma-Firma AstraZeneca gearbeitet hat, die derzeit versucht, ein weiteres Statin-Präparat auf den europäischen Markt zu bringen, bevor er jetzt zurück an die Uni ging. Der Pharmakologe kontert, alle Mediziner, die intensiv und erfolgreich über bestimmte Medikamentengruppen forschen, hätten Kontakt zu Herstellerfirmen – schon weil ohne die kaum große Medikamenten-Studien zu machen seien. „Mit diesem Argument werden also die eigentlichen Experten abgeschossen.“

Die Stellungnahmen aller Experten, auch die der Herstellerfirmen, sind allerdings regelmäßig spätestens dann gefragt, wenn das IQWiG seinen Vorbericht zu einem Thema vorlegt. Dass vom Institut in allen Phasen des Bewertungsverfahrens Sachverständige aus Wissenschaft und Industrie und Patientensprecher einbezogen werden müssen, legt das seit April gültige GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ausdrücklich fest. Die Bewertung des Nutzens müsse nach internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin (EbM) erfolgen, heißt es dort außerdem. Als Goldstandard gelten randomisierte Studien, für die die Patienten nach dem Zufallsprinzip und oft ohne das Wissen beider Seiten eingeteilt werden – in eine Gruppe, die das fragliche Medikament bekommt und eine Vergleichsgruppe, die ein Scheinpräparat oder ein schon eingeführtes Mittel nimmt. „Je kleiner die zu erwartenden Unterschiede zwischen zwei Therapien sind, desto sensibler müssen die Instrumente sein, mit denen wir sie messen“, erläutert Sawicki.

Die dreijährige Erfahrung habe jedoch gezeigt, dass man der Öffentlichkeit das Vorgehen des IQWiG besser erklären müsse. „Wir haben strategisch eine schlechtere Position: In vielen Fällen sagen wir, dass das Wissen noch nicht ausreicht, um eine Behandlung einer anderen vorzuziehen, unsere Kritiker behaupten dagegen, mit diesem Wissen aufwarten zu können.“ Er bedauert auch, dass das Institut seine Sachverständigen in einigen Fällen nicht besser gegen Angriffe geschützt habe. „Manche Kritiker versuchen, unsere Sachverständigen einzuschüchtern“, sagt er. „Wir hätten in den Berichten nicht in jedem Fall ihre Namen nennen sollen, einige sind dadurch in der Szene sozusagen ‚verbrannt’.“

Für Sawicki persönlich wirkt die Rolle des Skeptikers und Zweiflers, der sich selbst mit immer neuen Runden von Überzeugten konfrontiert sieht, jedoch wie maßgeschneidert. Einer bestimmten Art von Kritik ausgesetzt zu sein, ist für ihn fast Ehrensache: „Das IQWiG ist dazu geschaffen worden, Konflikte auszuhalten, die in Deutschland bislang eher vermieden wurden. Es gibt weltweit kein ähnliches Institut, dem die Pharmaindustrie zustimmen würde.“

Adelheid Müller-Lissner

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