zum Hauptinhalt
Foto: Hentrich und Hentrich

© Hentrich und Hentrich

MEDIZIN Männer: Der Kreuzberger Stadtarzt

CURT BEJACH Kreuzberg platzt aus allen Nähten. 380 000 Einwohner hat der Bezirk in den 20er Jahren – die 150 000 Menschen, die heute hier wohnen, nehmen sich dagegen bescheiden aus.

CURT BEJACH

Kreuzberg platzt aus allen Nähten. 380 000 Einwohner hat der Bezirk in den 20er Jahren – die 150 000 Menschen, die heute hier wohnen, nehmen sich dagegen bescheiden aus. Es hämmert, brummt und stinkt. Industrie und Wohnen liegen dicht beieinander, Räume sind chronisch überbelegt. Die Tuberkulose, besser bekannt als weiße Seuche, hat Kreuzberg um den Görlitzer Bahnhof fest im Griff. 1921 zieht Curt Bejach in die Gneisenaustraße.

Er ist ein kleiner Mann mit engem Jackett und wenig Haaren auf dem Kopf, aber vielen Ideen darin, die stark beeinflusst sind von Alfred Grotjahns „Sozialhygienischen Übungen“. Groß-Berlin hat die Bedeutung von Hygiene und Gesundheitsaufklärung erkannt. Stadtärzte sollen den Gesundheitsangeboten vorstehen, Bejach wird einer von ihnen. In Kreuzberg, seinem Einsatzgebiet, gibt es bereits viele Einrichtungen: Krankenhaus am Urban, Diakonissenanstalt Bethanien, Hauspflegeverein, städtische Kleinkinderfürsorge, Schulärzte, Angebote für Alkoholiker und eine Desinfektionsanstalt, deren großer Hausbesuchswagen zum Zeichen für große Armut wird.

In der Gründung des „Gesundheitshauses am Urban“ 1925 verwirklicht Bejach seinen Wunsch nach hygienischer Versorgung und Aufklärung unter einem Dach. Während eine Dauerausstellung im ersten Stock Themen von der Körperpflege bis zur Straßenreinigung behandelt, werden im Erdgeschoss Tuberkulosekranke und Drogenabhängige behandelt. Bejach weiß, dass das Umfeld die Gesundheit macht. Als Sozialdemokrat fordert er deshalb die „Hebung des allgemeinen Wohlstandes der ärmeren Schichten“. Als Sozialhygieniker hat er sich die eugenischen Ideen des Fachs zu eigen gemacht und hofft, dass Paare mit bestimmten Krankheiten „im Interesse der Menschheit“ von sich aus auf Kinder verzichteten.

1930 erlebt seine Familie, die in den Süden Zehlendorfs umgezogen ist, ihren letzten gemeinsamen Sommer. Dann stirbt Bejachs Frau Hedwig an Tuberkulose. 1933 wird er aus seinem Dienstzimmer im Gesundheitsamt „entfernt“. Als Sozialdemokrat jüdischer Abstammung muss er fünf Jahre später die Approbation abgeben. Die beiden jüngsten Töchter hat er gerade noch in einen Kindertransport nach England setzen können, die dritte überlebt den Krieg als Zwangsarbeiterin. Curt Bejach selbst wird als „jüdischer Krankenbehandler“ nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false