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MEDIZIN Männer: Der Leichenerklärer

CHRISTIAN MAXIMILIAN SPENER Man spürt den Atem des Nebenmannes, so eng und voll sind die Reihen des kleinen Hörsaals. Es ist der 29.

CHRISTIAN MAXIMILIAN SPENER

Man spürt den Atem des Nebenmannes, so eng und voll sind die Reihen des kleinen Hörsaals. Es ist der 29. November 1713. Das Theatrum anatomicum im Pavillon des Marstalls in der heutigen Dorotheenstraße hat zum ersten Mal geöffnet. In wenigen Minuten wird hier ein Spektakel beginnen, das die Berliner Gemüter schon im Vorfeld erhitzt hat und die Gästeliste auf über 100 Personen anwachsen ließ. Als ein schmächtiges, etwas ungesund wirkendes Männlein an den Tisch in der Mitte des Saals tritt, verstummt das Gemurmel. Christian Maximilian Spener zieht das Tuch von der Leiche – die erste Berliner Leichensektion hat begonnen.

Das königliche Theatrum anatomicum ist eines der ersten Projekte von Friedrich Wilhelm I. Der König findet, dass jene, die ihr Geld mit Operationen verdienen, Ahnung vom Bauplan des Menschen haben sollten, und scheut dabei nicht den Skandal in der Bevölkerung. Dort ist der Glaube verbreitet, dass der Körper für den Tag des Jüngsten Gerichts unversehrt bleiben muss, oft trifft es deshalb hingerichtete Gefangene. Die brisante Angelegenheit wird jemandem anvertraut, der über jeden Zweifel erhaben scheint: Christian Maximilian Spener, Sohn eines berühmten Theologen und hoch angesehen in der Hauptstadt Preußens.

Mit 19 beginnt Spener in Gießen „wegen seiner eigenen schwachen Leibesbeschaffenheit“ ein Medizinstudium. Nach zwei Jahren ist er promovierter Arzt, sammelt erste Hospitalerfahrungen in Straßburg. 1701 kommt er nach Berlin und lässt sich als Hofarzt nieder. Doch weil der Staat in einer Finanzkrise steckt, wird sein Gehalt oft nicht ausgezahlt. Vielleicht beteiligt er sich deshalb finanziell an Experimenten zu einer „Goldformel“. Statt Gold regnet es für Spener Ehrungen: Er wird Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, kurz darauf in der Leopoldina. Eigentlich schlägt Speners Herz aber für das Interpretieren von Wappen. 1705 wird er Professor für Heraldik an der Königlichen Fürsten- und Ritterakademie in Brandenburg .

Trotzdem bleibt Spener volksnah und erklärt im Sektionssaal auf Deutsch und nicht wie üblich auf Latein, was er tut. Das ist dringend nötig, denn viele der Wundärzte, Feldscher und Bader im Publikum haben nie eine höhere Schule oder Universität von innen gesehen. Spener will im Sektionssaal bilden, wie aus der Einladung zur Leichensektion hervorgeht: „Siehe diesen an und trincke und freue dich, denn nach deinem Tod wirstu eben so seyn.“ Deshalb „wird es ihn auch anreitzen seinem Trincken und Freude ein christliches Maß zu setzen.“ Ein Jahr nach der Eröffnung des Theatrum anatomicum stirbt Spener mit nur 36 Jahren. Markus Langenstraß

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