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MEDIZIN Männer: Ein Österreicher in der DDR

OTTO PROKOP 1921-2009 Es ist nicht sein Fach. Trotzdem will der Mann mit der Riesenbrille und der Fliege den Parteifunktionären Doping als Olympiastrategie ausreden: „Ein gedopter Sportler ist wie ein Trabi mit einem 100-PS-Motor“, sagt Otto Prokop.

OTTO PROKOP 1921-2009

Es ist nicht sein Fach. Trotzdem will der Mann mit der Riesenbrille und der Fliege den Parteifunktionären Doping als Olympiastrategie ausreden: „Ein gedopter Sportler ist wie ein Trabi mit einem 100-PS-Motor“, sagt Otto Prokop. „Nach der kurzen Strecke vom Palast der Republik bis Königs Wusterhausen fliegt die Karre auseinander.“ Ein riskanter Vergleich in der DDR. Aber Otto Prokop sagt, was er denkt. Man habe mit den Leuten reden können, wird er nach dem Mauerfall zu Protokoll geben. Besser redete und forschte es sich aber im Besitz eines österreichischen Passes.

Der St. Pöltener Arztsohn kommt während seines Studiums in Wien und Bonn zur Rechtsmedizin. Er promoviert 1948 „Über Mord mit Tierhaaren“. Zu einer Zeit, in der junge Ärzte in Scharen die DDR verlassen, nimmt Prokop den Ruf an die Humboldt-Universität an. Das ist kein politischer Schritt – die Hoffnung auf eine große Karriere lässt ihn 1956 gegen den Auswandererstrom schwimmen. Für das Regime ist die Besetzung des Chefpostens der Berliner Gerichtsmedizin ein Glücksfall: Seit dem Krieg war sie mangels Personals unbesetzt geblieben. In kurzer Zeit erlangt die DDR-Forensik durch die schillernde Persönlichkeit an ihrer Spitze internationales Ansehen.

Weniger schmeicheln dem Politbüro Prokops unbestechliche Gutachten über die Mauertoten. Bei Peter Fechter, der schwer verletzt 50 Minuten lang im Todesstreifen gelegen hatte, diagnostiziert er einen Arteriendurchschuss im Becken. Der Mann sei verblutet, auch wenn das Regime gern anderes erzählt hätte. Prokop bleibt bei der Wahrheit und nimmt in Kauf, dass seine Berichte oft geheim bleiben – bis zu den Mauerschützenprozessen. Gegen Vereinnahmungen setzt er sich charmant zur Wehr. Später wird er sagen, dass die Genossen „viel zu schlau“ gewesen seien, ihn mit der Obduktion politischer Häftlinge zu betrauen.

Prokop arrangiert sich mit seiner Umgebung, baut sich eine verlässliche wissenschaftliche Welt auf und nimmt sich weniger brisante Themen wie Krebsforschung vor. In Blutgruppengutachten beweist er er Vaterschaften mit einer Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent. Er ist Diplomat, begnadeter Forscher und Lehrer, der Wissen ansprechend vermitteln kann – das macht das Institut zur beliebten Ausbildungsstätte. Als er nach 30 Jahren, 600 Publikationen und 45 000 Leichensektionen emeritiert, kann sich die DDR nicht mehr über Gerichtsmedizinermangel beschweren. Zwei Jahre später fällt die Mauer und die Stadt wendet sich der Welt zu. Berlin wurde ein bisschen mehr, wie Otto Prokop schon immer war – weltgewandt. Markus Langenstraß

Mit Otto Prokop endet unsere Serie „MedizinMänner“. Künftig stellen wir in der neuen Kolumne „Heilstätten“ Berliner Krankenhäuser vor.

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