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Gesundheit: Medizin-Nobelpreis: Motor der Zellteilung

Aus etwa 100 Billionen Zellen setzt sich der Körper eines Erwachsenen zusammen - eine unvorstellbar große Zahl. Jeden Tag sterben Milliarden von Zellen ab und werden durch neue ersetzt.

Aus etwa 100 Billionen Zellen setzt sich der Körper eines Erwachsenen zusammen - eine unvorstellbar große Zahl. Jeden Tag sterben Milliarden von Zellen ab und werden durch neue ersetzt. Im Organismus herrscht ein subtil reguliertes Gleichgewicht aus Werden und Vergehen, dem Entstehen neuer und dem Tod verbrauchter Zellen. Ständig teilen sich Zellen und sorgen auf diese Weise für Nachschub.

Gesteuert wird dieser Prozess im Zellzyklus. Mit dem Nobelpreis für Medizin oder Physiologie werden im Jubiläumsjahr - vor 100 Jahren wurde die Ehrung erstmals vergeben - drei Veteranen der Zellzyklus-Forschung ausgezeichnet. Der Amerikaner Leland Hartwell und die Briten Timothy Hunt und Paul Nurse teilen sich die Ehre - und das Preisgeld in Höhe von zwei Millionen Mark. Die Wissenschaftler haben Mechanismen entdeckt, mit denen der Zellzyklus gesteuert wird.

Es ist ein immer wieder gleicher Kreislauf des Lebens, den die Zellen durchlaufen. In der ersten Phase - G1, Dauer drei bis vier Stunden - wird die Zelle auf die Vermehrung der Erbinformation vorbereitet. In der anschließenden S-Phase - Dauer sechs bis acht Stunden - wird das genetische Material verdoppelt. Drei bis vier Stunden dauert die darauf folgende G2-Phase. Hier wird das Erbgut auf Richtigkeit kontrolliert und die Zelle auf die Teilung vorbereitet. Grafik: Wie sich die Zelle vermehrt Dann kommt die bis zu vierstündige M-Phase, in der die Träger des Erbmaterials, die Chromosomen, auf die Tochterzellen verteilt werden und die Zelle sich teilt. Jetzt beginnt der Zyklus von neuem, oder eine Ruhephase namens G0 schließt sich an.

Von Pilzen und Menschen

Wie elementar der Zellzyklus für das Leben auf der Erde ist, zeigt die Tatsache, dass er in der Geschichte des Lebens hochgradig "konserviert" ist. Der Stamm der Pilze am Baum des Lebens zweigte sich vor Hunderten von Millionen Jahren von dem unseren ab - aber der Zellzyklus funktioniert bei allen Eukaryonten (Pilze, Pflanzen, Tiere, Menschen) prinzipiell auf die gleiche Weise. Der genetische Bauplan der Hauptakteure für die Zellteilung steht gleichsam unter Denkmalschutz.

Die Maschine, die dieses Rad des Lebens antreibt, besteht aus zwei Teilen. Zum einen aus einer Gruppe von Eiweißmolekülen namens Cyclin-abhängige Kinasen, kurz CDKs. Die CDKs sind der Motor des Lebens. Sie sind ständig in der Zelle vorhanden.

Als biologisches Getriebe fungieren zum andern die Cycline. Diese Proteine werden nur bei Bedarf gebildet und zerfallen wieder, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben. Cycline koppeln an bestimmte CDKs und aktivieren sie dadurch. Die Kraft des Motors CDK wird dadurchauf das Rad des Zellzyklus übertragen.

Im Prinzip gibt es vier Hauptgruppen von Cyclinen. Jede ist gemeinsam mit einem CDK-Molekül daran beteiligt, dass der Kreislauf der Zellvermehrung jeweils eine Vierteldrehung weiterbewegt wird: von GO in G1, von G1 in S, und so weiter.

Jedes Auto braucht Bremsen, damit es nicht in den Abgrund fährt. Auch der Zellzyklus wäre nach einigen Umdrehungen beendet, wenn die Zelle nur über Motor und Getriebe und nicht auch über Bremsen verfügte. Die Zelle benötigt solche Überwachungsmechanismen, um krankhafte Prozesse wie zum Beispiel Krebs (siehe Kasten) zu verhindern. Ein wichtiger Kontrollpunkt liegt in der G1-Phase. Hier wird entschieden, ob die Zelle in die S-Phase übergehen und ihr Erbgut verdoppeln soll. Eine zweite Kontrolle erfolgt am Ende von G2. Hier stellt sich die Frage: Zellteilung oder nicht?

Die Wächter des Erbguts

Eine der wichtigsten Kontrolleure ist das Eiweiß p53, der "Wächter des Erbguts". Findet p53 während der S-Phase Fehler im Erbgut, kann es dessen Verdopplung anhalten und einen molekularen Reparaturtrupp losschicken. Ist es dazu bereits zu spät und der Schaden zu groß, wird ein Selbstmordprogramm (Apoptose) ausgelöst. Nach der Verdopplung des Genoms wird es von p53 in der G2-Phase auf Richtigkeit durchgesehen. p53 ist aber nur einer von Dutzenden von Qualitätskontrolleuren für die Erbinformation. Schließlich müssen bei der Verdopplung des Erbguts in der S-Phase drei Milliarden biochemische Buchstaben exakt kopiert werden.

Polymerasen, die Kopiermaschinen der Erbinformation, schreiben zunächst etwa jeden tausendsten Buchstaben falsch und können durch eigene Korrektoren die Fehlerrate auf eins zu einer Million drücken. Trozdem bleibt noch viel zu tun für Moleküle wie p53 und seine Mitstreiter, damit Erbgut und Zelle korrekt verdoppelt werden.

Leland Hartwell hat am Modell der Bäckerhefe jene Erbmerkmale erforscht, die den Zellzyklus kontrollieren. Mehr als 100 spezielle Gene hat er dabei gefunden. Die Idee vom Kontrollpunkt ("checkpoint") geht auf Hartwell zurück: der Zellzyklus stoppt, wenn das Erbgut beschädigt ist. Paul Nurse forschte am Hefepilz S. pombe. Er fand ebenfalls Zellzyklus-Gene und erhellte ihre Funktion, etwa Moleküle aus der Gruppe der Zellzyklus-"Motoren", der CDKs.

Tim Hunt schließlich entdeckte die ersten Cycline, die "Getriebe"-Moleküle des Zellzyklus. Die Nobelversammlung des Stockholmer Karolinischen Instituts hebt die Bedeutung eines defekten Zellzyklus für Krankheiten hervor, etwa das Entstehen von Krebs.

Gemessen am schnellen Puls der molekularbiologischen Forschung sind die Pionierarbeiten der Preisträger schon fast kalter Kaffee, denn sie liegen im Schnitt um ein Vierteljahrhundert zurück und sind längst Lehrbuchwissen. "Überfällig und gerechtfertigt" nennt der Biochemiker Adolf Graessmann von der Freien Universität Berlin die Entscheidung, auch wenn er zu bedenken gibt, dass hunderte Wissenschaftler den Zellzyklus erforscht haben und jeder seinen Teil zu den Entdeckungen beigetragen habe.

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