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Alles unter Kontrolle? Qualitätssicherung betrifft bis jetzt allein die eingriffsbezogene Maximalmedizin und nicht die chronischen Erkrankungen und die Koordination der Behandlung.

© picture alliance / dpa

Medizin und Qualität: Hoher Standard zahlt sich aus

Todesfälle durch Infektionen wären vermeidbar, wenn mehr für die Qualitätssicherung im Gesundheitssystem getan würde.

Alarm! Ebola, Schweinegrippe, SARS – immer wieder Aufregung. Doch – wo bleibt der Alarm wegen 2 000 bis 5000 vermeidbarer Todesfälle, die jedes Jahr im deutschen Gesundheitswesen durch Krankenhausinfektionen verursacht werden?

Wohlgemerkt, vermeidbare und nicht schicksalhafte Todesfälle – denn sie wären etwa durch eine vernünftige Händedesinfektion des Krankenhauspersonals zu verhindern gewesen. Das Problem betrifft aber nicht nur die Infektionen, sondern genauso die medikamentenbedingten Komplikationen. Überträgt man die internationalen Studien der vergangenen 25 Jahre auf Deutschland, muss man mit jährlich knapp 20 000 vermeidbaren Todesfällen rechnen. Vermeidbar, weil Fehler gemacht wurden.

Alles nur Panikmache? Verunsicherung der Patienten, so wie die Verbandsfunktionäre es nennen? Keine Angst, die Bevölkerung hat ein genaues Bild, das zeigen zuverlässig alle Studien und Befragungen. Jeder hat mit Fehlern und Qualitätsmängeln in der Gesundheitsversorgung seine Erfahrungen gemacht. Gerade deshalb sollte man davon reden und die Konsequenzen offen diskutieren. Denn was würden wir alles tun, wenn eine „Seuche“ mit drohenden 20 000 Todesfällen über Deutschland hereinbrechen würde? Wir würden Flughäfen und Bahnhöfe schließen, wir würden die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung einschränken, wir würden Grundzüge unseres Lebens in Frage stellen. Aber über unser gegenwärtiges Qualitäts- und Sicherheitsproblem im Gesundheitssystem liegt ein Mantel des Schweigens. Einzelfälle führen zu einer kurzzeitigen Zunahme des Interesses und der Anteilnahme, aber dann verschwindet das Thema wieder von der Tagesordnung.

Wir bezahlen Menge statt Qualität

Dabei gehören Qualität und Patientensicherheit zu den geliebten Themen aller Gesundheitspolitiker. Im Koalitionsvertrag der jetzigen Großen Koalition und in der aktuellen Gesetzgebung taucht der Begriff „Qualität“ derart häufig auf, dass man sich fast beruhigt zurücklehnen möchte; da kann ja gar nichts mehr schiefgehen. Doch dieser Eindruck täuscht. Das Primat der derzeitigen Gesundheitspolitik liegt weiterhin auf der Finanzierung und nicht auf der Qualität. Sowohl der ambulante als auch der stationäre Sektor möchte finanziell gut ausgestattet werden und möglichst viele Patienten behandeln: Wir bezahlen Menge statt Qualität.

Die Krankenhausfinanzierung durch die Fallpauschalen (DRG) ist ein Beispiel: Ursprünglich sinnvoll, um die stationäre Versorgung transparent und den „Liegetag“ als Abrechnungseinheit überflüssig zu machen, überlebt sich dieses System durch seinen Mengenanreiz und seinen „sektoralen Egoismus“ von Jahr zu Jahr mehr und müsste dringend in die Finanzierung einer integrativen Gesamtversorgung überführt werden. Doch es passiert nichts. Stattdessen – man muss es leider so hart sagen – besinnt man sich der Qualitätsfrage allein als Notpflaster.

Qualität soll die mangelnde Abstimmung zwischen den Sektoren wieder ins Lot bringen und den Mengenanreiz der pauschalierten Vergütung neutralisieren. Dieses defensive Qualitätsverständnis entstammt der „Qualitätssicherung der Sonderentgelte und Fallpauschalen“, die im Jahr 1993 parallel zu den ersten operativen Fallpauschalen eingeführt wurde, um befürchtete Qualitätseinbußen durch Verweildauerverkürzung zu verhindern. Bei der Einführung der DRG im Jahr 2003 hat man diese akutmedizinisch-operative Orientierung der Qualitätssicherung dann fortgeführt.

Versorgung älterer Menschen rückt in den Vordergrund

Ein solches „weiter so“ ist leider auch derzeit zu befürchten. Denn ein aktives Qualitätsverständnis würde ein Innehalten voraussetzen, um zunächst eine adäquate Zielvorstellung für die weitere Entwicklung des deutschen Gesundheitssystems zu entwickeln. Es steht außer Frage, dass sich die Aufgaben in den nächsten Jahren durch die demographische Entwicklung deutlich ändern werden.

War es vormals die akutmedizinische Versorgung, die unsere Krankenhäuser als Zentren der Versorgung geprägt hat, so sind es jetzt die Anforderungen durch die Versorgung älterer Menschen, die unter mehreren chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und Asthma gleichzeitig leiden. Diese Patienten haben vor allem das Interesse, dass der Hausarzt und die Spezialisten, die sich um ihre Krankheiten kümmern, das Krankenhaus und die Reha miteinander verlässlich und rasch kommunizieren, damit immer alle Beteiligten klar im Bilde und die Patienten gut aufgehoben sind.

Sehr viel ist in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht worden. Das soll nicht in Abrede gestellt werden, vor allem durch die Transparenz von Qualitätsinformationen durch die Qualitätsberichte der Krankenhäuser und den jährlichen Qualitätsreport des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Der Teufel steckt im Detail

Darauf aufbauend gibt es zahlreiche Internetvergleiche und Krankenkassenportale oder herausragende Angebote wie das Gesundheitsportal des Tagesspiegels. Damit sollen die Patienten bei der Wahl des Anbieters mitentscheiden können. Allerdings ist die Wirkung dieser Qualitätsinformationen hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Woran liegt das?

Zum einen betrifft die Qualitätssicherung allein die eingriffsbezogene Maximalmedizin und in keinem Fall die chronischen Erkrankungen und die Koordination der Behandlung: Von 30 Krankheitsbildern betreffen sieben die Transplantationsmedizin, zwölf kardiologische Eingriffe, fünf allein die Endoprothetik.

Es bestehen zudem Zweifel, ob in den Qualitätsberichten überhaupt die Fragen gestellt werden, die die Patienten wirklich umtreiben. Natürlich ist für den Patienten die Wundinfektionsrate interessant, aber wo findet er Informationen zur postoperativen Schmerztherapie, zur Informationsweitergabe, zum Besuch durch eine Pflegekraft oder gar den Hausarzt in der ersten Zeit nach der Entlassung?

Und selbst wenn ihn die Wundinfektionsrate interessiert – angenommen sie liegt bei ein oder fünf Prozent – kann man auch bei einem Prozent betroffen sein. Außerdem erfährt er nicht, ob die Ursache wirklich im betreffenden Krankenhaus zu suchen ist. Wichtiger wäre es vielleicht, über den Verbrauch an Händedesinfektionsmitteln informiert zu werden.

Die Forderung nach Veröffentlichung von Qualitätsdaten macht Ärzte nervös

Eine zukunftsfeste Qualitätssicherung muss neu ausgerichtet werden, sie muss dem zukünftigen Krankheitsspektrums entsprechen und die Integration des in Sektoren aufgeteilten Systems fördern. Die gegenwärtigen Bestrebungen in der Qualitätssicherung schlagen jedoch einen ganz anderen Weg ein, ganz im Vordergrund steht dabei das Gebot der „Datensparsamkeit“.

Ärzte in Krankenhäusern werden nervös, wenn es um den Wunsch von Öffentlichkeit und Patienten geht, über die Qualität der erbrachten Leistungen Auskunft zu geben. Sie wünschen, dass man ihnen den Aufwand der Erhebung der Qualitätsdaten erstattet – wobei wir wieder bei den Finanzen wären. Sogenannte Routine- und Sozialdaten sollen die Lösung bringen. Darunter sind Abrechnungsdaten zu verstehen, die aber nicht mit dem Ziel der Qualitätssicherung, sondern nach den Bedürfnissen des Vergütungssystems entwickelt und angewendet werden.

Das Liegegeschwür beim jungen Patienten wird zuverlässig dokumentiert, da es zusätzliche Vergütung bringt, während es bei einem älteren Patienten bereits mit mehreren solcher „Nebendiagnosen“ keine zusätzliche Vergütung erbringt und eventuell unterlassen wird. Alle Studien weisen darauf hin, dass Abrechnungsdaten etwa 50 Prozent aller Komplikationen übersehen.

Qualitativ gute Gesundheitsversorgung zu sichern, ist Aufgabe der Politik

Der Teufel steckt im Detail. Gerade wenn man in näherer Zukunft über die qualitätsorientierte Vergütung beraten sollte, die sogenannte „Pay for Performance“ (P4P), also die Kopplung eines Vergütungsbestandteiles an die Qualität, werden dessen Zielrichtung und zahlreiche Umsetzungsfragen nicht nur über das Gelingen, sondern über die zukünftige Bedeutung der Qualitätssicherung entscheiden.

Qualitätssicherung kann nur einen Grund haben: die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Qualitätsdaten zu erheben und an die Einrichtungen zu spiegeln, die nicht zuverlässig erhoben werden können, oder die Abschnitte der Behandlung betreffen, für die die Einrichtung keine Verantwortung trägt – wie etwa die ambulante Versorgung nach Entlassung aus dem Krankenhaus –, führt nur zu Verdruss. Qualitätssicherung heißt: Lernen auf der Basis von verlässlichen Daten im eigenen Verantwortungsbereich.

Hier liegt die Aufgabe der Politik: Ein Konzept zur Weiterentwicklung des Gesundheitssystems vorzugeben und dabei besonders auf die Qualitätsfrage zu achten. Das Geld der Versicherten und Steuerzahler muss sinnvoll verwendet werden. Für eine qualitativ gute Gesundheitsversorgung.

Der Autor hat einen Lehrauftrag für Patientensicherheit und Risikomanagement an der Universität Köln

Matthias Schrappe

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