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© ddp

Medizin: Wieder gelenkig

Immer häufiger werden auch jüngeren Patienten künstliche Knie- und Hüftgelenke eingesetzt. Ärzte monieren, dass ein Qualitätsregister für diese Eingriffe fehlt.

Wolfgang H. macht für sein Leben gern ausgedehnte Wanderungen in den Alpen. Für den heute 63-Jährigen gab es allerdings eine Zeit, in der er auf sein Hobby verzichten musste, weil die Schmerzen zu groß waren. Vor fünf Jahren hatte sein Arzt eine Arthrose im rechten Hüftgelenk diagnostiziert, vor zwei Jahren hat sich H. für ein künstliches Hüftgelenk entschieden.

Er bekam eine von 152 944 Endoprothesen, die im Jahr 2007 in Deutschland als Ersatz für das größte Gelenk des Körpers eingesetzt wurden. Die meisten von ihnen wurden nicht infolge eines Knochenbruchs implantiert, sondern weil Verschleiß zu Schmerzen und Einschränkungen beim Bewegen geführt hatte. Fast genauso oft, nämlich 136 379 Mal, wurde ein neues Gelenk in einem Knie verankert. Diese Zahlen wurden jetzt beim Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin genannt.

Die Träger der Kunstgelenke sind heute eine durchaus heterogene Gruppe: Einerseits bestehen heute weniger Bedenken, auch Hochbetagte zu operieren. Andererseits zeigt sich auch ein Trend zur frühen Operation. Man versucht nicht mehr, den Eingriff möglichst lange hinauszuschieben, Schmerzen und Bewegungseinschränkungen jahrelang auszuhalten. Denn Studien zeigen, dass mehr als 90 Prozent der Kunstgelenke mindestens zehn Jahre ohne größere Komplikationen halten. Jeder fünfte Patient ist unter 60, wenn sein neues Hüft- oder Kniegelenk eingesetzt wird. Damit steigen auch die Ansprüche an den Fremdkörper: „Viele verbinden den Gelenkersatz mit der Hoffnung, später wieder Sport zu treiben“, sagte Klaus-Peter Günther, Kongresspräsident und Direktor der Orthopädischen Klinik am Universitätsklinikum Dresden. In der von ihm initiierten Ulmer Arthrosestudie, für die das Wohlergehen von Patienten mit Kunstgelenken über fünf Jahre hinweg beobachtet wurde, zeigte sich, dass diese Hoffnung nicht unrealistisch ist.

Eigenen Angaben zufolge trieb vor der Operation nur ein Drittel der Patienten Sport, danach waren es mehr als die Hälfte. Dabei zeigte sich, dass deutlich mehr Hüft- als Knieoperierte zu einem bewegten Leben zurückfanden. Beim Knie, das seine Stabilität durch Bänder und Muskeln erhält, ist der Trainingszustand besonders wichtig. Die Orthopäden raten zu Bewegungen, bei denen keine plötzlichen Spitzenbelastungen für die neuen Gelenke drohen, etwa Fahrradfahren, Schwimmen, Walken und Wandern, Tanzen und Golf. Beim Fußball, beim alpinen Skifahren und beim Tennis – vor allem beim Einzel – sei die Krafteinwirkung auf das Kunstgelenk besonders stark, warnen sie. Spitzenbelastungen könnten zu Materialversagen und der gefürchteten Lockerung des Implantats führen.

In jedem Jahr werden in Deutschland rund 35 000 künstliche Gelenke ausgewechselt. Die Zahlen über Erstoperationen und Wiederholungseingriffe stammen aus der flächendeckenden Erfassung durch die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS), an die die Krankenhäuser Daten liefern. Sie informieren zum Beispiel darüber, wo direkt nach dem Eingriff besonders häufig oder selten Komplikationen auftreten. „Bisher werden jedoch die Daten über Erstoperationen und Revisionseingriffe nicht in standardisierter Form miteinander verknüpft“, beklagte Joachim Hassenpflug vom Universitätsklinikum Kiel. Die Orthopäden kämpfen deshalb seit Jahren dafür, dass alle Operationen samt Angaben über die verwendeten Techniken und Materialien in einem deutschen Endoprothesenregister erfasst werden. Auf freiwilliger Basis haben 41 Kliniken das schon über einige Jahre getan.

Das geplante Register soll den Operateuren selbst, aber auch Kassen und Patienten die Qualität der Eingriffe transparent machen, als Frühwarnsystem wirken, wo es Probleme mit neuen Materialien gibt, und Daten für wissenschaftliche Zwecke liefern. Zugleich verspricht sich Hassenpflug von der Registrierung auch Einfluss auf die Einsatzdauer der Implantate: „In Schweden wurde durch ein solches Register bereits nach drei Jahren die Rate der Revisionsoperationen um ein Viertel gesenkt.“ Dadurch ließen sich auch Kosten sparen. Nach Hassenpflugs Worten haben auch die Hersteller der Kunstgelenke großes Interesse, an dieser Entwicklung mitzuarbeiten. „Sie sind bereit, eine Produktdatenbank zu erstellen, das wäre weltweit eine Neuigkeit.“

Register und Datenbank würden nicht zuletzt den Arthrosegeplagten helfen, die sich zur Operation durchgerungen haben und nun nach der für sie besten Klinik suchen. Oft haben sie sich in den Jahren davor durch die Schmerzen Fehl- und Schonhaltungen angewöhnt. Für den langfristigen Erfolg des Eingriffs ist es wichtig, dass danach wieder ein möglichst natürlicher Gang erreicht wird. Thomas Jöllenbeck von der Klinik Lindenplatz in Bad Sassendorf stellte beim Kongress eine Studie vor, für die Reha-Patienten am dritten, zehnten und 17. Tag beim Laufbandtraining genau untersucht wurden: Dabei wurden Druck und Kraft gemessen sowie die Bewegungsabläufe mittels 3-D-Ultraschall analysiert.

Die Patienten, die mit einem Altersdurchschnitt von 57 Jahren noch relativ jung waren, bewegten die Hüftgelenke der operierten Seite auch am Ende des Aufenthalts deutlich weniger als eine gesunde Vergleichsgruppe. Man müsse die Patienten so schnell wie möglich zum symmetrischen Gehen bringen, sagte Jöllenbeck. „Jede Asymmetrie birgt Risiken für die andere Seite in sich.“ Vor allem, wenn man wie Wolfgang H. mit dem Gelenkersatz noch weite Touren vor sich hat.

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Adelheid Müller-Lissner

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