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Gesundheit: Medizinforschung: Ein Virus als Betriebsgeheimnis (Kommentar)

Am Freitag dieser Woche wird in New York City der "Albert Lasker Award" verliehen, die höchste amerikanische Auszeichnung für Medizinforschung. Viele Lasker-Laureaten haben später den Nobelpreis erhalten, unter ihnen auch der letztjährige deutsche Nobelpreisträger Günther Blobel.

Am Freitag dieser Woche wird in New York City der "Albert Lasker Award" verliehen, die höchste amerikanische Auszeichnung für Medizinforschung. Viele Lasker-Laureaten haben später den Nobelpreis erhalten, unter ihnen auch der letztjährige deutsche Nobelpreisträger Günther Blobel. Die diesjährigen Träger des "amerikanischen Nobelpreises" sind Harvey Alter vom Nationalen Gesundheitsinstitut der Vereinigten Staaten und Michael Houghton von der kalifornischen Biotech-Firma Chiron. Alter und Houghton erhalten den Albert-Lasker-Preis für Klinische Forschung für die Entdeckung des "Hepatitis-C-Virus", das eine lebensgefährliche Leberentzündung verursacht. Das von Chiron bereits 1990 entwickelte Testverfahren, so befindet das Preiskomitee in seiner Begründung, konnte das Risiko für die Übertragung der Hepatitis durch Blutkonserven von dreißig Prozent Anfang der 70er Jahre auf beinahe Null im Jahr 2000 senken.

Entdeckung im Amtsblatt

Die Erfolgsgeschichte hat allerdings einen erheblichen Schönheitsfehler: Um den Bluttest ohne Konkurrenz bis zur Marktreife entwickeln zu können, hat Chiron die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus jahrelang geheim gehalten. In dieser Zeit, so sagen Kritiker, wurden jährlich Hunderttausende Menschen mit dem Virus infiziert, die man vielleicht hätte retten können, wenn mehr Mediziner daran hätten forschen dürfen. Der prominenteste dieser Kritiker ist der Virologe Daniel Bradley vom staatlichen Gesundheitsinstitut CDC (Centers for Disease Control and Prevention), der selbst an der Entdeckung des Hepatitis-C-Virus maßgeblich beteiligt war.

Mitte der 70er Jahre bekam noch jeder dritte Empfänger von Bluttransfusionen eine gefährliche Leberentzündung, die mit keiner der beiden damals bekannten Gelbsucht-Formen, Hepatitis-A und Hepatitis-B, identisch war. Daniel Bradley konnte den Erreger dieser mysteriösen "Non-A-non-B-Hepatitis" durch Übertragung auf Schimpansen eindeutig als Virus definieren und anreichern. Aus einer bereits 1982 an Chiron übergebenen Probe von Bradleys hoch konzentriertem Virus gelang der damals noch weitgehend unbekannten Biotech-Firma schließlich die Identifizierung des Hepatitis-C-Virus.

Die Forscherwelt erfuhr von dem Durchbruch jedoch jahrelang nichts: Statt die Entdeckung des krank machenden Mikroorganismus bekannt zu geben, machten sich die Chiron-Forscher erst einmal an die Entwicklung eines diagnostischen Tests - nur so konnte das Marktpotenzial von weltweit über 100 Millionen Infizierten gesichert werden.

Erst im Mai 1989 sickerte durch, dass das gefährliche Virus, nach dem auf der ganzen Welt fieberhaft gesucht wurde, längst gefunden worden war. Quelle der heißesten Wissenschafts-Nachricht des Jahres war jedoch keine Fachpublikation, sondern die Patentschrift EP 318216A1 des Europäischen Patentamtes, die nach der üblichen 18-monatigen Sperrfrist routinemäßig im Amtsblatt veröffentlicht wurde. Dort konnte die erstaunte Scientific Community nachlesen, wie das "Hepatitis-C-Virus" entdeckt wurde - und wie der inzwischen marktreife "Bluttest zum Virusnachweis" funktioniert. Haupterfinder des Patents war der Chiron-Projektleiter Houghton - CDC-Forscher Bradley wurde nicht erwähnt.

Die herausragende Forschungsarbeit des Chiron-Teams steht außer Frage. Trotzdem zeigt der - damals heftig umstrittene - Fall die Schwächen des Systems auf, bei dem wichtige Forschungsaufgaben aus Mangel an öffentlichen Geldern in die privat finanzierte Wirtschaft verlagert werden. Wenn ein öffentliches Forschungsinstitut das Hepatitis-C-Virus entdeckt und sofort publiziert hätte, wäre der lebensrettende Bluttest im Wettlauf der weltbesten Arbeitsgruppen entwickelt worden und vermutlich wesentlich schneller verfügbar gewesen.

Ahnungslose Ärzte

Stattdessen steckten ahnungslose Ärzte durch Transfusionen, Gerinnungs-Präparate und andere Blutprodukte weiterhin ihre Patienten an: In den bis heute andauernden Schadensersatzprozessen berufen sich die angeklagten Pharmafirmen - zu Recht - auf ihre damalige Unwissenheit.

Bei der feierlichen Verleihung des Lasker-Preises am Freitag dürfte davon jedoch kaum die Rede sein. Auch CDC-Forscher Bradley hält sich mit Kritik zurück, seit Chiron ihn an den Milliardengewinnen aus den HCV-Testen beteiligt hat. Geschichte wird eben von Siegern geschrieben, auch in der Wissenschaft. Wie es der Zufall so will: Höhepunkt der Lasker-Preisverleihung ist die Überreichung einer vergoldeten Statuette der geflügelten Nike von Samothraki, der griechischen Göttin des Sieges - ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle.

Alexander S. Kekulé

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