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Gesundheit: „Mehr Ideen, mehr Mut“

So wird die Schule besser – eine Diskussion mit der Pädagogin Enja Riegel

Natürlich hatte sie das Bewerbungsschreiben gelesen. Sie wusste, dass sich die junge Lehrerin vorstellte, um Deutsch zu unterrichten. Aber das war es nicht, was Schulleiterin Enja Riegel am meisten interessierte. Was können Sie noch? Der jungen Frau fiel ein, dass sie eine Ausbildung in der Gastronomie gemacht hatte, um die Arbeitslosigkeit zu überbrücken. Sie konnte also kochen und wusste, von welcher Seite man den Wein einschenkt.

Enja Riegel war begeistert. Noch Jahre später, am Mittwochabend auf dem Podium in der Urania, ist der früheren Leiterin der Wiesbadener Helene-Lange- Schule die Begeisterung ins Gesicht geschrieben. Die junge Lehrerin wurde eingestellt, erzählt Riegel weiter, außer Lesen und Schreiben brachte sie den Schülern Kochen und Servieren bei, und fortan wurden Gäste mit einem Vier-Gänge-Menü bewirtet und zahlten dafür. Das ist ein Beispiel von vielen, wie die Helene-Lange-Schule Geldquellen auftut, um sich all die schönen Dinge leisten zu können, die eine Schule braucht, die neue pädagogische Wege geht: die zum Beispiel monatelang Theater spielt, Experten von außen an die Schule holt, Lehrer in Teams arbeiten und auch Fächer unterrichten lässt, die sie nicht studiert haben – und das mit maximal 30 Schülern pro Klasse. Denn Riegels Credo ist, dass sich jede staatliche Schule so wie die ihre auf den Weg machen und reformieren kann. „Man muss nicht warten, bis einen der Staat dazu auffordert und Dukaten vom Himmel fallen.“ Alles, was man brauche, sind Ideen und Mut.

Jeder will diese energische Frau mit den ungewöhnlichen Ansichten im Moment auf dem Podium haben. Denn ihre Schüler haben beim Pisatest sehr gut abgeschnitten, ihre Schule ist Unesco-Modell-Schule. Wie das kam, „Wie Schule gelingt“, hat Riegel in einem Buch aufgeschrieben, das gerade bei S. Fischer erschienen ist. Der Verlag und der Tagesspiegel hatten die Pädagogin zusammen mit Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn, Hildburg Kagerer, der Leiterin der Berliner Ferdinand-Freiligrath-Oberschule, und Jürgen Hogeforster, einst Chef der Hamburger Handwerkskammer, eingeladen. Tagesspiegel-Redakteurin Dorothee Nolte moderierte.

Viele der über 300 Berliner im Publikum klatschten spontan über Enja-Riegel-Sätze wie diesen: „Lehrpläne gehören entrümpelt werden und dürfen auf keinen Fall von A bis Z befolgt werden.“ Das ist genau das, was sich auch der frühere Hamburger Handwerkskammerchef von Schulabgängern wünscht: Dass sie „wissen, wie man intelligent gegen Regeln verstößt“, dass sie kommunizieren und kreativ sind und auch mal improvisieren. Natürlich sollten sie auch rechnen und schreiben können. Aber insgesamt seien die Schulen zu sehr darauf aus, sofort verwertbares Wissen anzusammeln.

Darin wie in vielem anderen war man sich sehr einig auf dem Podium. Die „Gemeinschaftsschule“, wie Ministerin Bulmahn sie nennt, um nicht Gesamtschule sagen zu müssen, schwebte als Ideal über allem. Die Kinder in Haupt-, Realschulen und Gymnasien zu sortieren, bringe nichts. „Tickende Zeitbomben“ seien die Aussortierten, die sich nutzlos fühlten, sagte Kagerer. Bulmahn war angetan von so viel Eifer, wünschte sich Lehrer statt Fachidioten und dass die Schüler als „Persönlichkeiten wahrgenommen werden.“

Eine Lehrerin fragte später, ob man eine Schule auch umkrempeln könne, wenn sich der Schulleiter stur stelle. Da wollte Riegel keine Illusionen wecken: Ohne Schulleiter gehe nichts. Ein Zuhörer meinte, allzu viel Eigeninitiative sei sowieso nicht gut. Schließlich sei Schule immer noch Sache des Staates. Eine junge Lehrerin wollte wissen, was man machen soll, wenn die Eltern gar keine Reform wollten, sondern eine ganz klassische Schule mit Noten und Strafarbeiten. Ein ganz schwieriger Prozess, sagte Riegel, die zu überzeugen. Aber sogar das sei zu schaffen.

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