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Gesundheit: Mehr Optimismus, bitte

Die andere Bildung: Ein Buch bündelt, was man über Naturforschung wissen sollte

Kommt auf einer Party das Gespräch auf Gesteinsschichten, Klimafolgenforschung oder Weltraumteleskope, dann bedeutet das Geständnis, von diesen Sachen nichts zu verstehen, meist keine große Mutprobe. Man steht nicht als kulturloser Banause da. Wer nicht weiß, dass der „König Lear“ aus der Feder Shakespeares stammt, gilt dagegen nach wie vor als ungebildet.

Bildung wird also vielfach noch recht einseitig definiert: Der dicke Bestseller „Bildung. Alles, was man wissen muss“, den der Hamburger Anglist Dietrich Schwanitz verfasste, braucht für die Abhandlung naturwissenschaftlichen Grundwissens nur wenig Platz.

Im Schatten der Kultur

Was dort kaum vorkommt, ist in einer Neuerscheinung dieses Bücherherbstes Thema: „Leben, Natur, Wissenschaft“ von Detlev Ganten, Thomas Deichmann und Thilo Spahl trägt ebenso bewusst wie selbstbewusst den schon von Schwanitz bekannten Untertitel „Alles, was man wissen muss“ (Eichborn Verlag 2003, 24,90 Euro). Der Direktor des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin-Buch und die beiden Wissenschaftsjournalisten, die im letzten Jahr ein populäres Lexikon der Gentechnik verfassten, haben nicht nur einen Bildungsbegriff im Kopf, der Natur- und Geisteswissenschaften umfasst und die Absicht, zu einem „umfassenden und möglicherweise einenden Weltbild beizutragen“. Sie plädieren auch für mehr Optimismus und Forscherneugier unter den wissenschaftlichen Laien.

Fördern, nicht vermeiden

Die weit verbreitete Skepsis gegenüber naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und technischem Fortschritt teilen sie ganz entschieden nicht: „Wir müssen die Wissenschaft verstehen, um Chancen und Risiken wirklich einschätzen zu können. Dazu bedarf es nicht der vorauseilenden Vermeidung vermeintlichen Unglücks, sondern der Förderung der Forschung und Prüfung der medizinischen Möglichkeiten.“

Was damit gemeint ist, zeigen sie konkret etwa am Beispiel Stammzellforschung, das nach der jüngsten Äußerung der Bundesjustizministerin erneut heftig diskutiert wird. Beim „therapeutischen Klonen“ werden Zellen hergestellt, die grundsätzlich das Potenzial haben, zu einem ganzen Menschen zu werden. Doch was bedeutet das für die Bewertung dieser Technik? Die Autoren positionieren sich selbst im Meinungsstreit eindeutig. Zunächst: Dass aus den Zellen unter bestimmten Umständen theoretisch Menschen werden könnten, heiße nicht, dass diese Zellen schon als Menschen bezeichnet werden könnten. „Viele haben intuitiv Probleme, eine Zelle oder einen Zellhaufen mit einem Menschen gleichzusetzen – so auch die Autoren.“

Zweitens ist es ihrer Ansicht nach nicht legitim, Forschung mit dem Missbrauchs-Argument unmöglich zu machen. Wer Forschung an embryonalen Stammzellen mit dem Argument verbieten möchte, dann sei auch der Weg zum reproduktiven Klonen von Menschen nicht weit, der müsste, so finden die Autoren, prophylaktisch auch alle spitzen Gegenstände konfiszieren. Schließlich können mit ihnen Menschen erstochen werden. Ihre Schlussfolgerung: Missbrauch müsse bestraft werden, aber man könne ihn auch in anderen Lebensbereichen nicht immer von vorn herein unmöglich machen.

„Leben ist ein schwer zu definierender Begriff, obschon vielleicht die meisten Menschen ganz gut zu wissen glauben, was sie sich darunter zu denken haben.“ Das stand im Brockhaus des Jahres 1851. Ganten und seine Co-Autoren werden konkreter. Sie stellen in groben Zügen und groß angelegten Überblicken dar, was wir dank verschiedener Wissenschaften über Natur und Leben wissen (könnten und müssten): Über die Entstehung der Erde und des Lebens auf unserem Planeten, über Evolutionstheorie und Quantenphysik, über Photosynthese, DNS und den gesunden wie den kranken Körper.

Zum Begriff „natürlich“ pflegen sie dabei ein eher skeptisches Verhältnis. Nicht zuletzt, weil „natürlich“, ob beim Heilen, beim Wohnen, bei der Ernährung oder bei der Empfängnisverhütung, in den letzten Jahrzehnten von vielen schlicht und einfach mit „gut“ gleichgesetzt wurde. Dabei sei doch auch die Entscheidung für das „Natürliche“ eine kulturelle Option, „die der Einzelne im Einklang mit bestimmten Weltanschauungen oder Religionen wählen kann“.

Auch die Zivilisation hat Gene

Die Voraussetzungen für solche Entscheidungen werden in Kapiteln über das Denken, die Entwicklung der Sprache und die Bedeutung der Meme ausgebreitet: Meme sind gewissermaßen die kulturelle Entsprechung der Gene – in kleinen Einheiten gespeicherte und tradierte menschliche Sitten und Gebräuche.

Leider unterlief dem Team ausgerechnet bei einem „klassischen“ Bildungsthema ein Schnitzer: Der arme Leonardo da Vinci, der als Künstler und Anatom beide Kulturen so wunderbar zu verbinden wusste, wird kurzerhand ins 18. Jahrhundert verfrachtet, wo seine wissenschaftliche Neugier so revolutionär nicht mehr gewesen wäre. Aber es gibt ja, hoffentlich, weitere Auflagen.

Dass der naturwissenschaftliche Bildungs-Rundumschlag kursorisch und eher an der Oberfläche bleibt, kann man dem Buch kaum vorwerfen: Der Kenner der Homerschen Epen oder der modernen Gender Studies wird das bei Schwanitz genauso empfinden. Außerdem kann man ja weiterlesen. Eine ausführliche, kommentierte Liste der „großen Bücher der Wissenschaften“ und ein nach Themen geordnetes Literaturverzeichnis machen Lust darauf.

Zum Schluss tun die Autoren noch ihre Vorfreude auf wissenschaftliche Überraschungen kund, sie plädieren für eine „ergebnisoffene Streitkultur“, wenn es um die gesellschaftliche Akzeptanz neuer Technologien geht. Der Leser lernt eine ziemlich optimistische, deshalb aber keinesfalls naive Sicht der Dinge kennen.

Adelheid Müller-Lissner

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