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Gesundheit: Melanie Gieschen: Gerade fertig studiert und schon Preisträgerin

Als am Freitag Abend um halb neun das Telefon klingelt, hat Melanie Gieschen alles erwartet - nur nicht, dass sie für ihr Theaterstück "Gnadenlos" den mit 25 000 Mark dotierten Anna-Seghers-Literaturpreis erhält. Natürlich entkorkt sie sofort eine Flasche Sekt.

Als am Freitag Abend um halb neun das Telefon klingelt, hat Melanie Gieschen alles erwartet - nur nicht, dass sie für ihr Theaterstück "Gnadenlos" den mit 25 000 Mark dotierten Anna-Seghers-Literaturpreis erhält. Natürlich entkorkt sie sofort eine Flasche Sekt. Aber realisieren kann sie noch nicht, was geschehen ist - wahrscheinlich bis zur Preisverleihung im November.

Gerade einmal vor fünf Wochen hat die 29-Jährige an der HdK den Studiengang "Szenisches Schreiben" abgeschlossen. "Es ist schwer als junge Dramatikerin", sagt sie. Wenn einen keiner kenne, dann scheuten sich die Theater, neue Stücke auszuprobieren - aber der Preis mache es vielleicht leichter. Das Preisgeld wird in ihren Lebensunterhalt fließen, denn vom Schreiben zu leben, ist nicht einfach.

Wie es ist, das eigene Drama auf der Bühne zu sehen, hat Melanie Gieschen diesen Sommer bereits erlebt. Im Juni wurde "Gnadenlos" am Staatstheater Mainz uraufgeführt. "Es war total komisch, wie das Stück durch das Bühnenbild, die Kostüme, die Musik wirklich aufersteht; und natürlich ist es ganz anders geworden, als ich mir das vorgestellt habe - aber wunderschön." Auch vom Berliner Theater 89 wurde "Gnadenlos" vor vier Wochen in Niedergörsdorf inszeniert. Das war fast ein neues Stück mit einem eigenen Rhythmus und einer ganz anderen Aussage, sagt die junge Autorin.

Melanie Gieschen kommt aus einem winzigen Ort in der "hessischen Provinz". "Gnadenlos" beschreibt sie als "Volksstück, das in hessischem Dialekt geschrieben ist". Erzählt wird die Geschichte einer Familie, die von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt wird. Man kann auch lachen. Aber eigentlich geht es um Inzest, Sodomie und Altenfeindlichkeit. Am Ende gibt es einen Toten.

Dass sie nun mit Marieluise Fleißer oder Franz Xaver Kroetz verglichen wird, damit kann Melanie Gieschen wenig anfangen: "Ich bin noch auf keinen Stil festgelegt." Schließlich schreibt sie überhaupt erst Theaterstücke, seit sie vor vier Jahren begonnen hat, an der HdK "Szenisches Schreiben" zu studieren. "Im Moment geht bei mir alles von den Figuren aus. Ich bin eine Realistin - gewissermaßen mit fünf Füßen auf dem Boden: Ich will eine handfeste Handlung mit Konflikten und echten, schwitzenden, lebendigen Personen auf der Bühne." Vielleicht schreibt sie in ein paar Jahren auch ganz anders - ausprobieren, was geht, hat sie sich für die Zukunft vorgenommen.

Die Bude ist voll mit den Figuren

Angefangen hat Melanie Gieschen in der Pubertät: "Wie man das halt so macht - Gedichte und Kurzgeschichten." Dass Schreiben einmal ihr Beruf werden könnte, hätte sie nie gedacht. Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitete sie als Anzeigenverkäuferin und für regionale Zeitungen. Bis ihr alles zu eng wurde. Das war 1995. Da packte sie ihre Sachen und zog nach Berlin. An den Studiengang "Szenisches Schreiben" ist sie dann eher zufällig geraten. Die angebotenen Seminare klangen interessant. Deshalb hat sie sich beworben - ohne eine Theatergängerin gewesen zu sein oder je ein Stück geschrieben zu haben. Und wurde genommen.

"Kaum hat man angefangen zu Schreiben, holt man sich von der ganzen Theorie eine Schreibhemmung", sagt Melanie Gieschen und lacht. Aber der Studiengang sei toll, man lerne etwas. "Wenn es überhaupt eine Aufgabe gibt beim Schreiben, dann die Welt zu verdichten und auf die Bühne zu bringen." Man sieht ihr die Leidenschaft an. "Schreiben ist ja im Grunde ein einsamer Beruf. Man sitzt völlig alleine am Schreibtisch - aber es ist total spannend: Die Bude ist immer gerammelt voll mit den Figuren, über die man gerade schreibt." Mittlerweile kann sie sich nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu machen. Sie arbeitet täglich von halb acht morgens bis halb drei nachmittags. "Ich kann nicht darauf warten, dass mich die Muse küsst." Vor zwei Jahren wurde ihr Sohn Julian David geboren. Studium, Kind und Schreiben - das geht nur mit einer absolut straffen Organisation.

Als Abschlussarbeit hat Melanie Gieschen ihr letztes Sück "Die Abzocker" eingereicht - eine Auftragsarbeit für das Staatstheater Mainz. Es handelt vom harten Geschäft des Anzeigenvertriebes, in dem einige wenige hohe Gewinne machen, viele aber scheitern. Ein Jahr hat sie daran geschrieben.

Als "harte Kost" bezeichnet Melanie Gieschen ihre ersten beiden Theaterstücke. Über das nächste sagt sie: "Ich habe Lust auf etwas Leichtes - etwas Nicht-existenzielles." Also arbeitet sie an einer Liebesgeschichte. "Ich würde wahnsinnig gerne ein Happy End schreiben. Aber das ist unglaublich schwierig. Ein Happy End - das ist eine hohe Kunst. Jedesmal habe ich es mir vorgenommen, und nie ist es so gekommen - aber jetzt warte ich auf mein erstes Happy End."

Sibylle Salewski

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