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Gesundheit: Mit der freien Zeit kommt der Stress

Wer keinen Job hat, ist häufiger krank. Frauen leiden aber anders unter der Arbeitslosigkeit als Männer Deshalb bietet das Feministische Frauengesundheitszentrum spezielle Kurse an. Ein Besuch

Anne leidet immer wieder unter Rückenschmerzen. Und darunter, dass ihre Stimmung tief in den Keller sinkt. Die 58-Jährige ist Verkäuferin, doch seit fünf Jahren arbeitslos. Allenfalls Gelegenheitsjobs, keine feste Stelle. Annes Freundin Bettina ist zwei Jahre jünger, gelernte Schneiderin und derzeit ebenfalls ohne feste Anstellung. Sie hat mit leichtem Rheuma zu kämpfen, vor allem aber mit massiven Schlafstörungen. Nachts überfallen sie die Sorgen. Auf keinen Fall möchte die allein lebende Mutter einer erwachsenen Tochter aus ihrer Wohnung ausziehen müssen. Deutlich jünger als die beiden Freundinnen ist Carola. Mit Mitte 40 sieht sie einen anderen Aspekt der Erwerbslosigkeit: „Alle arbeiten, es gilt als Versagen, das nicht zu tun.“ Und die 41-jährige Elisabeth meint: „Man ist nur anerkannt, wenn man voll ins Arbeitsleben integriert ist.“ Mit Kind und krankem Partner hat sie schon viel zu tun, deshalb findet sie besonders schwer einen passenden Job.

Drei Vormittage lang haben die vier, deren Namen von der Redaktion geändert wurden, zusammen mit drei weiteren Frauen am Kurs „Impulse für mehr Wohlbefinden“ teilgenommen. Das Feministische Frauengesundheitszentrum Berlin (FFGZ) bietet ihn in regelmäßigen Abständen für arbeitslose Frauen an. Auf dem Programm stehen Informationen über verschiedene stressbedingte Erkrankungen, Entspannungsverfahren, Tipps für gesunde Ernährung, Informationen über erschwingliche Sportangebote – und zwischendurch immer wieder viele praktische Übungen zum Entspannen und Bewegen. Wer möchte, kann im Abstand von einigen Monaten auch noch an einem Vertiefungskurs teilnehmen.

Verschiedene Untersuchungen, darunter der Nationale Gesundheitssurvey von 2003 und das Sozioökonomische Panel (SOEP), haben inzwischen gezeigt, dass der Gesundheitszustand Arbeitsloser schlechter ist als der gleichaltriger Erwerbstätiger. Der Kongress „Armut und Gesundheit“, der 2010 im Rathaus Schöneberg zum 16. Mal veranstaltet wurde, thematisiert diesen Zusammenhang seit Jahren. Arbeitslose gehen seltener zu Vorsorgeuntersuchungen, sind aber häufiger wegen Beschwerden in der Praxis eines Arztes und im Krankenhaus. Eine Auswertung der Angaben von über 35 000 Versicherten für die im Sommer 2010 erschienene DGB-Veröffentlichung „Gesundheitsrisiko Arbeitslosigkeit“ ergab: Erwerbslose sind doppelt so häufig krank wie Menschen, die einen Job haben. Noch streiten die Experten, was der Grund ist: Ob Menschen, die vorher schon gesundheitlich belastet waren, wegen ihrer schlechten Gesundheit schneller den Job verlieren (Selektionshypothese) oder ob es erst die Arbeitslosigkeit ist, die sie krank macht (Kausalitätsthese). Auf jeden Fall handelt es sich um einen echten Teufelskreis, denn vor allem chronische Leiden schmälern die Chancen, sich wieder ins Arbeitsleben einzufädeln. Seit Jahren stehen nach Krankenkassendaten die psychischen Leiden im Vordergrund. Bei Empfängern von Arbeitslosengeld I machen sie 29 Prozent aller Erkrankungen aus, bei Angestellten nur 14 Prozent, bei Arbeitern ganze sieben. Arbeitslose werden zudem besonders häufig wegen Alkoholproblemen behandelt und sie rauchen deutlich häufiger.

Frauen galten traditionell als weniger anfällig für den psychischen Stress der Arbeitslosigkeit, man nahm an, dass ihnen doch die Rückzugsmöglichkeit auf die Rolle der Hausfrau offenstünde. Inzwischen zeigen die Studien, dass es sie genauso belastet, den Job zu verlieren. Gleichzeitig sind sie es oft gewöhnt, privat viel für andere zu tun. „Dieser Altruismus schlägt sich in der arbeitslosen Situation in besonderer Form nieder“, sagt die Sozialpädagogin Katarina Schneider, die zusammen mit ihrer Kollegin Monika Fränznick die Kurse leitet. Frauen fühlten sich dann mehr als Männer verpflichtet, in ihrer „vielen freien Zeit“ Aufgaben für Angehörige und Freunde zu übernehmen. Dass sie unter Stress leiden könnten, obwohl sie doch, erwerbslos, wie sie gerade sind, „kaum etwas zu tun“ haben, versteht sowieso keiner. Ein Blick auf die Details der Studien zeigt, dass besonders die Gesundheit alleinerziehender Mütter schon bei Kurzzeitarbeitslosigkeit leidet. Daten der Techniker Krankenkasse aus dem vergangenen Jahr belegen, dass arbeitslose Frauen dreimal so viele Psychopharmaka verordnet bekommen wie Frauen, die einen festen Job haben. Fränznick kritisiert, dass Frauen auch heute noch viel zu schnell Psychopharmaka verschrieben würden. „Es gibt praktisch keinen Kurs, in dem nicht mindestens eine Frau sie nimmt, obwohl sie nicht im engeren Sinn depressiv ist.“

Bleibt die Frage, ob Angebote wie der FFGZ-Kurs Frauen helfen können, aus Antriebsarmut und Stimmungstief herauszufinden. Für eine Bachelor-Arbeit an der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik hat eine Studentin im vergangenen Jahr 50 Frauen aus zehn Kursen befragt. Daraus geht zumindest hervor, dass die Kurse von den Teilnehmerinnen als hilfreich empfunden werden. Die Frauen, die überwiegend zur Altersgruppe 50 plus gehörten, lobten besonders die Informationsdichte und die praktischen Anleitungen in Entspannungsverfahren. Auch die sieben Frauen des Kurses, der am FFGZ gerade zu Ende geht, finden, dass sie profitiert haben. Carola hat sich klarer gemacht, dass sie den Druck nicht mehr möchte. Sie sucht jetzt nach einer Teilzeitstelle. Katarina Schneider bestärkt sie. „Ganz oder gar nicht kann nicht die Devise sein. Die geraden Lebensläufe gibt es ohnehin immer seltener.“ Bettina, die gelernte Schneiderin, hofft derzeit nicht auf eine Stelle. Sie hat gelernt, sich Fragen zu stellen, die über die Arbeitsplatzsuche hinausgehen: Was macht mich aus, was brauche ich, damit es mir gut geht? Auf jeden Fall mehr Bewegung, das hat der Workshop ihr bewiesen. „Laufen statt Warten.“ Außerdem hat sie gelernt, mit der Methode des Gedankenstopps gegen das Grübeln anzugehen. Das zeigt Wirkung, auch und vor allem nachts. Die 58-jährige Franziska hat besonders von den Ernährungstipps profitiert. Und davon, sich selbst beim Tanzen ganz anders wahrzunehmen.

Sich mit anderen Frauen in vergleichbarer Lage auszutauschen hat allen Frauen geholfen. „Ich stelle fest, dass es mir gar nicht so schlecht geht, wie ich dachte“, resümiert Carola. Elisabeth musste erkennen, dass man leicht dazu neigt, das Arbeitsleben zu idealisieren, solange man davon ausgeschlossen ist. Die anderen stimmen ihr zu, als sie das in der Abschlussrunde zu bedenken gibt. Natürlich wünschen sie sich alle, die Arbeitswelt bald wieder realistischer zu sehen. Von innen nämlich.

Feministisches Frauengesundheitszentrum, Tel. 030-2139597, www.ffgz.de

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