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Gesundheit: Mit der Kraft der Gedanken

Forschung für alle: Eindrücke vom Kongress der amerikanischen Wissenschaftsvereinigung AAAS

Name: AAAS. Sprich: Trippeley-äs. Steht für: American Association for the Advancement of Science. Ist: die größte spartenübergreifende Wissenschaftstagung der Erde. Und die fand gerade statt, in Washington, in zwei riesigen Hotels.

Man muss sich das so vorstellen. Hunderte Experten für die verrücktesten Fachrichtungen aus aller Welt reisen seit 1848 jedes Jahr in eine andere amerikanische Stadt und erklären vier Tage lang, was sie tun. Genetiker zeigen komplizierte elektronische Shows, ältere Affenforscher haben davon öfter noch nie etwas gehört und halten stattdessen bunte Papiere hoch, während die Meereswissenschaftler beliebt sind, weil sie blaue Filme zeigen. Es gibt Vorträge, Workshops, Pressekonferenzen – insgesamt 371.

Die AAAS ist so etwas wie ein Supermarkt der Wissenschaften. Auf dem Programm: Roboter und Mikroben, Himalaya-Eis und Wale, Sicherheitstechnik, Kalte Fusion, Pharmakogenomik und die Geheimnisse, die in der Spucke verborgen sind. Einiges ist neu, mehr ist älter und vieles Zukunftsvision. Wir waren für Sie dort, auf der AAAS, und haben uns mal umgeguckt, wo es um Gesundheit und Medizin ging. Hier ein kleines Tagebuch.

Der Karies-Risiko-Test - die Neuerfindung. Oder: Was Spucke so wertvoll macht

Tag eins, alle kommen zu spät. Das Marriott Wardman Hotel ist ein Labyrinth, noch hat keiner durchschaut, wo hier was ist. Im Raum Wilson B geht es an diesem Morgen um Spucke – und es wird spannend. Denn: Speichel ist das kommende Medium zur Früherkennung von Krankheiten, sagen Experten. Speichel ist leichter zu entnehmen als Blut, man kann damit nicht tricksen, was diese Art der Diagnostik auch für Drogentests geeignet macht – und außerdem ist er wesentlich patientenfreundlicher als der mit Blut oder Urin.

Speichel ist geladen mit Informationen, mit Krankheitskeimen, Hormonen, Antikörpern, DNS und RNS. Eine wichtige Rolle spielt auch das Speichelproteom – das Gesamtbild aller Proteine im Speichel, für dessen Entschlüsselung es zurzeit überall auf der Welt Forschungsprojekte gibt. Denn weiß man erst einmal, wie sie beim gesunden Menschen aussehen, lassen sich krankhafte Veränderungen besonders schnell und unkompliziert feststellen; bei Mundkrebs sei man schon sehr dicht dran an einem praktikablen Früherkennungstest, wird ein Redner später sagen.

Erster Vortrag, erster Satz: Sabbern ist eine ganz gewöhnliche menschliche Angewohnheit. Erstes Bild: ein fröhliches, speichelfädenziehendes Baby. Vorne steht Paul C. Denny, Professor an der Zahnärzte-Schule der University of South-California. Denny stellt an diesem Morgen den weltweit ersten Kariestest vor. Die Vision: Bald soll jedes Kind bei seinem Zahnarzt in einen Becher spucken können, der Zahnarzt taucht dann einen Papierstreifen hinein und kann anhand von Verfärbungen erkennen, welche Veranlagung für Karies das Kind in sich trägt. Der Test erkennt vier Risikogruppen, der Arzt kann dann dementsprechend vorbeugen, so dass, laut Denny, „theoretisch jedes Kind kariesfrei aufwachsen kann“.

Dennys Forschung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Zuckerketten im Speichel für Karies ursächlich sind. Diese Oligosaccharide sitzen auf der Oberfläche von Eiweißen, die in sechs verschiedenen Mundflüssigkeiten vorkommen, von Speichel bis Zahnbelag. Einige ziehen Kariesbakterien stärker an als andere. Denny sagt: Wenn Sie die richtigen Zuckerketten haben, kriegen Sie kaum jemals Karies. Das ist – weil genetisch – allerdings nicht beeinflussbar.

Die Forschung ist nach drei Jahren nun abgeschlossen, jetzt kommt die Entwicklung als verkäufliches Produkt. In einem Jahr soll es auf dem Markt sein, aber davor stehen Finanzierungsgespräche. Der Test selbst solle billig werden, etwa zehn Euro – und über eine Kooperation mit einem deutschen Hersteller dann auch in Deutschland zu haben sein.

Einarmiger Affe an Armprothese – wie das Gehirn künstliche Glieder steuern kann

Seit letzter Woche kann der Affe seinen künstlichen Arm auch dreidimensional bewegen, nach oben, nach unten, zur Seite. Er sieht eine Banane, greift danach – und hat sie. Dass der einstmals einarmige Affe seine Bewegungsfreiheit zurück hat, macht ein Hirnimplantat von der Größe eines Donut möglich, das mit einer Prothese kommuniziert. Andrew Schwartz hat es ihm eingesetzt, einer der bekanntesten Hirnforscher der Welt. Und jetzt auch einer der erfolgreichsten.

Die Zuhörer bei seinem Vortrag mitsamt brandneuem Affenfilm hatten zuerst ziemlich Mitleid mit dem armen Tier, das da mit einer Prothese aus Metall und Kunststoff herumfuchtelte. Schwartz machte die enorme Bedeutung seines Experiments jedoch sehr schnell deutlich. In nicht allzu ferner Zukunft sollen auch gelähmte Menschen wieder Arme und Beine haben, die sie frei bewegen können. Dank solcher Hirnimplantate wie Schwartz sie seinem Schimpansen eingesetzt hat. Das Funktionsprinzip: Die Elektroden in der Hirnrinde – 96 auf jeder Seite – registrieren die Befehle der neuronalen Impulse (jede Bewegung wird vorher im Gehirn als Impuls vorbereitet). Und schicken sie umgewandelt als Befehl mit kaum sichtbarer Verzögerung in die Prothese. Schwartz sagt: In zwei bis fünf Jahren werde man erste Modelle entwickelt haben.

Biofortification. Oder wie die Ernährung der Zukunft aussieht

Hätte man vor drei Jahren das Wort „Biofortification“ im Internet gesucht – man hätte nichts gefunden. Heute verzeichnet Google 7150 Treffer. Biofortification ist das Stichwort für die Ernährung der Zukunft. Es ist eine neue Wissenschaft, in der es darum geht, Grundnahrungsmittel so zu züchten, dass sie mehr Vitamine und Mineralien enthalten, um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Und hier gehört tatsächlich mal ein Deutscher zu den Pionieren: Joachim von Braun, früher Professor für Ernährungsökonomie in Bonn, jetzt Chef des „International Food Policy Research Institute“ in Washington.

Von Braun stellt an diesem Tag das vor drei Jahren gegründete Projekt „Harvest Plus“ vor, an dessen Durchführung auch sein Institut beteiligt ist: das erste große Projekt, das sich dem Mikronährstoffmangel der Ärmsten auf der Welt annimmt. Denn: Rund zwei Milliarden Menschen haben weniger als zwei Dollar pro Tag zur Verfügung und können sich eine gesunde Ernährung nicht leisten. Die schlimmsten Mängel: der an Vitamin A – rund 100 Millionen Kinder haben in Entwicklungsländern deshalb Sehstörungen –, und der an Zink und an Eisen. Harvest Plus versucht nun, Bohnen, Weizen, Mais, Süßkartoffeln und Reis so zu verändern, dass sie mehr von diesen Nährstoffen liefern.

Das Projekt ist privat finanziert, mit elf Millionen Dollar auf vier Jahre, ein großer Teil von der Melinda-Gates-Stiftung. Die Forscher, die in 16 Stationen überall auf der Welt arbeiten (eine auch in Freiburg), wenden zwei Methoden an. Einmal die Gentechnik – weil das aber bei Verbrauchern immer noch auf Misstrauen stößt, werden zwei Drittel des Budgets auf die herkömmliche Weise, auf Zucht und Kreuzung, verwandt. Es gebe nämlich, sagt Joachim von Braun, in der Natur schon sehr viel nahrhaftere Gemüsesorten als die, die auf dem Weltmarkt verkauft werden. Sie werden heutzutage aber nur noch selten verwandt, weil sie nicht so ertragreich sind. Deshalb versuchen die Forscher zum Beispiel, eisenreiche Sorten mit ertragreichen zu kreuzen. Mit Erfolg. Bei Bohnen stieg der Wert von ursprünglich 34 Eisenteilchen auf eine Million nach der Verbesserung der Pflanze auf 102 Teilchen auf eine Million, bei Zink in Weizen von 25 Teilchen auf 66. In einigen afrikanischen Ländern sind die neuen Pflanzen schon so weit entwickelt, dass es erste Verbraucherversuche gab.

Der Vorteil von Biofortification: Der Nährstoff wächst im Grundnahrungsmittel mit, muss nicht beigemischt werden und bleibt deshalb billig. Es sei doch widersinnig, fertigen Produkten Nährstoffe zuzugeben oder Pillen zu schlucken, wenn man ein besseres Produkt züchten könne, sagt von Braun. Die Biofortification werde irgendwann auch in den westlichen Nationen interessant werden.

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