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Gesundheit: Mit Engeln reden

Berliner Judaisten geben Klassiker der Magie heraus

Wenn man der Einleitung glauben will, geht das „Buch der Geheimnisse“ bis auf die Tage der Sintflut zurück. Der Erzengel Raziel soll es Noah offenbart haben. In lückenloser Generationenfolge gelangte es über Noahs Söhne zu Abraham und dann über Isaak und Jakob – bis zu König Salomo, in dessen Bibliothek das Sefer ha Razim (so der hebräische Originaltitel) „das teuerste, geehrteste, größte und schwierigste“ Buch von allen war. Jetzt wollen Berliner Judaisten diesen Klassiker der Magie herausgeben

Die Judaisten der Freien Universität datieren die Zusammenstellung des Textes auf das 7. oder 8. Jahrhundert nach Christus. Als Ursprungsort gilt Palästina oder Ägypten. Gefunden wurden die ältesten, fragmentarischen Textzeugen in einer Kairoer Synagoge. Die Überlieferung mit etwa 25 mehr oder weniger vollständigen Handschriften sowie einigen Dutzend Fragmenten zeigt: Der Text muss über ein Jahrtausend hinweg sehr beliebt gewesen sein. Nur die moderne Wissenschaft hat ihn lange links liegen gelassen. Das mag am Inhalt liegen: Es handelt sich um ein Handbuch der Magie, mit Anleitungen, wie man die Liebe einer Frau erringt, einen Gegner verflucht, beim Pferderennen gewinnt oder auch den Zeitpunkt des eigenen Todes bestimmt.

Bisher gibt es nur eine einzige moderne Ausgabe. „Sie genügt aber in keiner Weise wissenschaftlichen Ansprüchen“, sagt Bill Rebiger. Er ist Koordinator der Forschergruppe in Berlin-Dahlem, die gerade eine neue Edition erarbeitet. Der Vorgänger von 1966 hatte den Ehrgeiz, aus den vielen überlieferten Versionen einen „Urtext“ zu destillieren, ganz so, wie die Bibelwissenschaftler es in den letzten zwei Jahrhunderten vorgeführt haben. „Die Textüberlieferung und Textbearbeitung ist beim Sefer ha Razim aber derart komplex und auch korrupt“, erläutert Rebiger, „dass ein solcher Urtext, wenn es ihn jemals gegeben hat, nicht rekonstruiert werden kann.“

Die Berliner Judaisten gehen deshalb einen anderen Weg. Acht Textversionen werden parallel nebeneinander abgedruckt: mehrere hebräische Fassungen, und – erstmals im Druck – mittelalterliche Übertragungen ins Lateinische und ins Arabische, schließlich eine Wiedergabe auf Deutsch. Finanziert wird das Forschungsprojekt unter der Leitung von Peter Schäfer, Professor für Judaistik,von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Ebenfalls zum ersten Mal ediert wird in diesem Rahmen noch ein zweites Buch, das in den Handschriften unter demselben Titel erscheint. Es ist viel kürzer, aber dem längeren Text in groben Zügen ähnlich. Und mit einem noch höher gesteckten Anspruch: Als Empfänger wird statt Noah der erste Mensch Adam genannt.

Wird der Klassiker der jüdischen Magie irgendwann einmal auch als populäres Taschenbuch erscheinen und ähnliches Interesse hervorrufen wie die jetzt erschienene Neuübersetzung von Tausendundeine Nacht? Rebiger hält es für denkbar, dass sich die Esoterik-Szene den Text zu eigen macht. Aber eine praktische Anwendung erscheint angesichts der komplizierten Ratschläge eher unwahrscheinlich.

Ein Beispiel: „Wenn du die Liebe zu einem Mann in das Herz einer Frau legen möchtest, nimm zwei Kupferplättchen und schreibe auf sie von beiden Seiten die Namen dieser Engel sowie den Namen des Mannes und den Namen der Frau und sprich: ,Ich erbitte von euch, den Engeln, die über die Sternbilder der Kinder Adams und Evas gesetzt sind, dass ihr meinen Willen tut und das Sternbild von N.N., Sohn von N.N., der Frau N.N., Tochter der N.N., nahe bringt und er Gnade in ihren Augen und Huld findet. Gebt ihr keine Erlaubnis, mit einem anderen Mann zusammen zu sein ...’“

Frühere Generationen scheinen das Handbuch aber durchaus zu praktischen Zwecken genutzt zu haben, und zwar über das Judentum hinaus. Eine lateinische Übersetzung, die im 13. Jahrhundert am kastilischen Königshof entstand, war für ein christliches Publikum bestimmt. Das thematische Spektrum des Sefer ha Razim, das von Magie über Kosmologie bis zur Angelologie, der Engellehre, reicht, hat auch seine Aufnahme bei den Gelehrten in der Renaissance begünstigt. Ein Agrippa von Nettesheim scheint das Buch bei seinen Experimenten benutzt zu haben, ein Johannes Reuchlin interessierte sich mehr für die andere Seite, die der geheimen Namen und ihrer Überlieferung.

Josef Tutsch

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