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Gesundheit: Mit Mahnmalen beherrscht man die Vergangenheit

Dr. Brewster S.

Dr. Brewster S. Chamberlin (60), amerikanischer Historiker, gehörte seit dem Beginn der Kozeption für das US-Holocaust-Memorial-Museum in waashington D.C. zu dessen Planungsgruppe. 1986 übernahm er die Leitung des Archivs und der Bibliohek. Bis 1999 koordinierte er als Direktor der Abteilung "International Programs" die weltweiten Aktivitäten des Museums. Im Wintersemester 1999/2000 wird er als Gastptprofessor am Zentrum für Antisemistismusforschung der TU lehren. Ingo Bach sprach mit ihm über die Erfahrungen mit nationalen Mahnmalprojekten.

Herr Chamberlin, in Deutschland wird nun schon seit Jahren erbittert um ein zentrales Holocaust-Mahnmal gestritten. Nach dem der Bundestag in diesem Jahr beschlossen hat, das Mahnmal zu errichten, ist nun eine neue Debatte darüber im Gange, welche der beteiligten Seiten wieviel Einfluss auf das Konzept bekommt. Viele Beobachter finden dieses jahrelange Hickhack unverständlich und schädlich. Sie auch?

Ganz im Gegenteil. Derartige Debatten und das Kompetenzgerangel sind bei solchen Projekten völlig normal. Geht es dabei doch um eine gewichtige Frage: Wem gehört die Vergangenheit? Und sie gehört dem, der über die Mahnmal-Konzeption entscheidet. Oder, um mit George Orwell zu reden: "Wer die Vergangenheit kontrolliert, dem gehört die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, dem gehört die Vergangenheit." Kein Wunder also, dass darum heftig gestritten wird.

Auch wir Amerikaner haben da so unsere Erfahrungen. Die Gedenkstätte am Little Big Horn, wo 1876 General Custer von den vereinigten Indianerstämmen unter den Häuptlingen Crazy Horse und Sitting Bull vernichtend geschlagen wurde, ist so ein Beispiel. 200 US-Soldaten kamen bei der Schlacht ums Leben. Ihr Friedhof wurde später zum Nationaldenkmal erklärt und Custers Truppe als heldenhaft gefeiert. Und die Indianer, die waren natürlich die Feinde.

Doch vor etwa 10 Jahren wurde die Konzeption zugunsten der Indianer geändert: die Indianer-Lobby machte starken Druck und meinte: "Das ist Euer Geschichtsbild, nicht das unsrige. Aber wir waren auch dabei."

So ein Mahnmal kostet Geld, und gerade die Geldgeber werden es sich nicht aus der Hand nehmen lassen, bei der Ausgestaltung ein Wörtchen mitzureden.

Eine solche Auseinandersetzung haben auch wir sehr oft beobachtet. Vor etwa drei Wochen wurde in Washington der erste Spatenstich für das Native American Museum gefeiert - übrigens ohne dass ein architektonisches Konzept vorläge. Es war ein symbolischer Akt der indianischen Museums-Lobby, um das Projekt voranzutreiben. Denn seit nunmehr 15 Jahren wird um dieses Museum gerungen. Wie soll die Konzeption aussehen? Soll damit nur die Geschichte der Ausrottung der indianischen Urbevölkerung dokumentiert werden? Der Kongress und das Weiße Haus - die das Grundstück zur Verfügung gestellt haben und auch finanziell dabei sein werden - sind aus verständlichen Gründen gegen ein solches Konzept. Oder soll die indianische Kunst und Geschichte präsentiert werden? Oder aber das schlechte Leben der Indianer in den Reservaten in der Gegenwart? All diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten.

Also diskutieren auch die "Opfergruppen", derer in einem Mahnmal gedacht werden soll, um die Interpretationshoheit?

Ja, denn wer will sich schon allein über seinen Opferstatus definieren. Neben dem Native American Museum soll es in Washington bald auch ein zentrales Museum für die schwarze Bevölkerung in den USA geben, das African American Native Museum. Und gerade in der schwarzen Community wird darüber debattiert, ob die dortige Ausstellung nur die Geschichte der Sklaverei dokumentieren soll. Viele sagen: Wir haben eine eigene Geschichte und Kultur - wir definieren uns nicht nur über die Opferrolle.

Was kann ein Mahnmal leisten?

Es soll mahnen: so etwas darf nie wieder passieren. Und es soll die Erinnerung wachhalten daran, was passiert ist. Doch diesen Effekt kann kein Denkmalserbauer garantieren. Es regiert das Prinzip Hoffnung. Die Architekten können nur hoffen, dass sie das erreichen, was ihr Ziel war.

Spielt Größe für die Wirkung eine Rolle - je größer, desto beeindruckender?

Das hängt davon ab, wo sich das Denkmal befindet und woran man gedenken will. Am Little Big Horn zum Beispiel sind in jeder Richtung 200 Meilen freies Land, und so sind Denkmal und Friedhof entsprechend groß. Doch in Berlin ist der Platz begrenzt.

Aber eigentlich spielt Größe nur eine untergeordnete Rolle, wie die Soldatenfriedhöfe von Alamein in Ägypten zeigen. Hier, wo Ende 1942 das deutsche Afrikakorps unter Feldmarschall Rommel endgültig scheiterte und die britische Gegenoffensive startete, haben alle drei an der Schlacht beteiligten Nationen ein Mahnmal für ihre Gefallenen errichtet. Die Deutschen eine Art fester Burg, ein schwerer Bau, in den fast kein Licht fällt. Auch die Italiener, die auf deutscher Seite kämpften, setzten auf ein imposantes Gebäude, allerdings mit vielen Öffnungen. Die Briten dagegen errichteten nur flache, eigentlich wenig beeindruckende Gebäude. Doch erst dadurch ist das beeindruckende Meer von weißen Grabkreuzen ihres Friedhofes sichtbar.

Sie haben offensichtlich schon viele Mahnmale in der Welt gesehen. Welche fanden sie am besten?

Besser oder schlechter - solche Kategorien sind da unangebracht. Es muss eher heißen: funktioniert die Idee, weckt sie Emotionen und regt sie zum Nachdenken an. Neben der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und auch dem Washingtoner Holocaust Museum finde ich das Crazy Horse Memorial in den Black Hills am beeindruckendsten. Es zwingt einen geradezu, darüber nachzudenken, wann es entstanden ist und warum. Und es sagt etwas aus über menschliche Tiefe und Besessenheit im positiven Sinne. Ist es doch das Werk nur eines Mannes: Korczak Ziolkowski. Er wollte aus einem Felsen eine Reiterstatue von Crazy Horse schaffen. In jahrelanger Arbeit wurde daraus das Gesicht des Indianerführers der Schlacht am Little Big Horn. Auch nach seinem Tod 1982 wird die Arbeit weitergeführt: eines Tages soll das Monument 196 Meter lang und 172 Meter hoch sein. Doch schon das Gesicht ist derartig beeindruckend und passt so harmonisch in die Landschaft. Hier funktioniert Gigantismus also durchaus.

Funktioniert denn die Konzeption Ihres Museums?

Bei der Eröffnung des Museums im April 1993 erwarteten wir nicht mehr als 500 000 Besucher pro Jahr. Doch inzwischen haben wir zwei Millionen jährlich. Die meisten Besucher - zu 75 Prozent sind es Nichtjuden - kommen wegen der Dauerausstellung. Die Mehrheit zeigt sich bei den regelmäßigen Umfragen beeindruckt und gibt an, etwas gelernt zu haben. Das ist auch unsere Hauptaufgabe: das Lehren. In Berlin wird es anders sein: hier steht das Mahnen im Vordergrund, ist doch das Wissen um den Holocaust bei den Deutschen sehr verbreitet.

Unter den "Mahnmal-Profis" ist die Meinung geteilter. Dabei spielt natürlich auch Neid eine gewisse Rolle. Doch die meisten Profis sagen: es funktioniert.

Apropos Profi-Kritik. Was halten sie von dem Eisenmann-Entwurf, der nun im Berliner Holocaust-Mahnmal verwirklicht werden soll?

Ich mag es nicht. Was sollen die leeren Stelen aussagen? Dabei kann man solche Materialien sehr emotional gestalten. In Treblinka trägt eine Gruppe von Stelen die Namen von Vernichtungslagern und Vernichteten. Aber Eisenmanns Stelen - das ist eigentlich nur eine Einladung zum Vandalismus.

Chamberlins Vorlesung findet immer montags von 10 bis 12 Uhr im TU-Hochhaus am Ernst-Reuter-Platz statt, Raum TEL 909

Herr Chamberlin[in Deutschland wird nun schon sei]

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