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Gesundheit: Morgenröte der Menschheit

Wie wir von den Bäumen herabstiegen und die Welt eroberten: eine kurze Geschichte unserer Art

Wo stand die Wiege der Menschheit? Nach Urmenschen-Funden aus Europa und Südostasien beschrieb 1924 Raymond Dart einen fossilen Kinderschädel von einer Fundstelle am Südrand der afrikanischen Kalahari-Wüste. Das rund zwei Millionen Jahre alte Fossil eines Australopithecus africanus belegte durch die tiefe Lage des Foramen magnum, der Austrittsstelle des Rückenmarks aus dem Schädel, dass der aufrechte Gang bereits entwickelt war. Das Gehirn war nicht größer als bei Schimpansen und die Eckzähne waren stark verkleinert.

Lange wurde das „Taung-Baby“ jedoch als Schimpansen-Kind gehandelt. Die Wiege der Menschheit nach Afrika zu verlegen, passte vielen eurozentrierten Wissenschaftlern nicht so recht in das Konzept von der Evolution der Menschen. Der Paläontologe Robert Broom fand dann 1936 in einer Höhle bei Sterkfontein erstmals einen Schädel, der von einem erwachsenen Australopithecinen stammte, und bis heute wurden dort durch den Grandseigneur der Paläoanthropologie Phillip Tobias und sein Team mehr als 500 Überreste von Australopithecinen geborgen, kürzlich sogar ein vollständiges Skelett eines Vormenschen. Doch die Funde beschränkten sich nicht nur auf Südafrika.

Im östlichen Afrika gelang Mary Leakey 1959 der erste Hominiden-Fund in der Olduvai-Schlucht Tansanias. Der Schädel des „Nussknacker-Menschen“ Zinjanthropous boisei zeigte, dass neben den älteren grazilen auch geologisch jüngere robuste Vormenschen existierten. Später gelang Mary Leakey durch Funde von Fußabdrücken in Laetoli, Tansania, der Nachweis, dass der aufrechte Gang der Vormenschen bereits vor circa 3,6 Millionen Jahren entwickelt war.

Grabungen von Richard Leakey am Ostufer des Turkana-Sees in Kenia erbrachten in den 70er Jahren über 120 Schädelfragmente, Zähne und Skelettteile vor allem von robusten Australopithecinen und frühen Angehörigen der Gattung Homo. Auch in Äthiopien tauchten immer neue Vor- und Urmenschen-Fragmente auf.

Da es nun keine Zweifel mehr gab, dass die Wiege der Menschheit in Afrika stand, bleibt die Frage: wo genau in Afrika? Hierzu gibt es seit kurzem Hinweise. Aus sechs Millionen Jahre alten Schichten Kenias wurde 2000 der aufrecht gehende „Millennium-Mensch“ (Orrorin tugenensis) beschrieben, kurz darauf der 5,8 Millionen Jahre alte Ardipithecus kedabba aus Äthiopien, und 2002 die mit knapp sieben Millionen Jahren bislang ältesten Hominidenreste (Sahelanthropus tchadensis) aus dem Tschad.

Alle Funde stammen aus Lebensräumen, die weder Savanne noch tropischer Regenwald waren. Vor acht Millionen Jahren hatte eine globale Abkühlung zu einer Abnahme der großen Waldgebiete geführt, in denen die Menschenaffen verbreitet waren. An der Peripherie des Regenwaldes siedelten sie nun in Busch- und Flusslandschaften. Diese „Uferzonen-Habitate“ waren ideales Entstehungsgebiet für den aufrechten Gang. Bei einer geografischen Ausdehnung von fünf Millionen Quadratkilometern ist anzunehmen, dass sich mehrere geografische Varianten frühester zweibeiniger Vormenschen entwickelten.

Die Vormenschen behielten eine enge Verbindung zu den Uferzonen bei, die sich seit rund vier Millionen Jahren ausbreiteten. Schließlich entstanden mehrere geografische Varianten der Australopithecinen, zunächst im nordöstlichen (A. anamensis, A. afarensis), östlichen (Kenyanthropus) und westlichen Afrika (A. bahrelgazali) und bis vor etwas mehr als drei Millionen Jahren auch im südlichen Afrika (A. africanus).

Bereits vor 2,5 Millionen Jahren hatten sich in Ostafrika die Australopithecinen aufgespalten. Der älteste Nachweis hierfür (2,6 bis 2,4 Millionen Jahre) stammt aus Nord-Malawi mit Paranthropus boisei und Homo rudolfensis. Die eine Linie führt zur Gattung Homo, die andere zu den Nussknackermenschen (robuste Australopithecinen, Paranthropus).

Der für die Nussknackermenschen charakteristische massive Schädel entstand im Zusammenhang mit zunehmender Trockenheit in Afrika vor circa 2,8 und 2,5 Millionen Jahren. Lebensräume mit einem höheren Anteil an hartfaserigen und hartschaligen Pflanzen dehnten sich aus. Der Selektionsdruck dieser Habitatveränderung erhöhte die Chancen für Säugetiere mit großen Mahlzähnen, die sich das härtere Nahrungsangebot der Savannen erschließen konnten. Die Nussknackermenschen starben vor circa einer Million Jahren aus, wahrscheinlich wegen Konkurrenz mit anderen spezialisierten Pflanzenfressern, etwa Schweinen.

Zur Entwicklung der großen Zähne der robusten Australopithecinen muss es also eine Alternative gegeben haben: der Beginn der Werkzeugkultur, deren Anfänge ebenfalls 2,5 Millionen Jahre alt sind. Steinwerkzeuge brachten unvorstellbare Vorteile. Zufällig entstehende scharfkantige Abschläge wurden als Schneidewerkzeuge eingesetzt. Das Bearbeiten von Fleisch und das Zerlegen von Kadavern erfuhren eine Revolution.

Unter dem Druck der Umweltveränderungen war es die Fähigkeit der Hominiden zu kulturellem Verhalten, die die Gattung Homo entstehen ließ. Im Gegensatz zu den robusten Vormenschen waren unsere Vorfahren flexibler. Eine Entwicklung, die auch zu einem größeren und leistungsfähigeren Gehirn führte.

Vor etwa zwei Millionen Jahren entstanden dann ebenfalls in Afrika Hominiden mit größerem Skelett und massivem Knochenbau: Homo erectus. Anatomische Merkmale zeigen, dass unsere Vorfahren rennen konnten. Das Gehirnvolumen nahm zu, von 800 bis 900 Kubikzentimeter vor knapp zwei Millionen Jahren bis zu 1100 bis 1200 Kubikzentimeter vor einer halben Million Jahren. Die Fähigkeit, das Feuer zu nutzen, als auch entwickelte Jagdtechniken waren wichtige Voraussetzungen, Afrika zu verlassen, um in der Ferne nach Beute zu suchen und den Lebensbereich auszudehnen.

Die ältesten Nachweise der Besiedlung Asiens reichen zwei Millionen Jahre zurück. Damals verließ der frühe Homo erectus oder ein später Homo rudolfensis zum ersten Mal Afrika. Möglicherweise ist auch Homo floresiensis, der bis vor 18 000 Jahren auf der indonesischen Insel Flores überlebt hat, ein Nachfahre dieses ersten Auswanderers aus Afrika.

Europa wurde vor etwa einer Million Jahren erstmals besiedelt (Homo heidelbergensis). Deren Nachkommen waren an das Leben in der Eiszeit angepasst: die Neandertaler.

Trotz ihrer Anpassung an das eisige Klima Europas haben die Neandertaler nicht überlebt. Ein Grund dafür müssen die modernen Menschen gewesen sein, die in Afrika vor spätestens 150 000 Jahren entstanden waren, während die Neandertaler in Europa den Höhepunkt ihrer Entwicklung noch lange nicht erreicht hatten. Im Nahen Osten siedelten sie gemeinsam mindestens 50 000 Jahre lang.

Die Neandertaler wurden nicht schlagartig ausgerottet. Nur nach und nach gewann der moderne Mensch die Oberhand. Vielleicht deshalb, weil sich die modernen Menschen viel stärker vermehrten. Und unsere Vorfahren machten eine Erfindung, die ihnen einen entscheidenden Vorteil verschaffte: die symbolhafte Sprache. Damit brach eine rasante kulturelle Entwicklung an. Erstmals lässt sich seit 35 000 Jahren Kunst, die hohes Abstraktionsvermögen und ästhetisches Empfinden voraussetzt, nachweisen. Zur selben Zeit rangen die letzten Neandertaler ums Überleben. Vergeblich.

Aber auch der heutige Mensch hat noch nicht bewiesen, dass er seiner Welt erfolgreicher gerecht werden kann.

Der Autor ist leitender Wissenschaftler am Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main.

Friedemann Schrenk

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