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Gesundheit: Müßiggang

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

Kann etwas Wert haben, was dem Volksmund nach „aller Laster Anfang“ sein soll? Wenn ich als Kind zu lange im Bett liegen blieb, wies mich meine Mutter mit den unvergesslichen Worten „Man soll dem lieben Gott nicht den Tag stehlen“ ins Badezimmer. Und ich unterdrückte mehr als einmal die Frage, ob man dem Herrn der Zeiten tatsächlich so einfach einen ganzen Tag aus den Händen winden könne. Einst bezeichnete der Ausdruck Müßiggang durchaus etwas Positives, nämlich das Vermeiden von lasterhaften Personen und Haltungen – so wünschte man einander im sechzehnten Jahrhundert, „dass wir in gutem Frieden stehn / der Sorg und Geizes müßig gehen“.

Heute verbinden die meisten mit dem Begriff nur noch Untätigkeit, Nichtstun und Faulheit. Man kann dem Müßiggang verfallen wie dem Alkohol: Wer einmal damit angefangen hat, ganze Tage im Halbschlaf zu vertändeln, kommt am Ende gar nicht mehr aus dem Bett.

Der Müßiggang mag in der modernen Industriegesellschaft viele stille Freunde haben, aber kaum einer davon bekennt sich öffentlich zu ihm, im Gegenteil: „Die Müßiggänger schiebt beiseite!“, heißt es beispielsweise schon in der deutschen Übersetzung der „Internationale“. Und natürlich wird schon deswegen kein Gewerkschafter, der immer noch eine weitere Absenkung der Wochenarbeitszeit fordert, dies mit der dadurch gesteigerten Möglichkeit zu Müßiggang begründen.

Wäre es aber nicht sinnvoller, den Begriff und die damit gemeinte Sache ein Stück weit öffentlich zu rehabilitieren? Schon Goethe hat in einer Tagebuchnotiz seiner italienischen Reise 1787 darauf aufmerksam gemacht, dass es „wohl eine nordische Ansicht sein könnte“, jeden für einen Müßiggänger zu halten, „der sich nicht den ganzen Tag ängstlich abmüht“. Selbst wenn der aus Weimar in den Süden geflohene Dichter dann doch so nordisch gesinnt war, dass er das in seinen Augen eher nachrangige künstlerische Niveau der neapolitanischen Malerei mit der dominanten Genusssucht der Einwohner verband, spürt man seiner Beschreibung der alltäglichen Geschäfte in der barocken Stadt zu Füßen des Vesuvs durchaus eine gewisse Faszination für gepflegten Müßiggang an.

Gelingt denn wirklich qualitätvolle Arbeit ohne ein gewisses, natürlich nicht übertriebenes Maß an Müßiggang? Und kann der, der stets ängstlich und hektisch durchs Leben eilt, wirklich etwas Rechtes zustande bringen?

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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