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Gesundheit: Multiple Sklerose: Die Hoffnung wächst

Zunächst waren es nur leichte Unsicherheiten beim Gehen, später stürzte der junge Wissenschaftler schwer und brach sich das Knie. Dann kam die Diagnose: Multiple Sklerose.

Zunächst waren es nur leichte Unsicherheiten beim Gehen, später stürzte der junge Wissenschaftler schwer und brach sich das Knie. Dann kam die Diagnose: Multiple Sklerose. Die Sprache wurde stockend, die Schübe wurden zahlreicher, der Kranke blieb zu Hause. Seine Frau arbeitete im Büro, er kümmerte sich um die beiden Kinder. Die Familie hielt zusammen, doch die Krankheit verschlimmerte sich, bald wird der jetzt 45-Jährige im Rollstuhl sitzen.

Multiple Sklerose hat viele Gesichter. Warum die Autoimmunkrankheit ausbricht, weiß man bis heute nicht genau. Fest steht, dass das Immunsystem falsch programmiert ist und den eigenen Körper attackiert. Die Schutzschicht, die die einzelnen Nervenfasern umhüllt, das so genannte Myelin, geht nach und nach kaputt. Nervenimpulse können nicht mehr richtig weitergeleitet werden. Der MS-Kranke spürt beispielsweise unangenehmes Kribbeln, er kommt vermehrt ins Stolpern oder fängt an, schlechter zu sehen. Seh- und Sprachstörungen, Schwindel, Taubheitsgefühl oder Lähmungserscheinungen sind einige typische Symptome der Krankheit.

Zweieinhalb Millionen Betroffene

Weltweit sind etwa zweieinhalb Millionen Menschen von Multipler Sklerose betroffen, in Deutschland schätzungsweise 120 000, Frauen zweimal häufiger als Männer. Die Krankheit, die meist im Alter zwischen zwanzig und vierzig Jahren ausbricht, verläuft individuell sehr unterschiedlich. Nicht selten bilden sich die Anfangssymptome wieder zurück oder es verbleiben nur geringe Beeinträchtigungen. Am Ende muss nicht unbedingt der Rollstuhl stehen. Nur rund die Hälfte der Patienten sind nach etwa fünfzehn Jahren so behindert, dass sie Unterstützung beim Laufen brauchen. Selbst wenn schwere Behinderungen ausbleiben, bringt die Ungewissheit über den weiteren Verlauf große Belastungen für Betroffene und Angehörige mit sich.

Seit langem ist bekannt, dass Multiple Sklerose im Wesentlichen in zwei unterschiedlichen Formen verlaufen kann. Die meisten Kranken erleben in der Anfangsphase wiederkehrende Schübe, zwischen denen sich die Symptome jedoch teilweise oder vollständig zurückbilden können. Nicht selten bleiben aber im Nervengewebe Narben zurück (Sklerosen). Vier von fünf Betroffenen kommen später in den "sekundär progredienten" Verlauf, bei dem die Schübe seltener werden und schließlich ganz ausbleiben. Es gibt aber auch Patienten, die von Anfang an gar keine Schübe bekommen. Bei dieser "chronisch progredienten" Form nimmt die Behinderung stetig zu.

Nach dem Umstand, ob Schübe auftreten oder nicht, und in welcher Phase der Krankheit sich der Patient befindet, richtet sich auch die Therapie. Schwierig ist zunächst einmal die Diagnose, da die Beschwerden anfangs relativ unspezifisch sein können. Die Symptome könnten auch auf andere Leiden zurückgehen. Die Klärung beginnt mit gründlichen neurologischen Untersuchungen. Computertomographie kann andere Erkrankungen des Nervensystems ausschließen. Die meisten Erkenntnisse bringt die Kernspintomographie. Bei Verdacht auf Multiple Sklerose wird das Nervenwasser, auch Liquor genannt, auf bestimmte Eiweißstoffe untersucht, die auf Entzündungen des zentralen Nervensystems hindeuten.

"Eine kausale Therapie gibt es nicht", sagt Peter Schwoerer, Leiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Baden-Württemberg und Berater der Berliner AOK. Während oder nach den Schüben wird seit vielen Jahren das entzündungshemmende Kortison eingesetzt. Wirksamer in den Verlauf der Krankheit greifen so genannte Beta-Interferone ein. Als erstes Medikament erhielt 1995 "Betaferon" die Zulassung für die Behandlung des schubförmigen Verlaufs. Später kamen "Avonex" und "Rebif" dazu. Die Zulassung ist beschränkt auf Patienten, die noch gehfähig sind. Als einziges Interferon wurde Betaferon 1999 auch für den chronisch-progredienten Verlauf zugelassen. Beta-Interferone sind in der Lage, die Schübe und die Zahl der Verletzungen im Gehirn (Läsionen) zu reduzieren. Nebenwirkungen sind fieberähnliche Symptome oder Hautreizungen an der Einstichstelle.

Ein weiteres Mittel ist "Glatirameracetat" (COP-1), ein Gemisch aus Aminosäuren mit dem Handelsnamen Copaxone. Das in den USA, Schweiz oder England zugelassene Medikament deckt weitgehend denselben Bereich ab wie die Interferone. Für Deutschland wird die Zulassung zum Jahresende erwartet. Für den schubförmigen Verlauf und die sekundär-progrediente Form ist in den USA zudem "Mitoxantron" (Handelsname "Novantron"), zugelassen. In Deutschland ist dieses Präparat nicht für die Therapie der Multiplen Sklerose zugelassen, ebenso wenig wie die "Immunglobuline", die aus menschlichem Blut gewonnen werden.

Streitfall Immunglobuline

Immunglobuline spielen eine wichtige Rolle im menschlichen Immunsystem. Patienten mit einem entsprechenden Defizit erhalten diese Substanzen als Ausgleich. Die Wirksamkeit bei Multipler Sklerose ist nach Meinung der Krankenkassen bisher nicht ausreichend belegt. Die Arbeitsgruppe "Arzneimittel" weist zudem auf möglicherweise schwere Nebenwirkungen hin, die jedoch in anderer Form auch bei den übrigen Medikamenten auftreten könnten.

In letzter Zeit gab es in Berlin Streit um die Bezahlung von Multiple Sklerose-Medikamenten. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), die die Interessen von Betroffenen vertritt, warf einigen Kassen vor, die bisherige erfolgreiche Therapie nicht mehr zu bezahlen. Die Fälle würden immer mehr zunehmen. Es geht dabei um "Copaxone", "Mitoxantron" und insbesondere um die Immunglobuline. Vor allem für MS-Erkrankte mit Kinderwunsch, Frauen und Männer, sei dieses Mittel wichtig, sagt Ilona Nippert, Geschäftsführerin der DMSG. Auch während der Schwangerschaft kämen Beta-Interferone wegen der Nebenwirkungen nicht in Frage.

"Beta-Interferone sind die Mittel erster Wahl", betont Schwoerer den Standpunkt der Kassen. Erst wenn diese Medikamente nicht wirkten, kämen die übrigen zugelassenen und verkehrsfähigen Präparate in Frage. Die Entscheidung müssten die Ärzte zusammen mit den Patienten treffen. Die Mittel würden von den Kassen auch bezahlt. Die verschiedenen Präparate sind im übrigen nahezu gleich teuer. Die jährlichen Kosten liegen etwa bei 30 000 Mark.

Problematisch sieht Schwoerer die Immunglobuline, da Wirkung und Nebenwirkungen nicht ausreichend durch Studien belegt seien. "Wenn allerdings die bewährten Therapien nicht vertragen werden und Krankheitsverlauf sowie Stand der Behinderungen es erlauben, sind so genannte Heilversuche möglich". Die Heilversuche müssten durch den medizinischen Dienst genehmigt und klar dokumentiert werden.

Paul Janositz

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