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© avatra/espn

Musikergesundheit: Kein leichtes Spiel

Musiker üben oft jahrzehntelang die gleichen Bewegungen aus. Das hinterlässt seine Spuren In Berlin gibt es 30 spezialisierte Ärzte und ein eigenes Institut, das sich mit Musikergesundheit befasst.

Wer ins Konzert geht, erwartet positive Emotionen, Hörgenuss, Glücksgefühle. Aber würde er hinter die Kulissen blicken, so würde er sehen, dass zum musikalischen Universum nicht nur berückende Klänge gehören. Sondern auch Schmerzen, Verzerrungen, Verrenkungen, Schwerhörigkeit, Depressionen. „Viele wissen gar nicht, mit wie viel Anstrengung, Konflikten und Leid diese wunderbaren Klänge erkauft sind.“ Helmut Möller weiß es. Der emeritierte Professor für Sozialmedizin berät seit vielen Jahren Musiker, die mit gesundheitlichen Problemen zu ihm kommen. 2002 hat er das Kurt-Singer-Institut für Musikergesundheit gegründet, das an der Universität der Künste und der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ angesiedelt ist. Damit hat er eine Tradition der Beschäftigung mit der Gesundheit von Musikern wiederbelebt, die in Berlin im 19. Jahrhundert begann. Besonders Kurt Singer (1885–1944), Neurologe und Musikwissenschaftler, hatte sich hier hervorgetan.

In der Musikmetropole Berlin ist Musikergesundheit ein wichtiges Thema, denn hier gibt es nicht nur sieben große Orchester, sondern auch die beiden Musikhochschulen und 21 Musikschulen. Insgesamt, so schätzt das Institut, leben hier rund 4900 Berufs- und 23 000 Laienmusiker. Ihre Gesundheit wird dadurch gefährdet, dass sie oftmals über Jahrzehnte hinweg die gleichen Bewegungen ausführen. Die Kunst ist ohne Opfer nicht zu haben: Viele Probleme sind schlicht nicht lösbar, sie können nur gelindert werden. Musiker beginnen so früh wie sonst nur Sportler mit ihrer Tätigkeit, nämlich im Kindesalter, hören aber nicht mit 35 auf. Und sie können, anders als die Besucher eines Konzerts, ihre Körperhaltung nicht alle paar Minuten ändern, was ein menschliches Grundbedürfnis ist. Dazu kommt das Lampenfieber: „Sind wir aufgeregt“, erklärt Helmut Möller, „spannen sich unsere Muskeln an. Das ist ein archaischer, gesunder Impuls: Er bereitet die Flucht vor. Ein Musiker aber kann nicht fliehen. Die Folgen sind Störungen der Feinmotorik und Fehler, die die Angst weiter steigern.“

Das Kurt-Singer-Institut bietet Lehrveranstaltungen an und ist außerdem Anlaufstelle für Fragen aller Art. Laien, Profis, Studierende und Lehrer kommen hierher. Behandelt werden sie nicht, aber überwiesen an einen von rund 30 Ärzten in Berlin, die in der Regel selbst ein Instrument spielen. Eine davon ist die Sportärztin und Chirotherapeutin Pia Skarabis, die jahrelang die Auslandsreisen der Berliner Philharmoniker begleitet hat. In ihrer Friedenauer Praxis behandelt sie rund 200 Berufsmusiker im Jahr. „Die meisten gesundheitlichen Probleme von Musikern haben mit dem Bewegungsapparat zu tun“, sagt sie, „also mit Sehnen, Muskeln und Gelenken, etwa mit der Daueranspannung der Streckmuskulatur im Gegensatz zur Beugemuskulatur.“

2005 hat sie das Buch „Der gesunde Musiker“ (Henschel-Verlag) veröffentlicht, in dem sie detailliert die Probleme der einzelnen Instrumentengruppen beschreibt und Ausgleichsübungen empfiehlt. So müssen Geiger und Bratscher die linke Hand und den linken Unterarm stark nach außen drehen – das so genannte Supinieren –, um die Saiten greifen zu können. Das kann zu chronischen Schmerzen führen. Kontrabassisten belasten vor allem die rechte Schulter, da sie mit dem Arm extrem tief greifen müssen. Für Bläser ist es besonders problematisch, dass sie die Arbeit meist im Sitzen ausführen, weil dabei Verspannungen im Hals-Zungen-Bereich und im Lippenpolster, dem sogenannten Ansatz, gefördert werden. „Am schlimmsten aber“, sagt Skarabis, „ist die Querflöte.“ Bei ihr muss der Spielende entweder den Kopf sehr stark neigen, was die Halswirbelsäule belastet, oder die Arme sehr hoch halten, was der Schulter nicht guttut. „Es ist praktisch nicht möglich, Querflöte in einer physiologischen Haltung zu spielen“, schreibt Skarabis. Besonders gesund arbeitet dagegen der Schlagzeuger, da er als Einziger seine Körperhaltung ständig ändert. Allerdings ist das auch nur eine Seite der Medaille. Gerade Schlagzeuger haben oftmals über längere Strecken nichts zu tun, wenn dann aber der eine Schlag, den man bis in die hintersten Reihen hört, nicht punktgenau sitzt, kann er das ganze Konzert zerstören. Das erzeugt enormen psychischen Stress. Dazu kommt das nicht lösbare Lärmproblem. Adelheid von Borries vom Arbeitsmedizinischen Dienst ist die Betriebsärztin der Berliner Philharmoniker. Sie sagt, dass Orchestermusiker quasi ständig mehr als 85 Dezibel – die Grenze, die als gehörschädigend gilt – ausgesetzt sind. Trompeter und Schlagzeuger können 120 Dezibel erzeugen, was dem Lärm eines startenden Flugzeugs entspricht, die Pauke sogar bis zu 140 Dezibel. Von Borries befasst sich auch mit ergonomisch richtigen Stühlen, der Beleuchtung der Pulte und dem Luftzug im Orchestergraben.

Neben solchen handfesten Problemen gibt es die psychologischen. In seiner Marienfelder Wohnung, gleich neben dem Haus, in dem Arnold Schönberg 1915 gewohnt hat, empfängt Helmut Möller, der selbst Cello spielt, noch regelmäßig Profimusiker. In den Gesprächen geht es um Monotonie, Versagensängste, Selbstentwertung und das Paradox, dass Musiker regelmäßig im Kollektiv aufeinander hören müssen, gleichzeitig aber aufgrund ihrer jahrelangen abgeschotteten Ausbildung erhebliche soziale Defizite haben können. Was er erreichen möchte: dass Musiker ihr Körpergefühl und ihre innere Wahrnehmung steigern und überhaupt ein Bewusstsein für die gesundheitlichen Herausforderungen ihres Berufes entwickeln.

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