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Gesundheit: Muster im Teppich des Lebens

Vor kurzem verschickte die Fachzeitschrift „Nature“ ein Gratis-Plakat an ihre Abonnenten. Auf schwarzem Grund waren da ein paar rote, blaue, gelbe und grüne U-Bahnlinien abgedruckt.

Vor kurzem verschickte die Fachzeitschrift „Nature“ ein Gratis-Plakat an ihre Abonnenten. Auf schwarzem Grund waren da ein paar rote, blaue, gelbe und grüne U-Bahnlinien abgedruckt. Aber diese Bahnlinien führen nicht ans Ziel, sondern in den Tod. Die Karte verzeichnet die einzelnen Stationen und Verkehrswege, die in der Krebszelle von Bedeutung sind: Moleküle, die die Zelle sich unablässig und immer schneller teilen lassen, die sie unsterblich werden lassen, die das Letzte aus ihr herausholen und Wachstumsbremsen ausschalten.

Das Beispiel zeigt, vor welcher Herausforderung die moderne Biologie steht. Genom- und Protein-Projekte etwa produzieren unablässig Daten, die sortiert, eingeordnet und bewertet werden wollen. Mit Sammelwut allein ist es da nicht mehr getan, und so versucht etwa die Harvard-Universität an einem neuen Genom-Zentrum verschiedene Fächer an einen Tisch zu bringen, um auf diese Weise den Daten Sinn zu geben.

Auch in Berlin hat man sich des Themas unter der Überschrift „Theoretische Biologie“ angenommen. Seit mehr als zehn Jahren sind Biologie-Theoretiker am Wissenschaftskolleg zu Gast, an der Humboldt-Universität wurde ein Innovationskolleg gegründet, und seit kurzem darf man sich auch noch über einen Sonderforschungsbereich freuen. Am Mittwoch trafen sich die Theoretiker des Lebens bei einem Symposium der Schering-Forschungsgesellschaft und des Berliner Wissenschaftskollegs im Harnack-Haus zu einer Zwischenbilanz.

Wichtigstes Hilfsmittel der neuen Disziplin ist die Mathematik. Mit ihrer Unterstützung entdecken die Forscher versteckte Muster im Teppich des Lebens. Etwa der Physiker Laurenz Wiskott von der Humboldt-Universität, dessen Team Sehvorgänge des Gehirns untersucht. Auge und Gehirn machen zunächst „Schnappschüsse“ der Umwelt. Jedes Bild ist ein bisschen anders als das vorherige. Das bedeutet: Das Gehirn registriert zunächst die Veränderungen in seiner Umgebung, zum Beispiel die Bewegung einer Kaffeetasse. Auf der nächsten Stufe arbeitet es dann das Gleichbleibende heraus – die Kaffeetasse selbst. So entwickelt es aus den Momenteindrücken wieder einen zusammenhängenden, „ruhigen“ Film. Es entdeckt die Langsamkeit der Welt. Wiskott hat diesen Prozess am Computer mit Hilfe mathematischer Kochrezepte (Algorithmen) simuliert. „Wir konnten komplexe Strukturen auf einfache Prinzipien zurückführen“, sagte Wiskott.

„Ohne mathematische Instrumentarien läuft in der biologischen Forschung nichts mehr“, stellte Rüdiger Wehner von der Universität Zürich mit Genugtuung fest. Als ständiges Mitglied des Wissenschaftskollegs ist Wehner so etwas wie der Geburtshelfer der Berliner Bio-Theoretiker. Aber Wehner schränkte auch ein: „Biologische Weltformeln, aus denen sich Lebensphänomene generell ableiten ließen, sind nicht in Sicht.“

„Wir brauchen die Theoriebildung, um in der Biologie und Medizin weiterzukommen“, sagte Günter Stock, Forschungschef der Pharmafirma Schering. Aber deshalb gleich ein Fach begründen? Peter Hammerstein von der Humboldt-Universität konterte: Es sei wichtig, die Prinzipien des Lebens in einer eigenen Disziplin zu untersuchen. Fragt sich, ob die Biologie-Studenten schon wissen, was sie erwartet. Denn mancher wird sein Fach gewählt haben, weil die Biologie zwar eine Naturwissenschaft ist, aber scheinbar „ohne“ Mathe auskommt. Welch ein Irrtum. Hartmut Wewetzer

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