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Gesundheit: Neuer Lügendetektor: Was ich weiß, macht mich heiß

Da Lügen selten an ihren sprichwörtlich kurzen Beinen zu erkennen sind, bemühen sich Wissenschaftler um verlässlichere Methoden der Wahrheitsfindung. Auch der heftig umstrittene Lügendetektor lässt wegen seiner massiven Fehlerquote zu wünschen übrig.

Da Lügen selten an ihren sprichwörtlich kurzen Beinen zu erkennen sind, bemühen sich Wissenschaftler um verlässlichere Methoden der Wahrheitsfindung. Auch der heftig umstrittene Lügendetektor lässt wegen seiner massiven Fehlerquote zu wünschen übrig. Mit einem neuartigen Verfahren, das Anleihen bei der kognitiven Psychologie und der Gehirnforschung macht, will man den gespaltenen Zungen jetzt direkt in den Kopf hineinschauen.

Der klassische Lügendetektor basiert darauf, dass der Stress beim Verdrehen der Tatsachen ein "Nachbeben" im vegetativen Nervensystem erzeugt. Mit tragbaren Mehrkanalschreibern (Polygraphen) fühlt man daher dem Puls, der Hautleitfähigkeit und anderen vegetativen Reaktionen auf den Zahn. Beim "Kontrollfragentest", der in der Praxis dominiert, werden die brenzligen Punkte ("Sind Sie der Mörder?") immer wieder von heiklen Fragen ("Haben Sie vor dem 18. Lebensjahr je etwas gestohlen?") abgelöst, die auch jeden Unschuldigen zum Schwitzen bringen müssen. Man nimmt an, dass nur der Schuldige systematisch stärker auf die relevanten Fragen reagiert.

Der Lügendetektor ist jedoch in Verruf geraten, weil er zu häufig daneben tippt. Oft genug schlägt das Vegetativum der Unschuldigen bei den kritischen Fragen Alarm, während "psychopathische" Missetäter durch ihr dickes Fell gegen Schuldreaktionen gewappnet sind. Im Internet sind zahlreiche Empfehlungen zu finden, wie man dem Detektor durch Lippenbisse oder Analverkrampfung ein Schnippchen schlägt. Man schätzt, dass der klassische Lügendetektor 25 Prozent der Unschuldigen "falsch positiv" als Lügner diffamiert.

Mit dem "Tatwissentest" existiert schon länger eine Weiterentwicklung, die bisher allerdings nur in Labors verwendet wird. Sie stützt sich auf die Erkenntnis, dass es bei jeder Tat bestimmte Dinge gibt, die nur tatbeteiligte Personen wissen können. Aus diesem Grund rückt man den Verdächtigten mit Fragen wie "War das Tatfahrzeug rot?" oder "War es blau?" auf den Leib. Im Detektor "klingelt" es, wenn der Befragte unentwegt bei den zutreffenden Optionen vegetativ ins Schleudern kommt.

Man kann allerdings nie gewährleisten, dass die Kontrollfragen den Unschuldigen wirklich mehr unter den Nägeln brennen als die tatbezogenen Fragen. Außerdem kranken beide Verfahren daran, dass ihnen mit der vegetativen Erregung nur der schwache Abglanz des ursprünglich geistigen Lügenaktes in die Schlinge geht. Um die Lüge direkt am Ort ihrer Entstehung im Hirn zu fassen, zogen die beiden Psychologen Lawrence A. Farwell und Emanuel Donchin von der University of Illinois Anfang der 90er Jahre mit Förderung durch den CIA "ereignisbezogene Potenziale" zu Rate. Im Gegensatz zum Standard-EEG, das dem Getöse über einem Fußballplatz gleicht, spiegeln diese Kurven die geistige Verarbeitung einzelner Reize und Gedanken wider. Da sie im Rauschen des Gehirnes untergehen, müssen sie durch mehrmalige Wiederholungen und Mittelwertsbildungen herausgefiltert werden.

Farwell und Donchin griffen auf die bewährte P300-Komponente zurück, die das Großhirn etwa 300 Millisekunden nach der Darbietung von Sinnesreizen durchzuckt. Man muss die Probanden nur auffordern, einige seltene Reize aus einer Serie von häufigeren Reizen herauszupicken. Als Material können etwa unterschiedlich hohe Töne oder Wörter aus unterschiedlichen semantischen Kategorien dienen. Die nach Zufall eingestreuten selteneren Reize werden vom Gehirn stets mit einer P300-Komponente quittiert. Selbst wenn keine explizite Unterscheidungsaufgabe gestellt wurde und zuweilen im Koma zeigt diese Kurve das Auftreten "herausragender" Reize an.

Die Aufgabe bestand darin, tatbezogene Informationen, über die nur Schuldige verfügen, so zu präsentieren, dass sie dem Täter das verräterische Aha-Potenzial entlockten. Dazu wurden die tatbezogenen Fakten in eine Serie von Elementen eingestreut. So nahmen die Forscher Versuchsteilnehmer aufs Korn, die zum Teil die Rolle eines Spions spielten, der Geheiminformationen besaß. Sie hatten die Aufgabe, eine Serie von Begriffen auf dem Monitor zu verfolgen und beim Erscheinen bestimmter, zuvor abgemachter Zielbegriffe einen Knopf zu drücken. Neben den neutralen und den herausgehobenen Begriffen enthielt die Serie aber auch die Geheimwörter, die nur für "Spione" als nicht-neutral erkennbar waren. Die Auswerter sollten sich nur auf Basis der registrierten P300-Potenziale ein Urteil über Schuld und Unschuld bilden. In 12,5 Prozent der Fälle konnten die Juroren wegen mehrdeutiger Messungen kein Verdikt aussprechen. Doch bei den tatsächlich vorgenommenen Zuordnungen war die Trefferquote hundertprozentig exakt. Das Verfahren hielt "Täter" und "Unschuldige" korrekt auseinander, indem es auf den Akt des Erkennens und Einordnens abhob, der sich willentlich nicht unterdrücken lässt.

In der Zwischenzeit hat Farwell das Verfahren optimiert, das nun durch computerisierter Messungen einen umfassenden Hirnwellen-Fingerabdruck der Erkennungs-Reaktion erhebt. Bei seinen Experimenten traten unter anderm CIA- oder FBI-Agenten gegen Zivilisten an. An das EEG verkabelt, gaben sich alle Beteiligten als Zivilisten aus. Ohne eine mehrdeutige Messung gingen dem Detektor 100 Prozent der Zivilisten und 100 Prozent der Agenten ins Netz. Die Täuscher flogen durch verräterische Hirnkurven bei bestimmten Insider-Informationen auf.

In der Literatur werden jetzt auch diverse Weiterentwicklungen beschrieben. Psychologen an der University of Michigan haben die Fachwelt gerade mit einer Low-Tech-Variante überrascht. Statt die Hirnaktivität abzuleiten, hielten sie lediglich die Reaktionszeit fest. Probanden, die aufrichtig die Angabe machten, ein dargebotener Stimulus sei unbekannt, konnten die "Nein"-Taste in einer halben Sekunde drücken. Bei Lügnern zog sich der gleiche Akt über eine Sekunde hin. Selbst als man ihnen den Umstand erklärte und Gelegenheit zum Trainieren gab, konnten sie nicht schneller drücken. "Das ist eine einfache und billige Methode, den Tatwissenstest durchzuführen", meinen die Forscher. "Man kommt mit einem PC und einem Keyboard aus."

Rolf Degen

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