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Gesundheit: Neurologie: Doppelagenten des Gehirns

Giacomo Rizzolatti von der Universität Parma konnte es kaum fassen. Was sich da plötzlich im Gehirn seines Versuchsaffen abspielte, war ja auch wirklich ein starkes Stück.

Giacomo Rizzolatti von der Universität Parma konnte es kaum fassen. Was sich da plötzlich im Gehirn seines Versuchsaffen abspielte, war ja auch wirklich ein starkes Stück. "Unglaublich!", sagt Rizzolatti. Schon lange hatte der Neurowissenschaftler festgestellt, dass es im Affenhirn Areale gibt, die feuern, wenn die Tiere zielgerichtete Handlungen ausführen. Es sind genau lokalisierbare Nervenzellen, die aktiv werden, wenn die Affen etwa Bananen, Trauben oder Nüsse vom Fußboden aufheben und verspeisen. "Erdnüsse sind am interessantesten, denn sie zu öffnen erfordert große Geschicklichkeit", erklärt Rizzolatti.

Es lag nahe, die Neuronen im Gehirn als Kommandostellen zu verstehen, die einzelnen Muskelgruppen Befehle erteilen und so Bewegungen auslösen. Rizzolatti und sein Forscherteam maßen daher, während die Affen agierten, - "Für die Tiere völlig schmerzfrei, schreiben Sie das bitte!" - über Elektroden den Aktivierungsgrad in den einschlägigen Gehirn-Arealen. Doch eines Tages diese Kuriosität: Einer der Affen sitzt völlig ruhig da und dieselben Nervenzellen in seinem Stirnhirn beginnen zu feuern, als ob er Erdnüsse vom Boden aufheben würde.

Der verdatterte Hirnforscher

Erst nach einer Weile fiel dem verdatterten Rizzolatti auf, dass der besagte Affe gerade beobachtete, wie einer seiner Kollegen nach Erdnüssen griff. Allein das Zusehen muss also das Feuern der Neuronen im Gehirn ausgelöst haben. Giacomo Rizzolatti witterte eine heiße Spur und begann die rätselhaften Nervenzellen genauer unter die Lupe zu nehmen: Sie feuern immer, wenn Affen zielgerichtete Handgriffe beobachten oder selber ausführen, lautete der verblüffende Befund.

Traditionell gingen Psychologen und Neurowissenschaftler davon aus, dass im Gehirn strikte Arbeitsteilung herrscht und völlig andere Areale für Wahrnehmungsprozesse zuständig sind als für den Bereich der Muskelbewegungen, der Motorik. Viele Forscher reagierten daher skeptisch auf Rizzolattis Entdeckung. Die Kritiker mutmaßten, dass es in jedem Fall lediglich visuelle Reize sein müssen, die das Feuern der Neuronen auslösen. Doch Rizzolatti konnte den Einwand elegant entkräften. Er ließ seine Versuchstiere einfach im Dunkeln futtern - und siehe da: Die Spiegelneuronen feuerten trotzdem, wenn die Affen nach Nahrung griffen. Sie sind also in der Tat vielseitig und verbinden Motorik und Wahrnehmung im Gehirn.

Falls solche Nervenzellen auch im menschlichen Gehirn existieren, können sie zahlreiche Rätsel lösen helfen, vermutete Rizzolatti. "Wie lernen wir zum Beispiel Tennis spielen?", fragte sich der Professor aus Parma schon lange. - "Okay, wir beobachten unseren Lehrer und spielen dann selbst. Aber warum können wir das?" Und tatsächlich: Sei es beim Tennis, Skifahren oder Stepptanzen - wahrnehmen lässt sich lediglich der äußerliche Eindruck eines Bewegungsablaufs. Was dabei auf muskulärer Ebene im Körper passiert, bleibt dem Betrachter verborgen.

Auch am Max-Planck-Institut für psychologische Forschung in München ist das Phänomen der menschlichen Imitationsfähigkeit einer der Schwerpunkte. Der Neurowissenschafter Marcel Braß und seine Kollegen vertraten dort schon seit längerer Zeit die These, dass Wahrnehmung und Motorik eng miteinander verknüpft sein müssen. "Viele Forscher beschreiben Imitation aber leider immer noch nach dem simplen Reiz-Reaktions-Prinzip", erklärt Braß: Eine Wahrnehmung löst eine Handlung aus. Punkt. Was dazwischen passiert, gilt als unerklärbar und wird daher ausgeklammert.

Als Braß und seine Kollegen von der Entdeckung Rizzolattis hörten, waren sie sofort Feuer und Flamme. Vor drei Jahren luden sie Rizzolatti dann in die Max-Planck-Forschungsstelle nach München ein und man beschloss, künftig zusammen zu arbeiten: In Kooperation mit der UCLA School of Medicine in Los Angeles machten die Münchner erste Tests mit menschlichen Probanden. Inzwischen ist Braß ans Leipziger Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung gewechselt, wo ihn das Thema Spiegelneuronen weiter beschäftigt.

Auch der Mensch verfügt aller Wahrscheinlichkeit nach über solche Nervenzellen. Spiegelneuronen feuern übrigens nicht nur bei manuellen Aktionen: Wenn man Versuchspersonen am Bildschirm einen Sportler zeigt, der gegen einen Ball tritt, werden dieselben Neuronen im Gehirn aktiv wie beim Spielen selbst. Selbst Ingoranten können also nicht mehr behaupten, dass Fussball schauen rein passiv sei.

Der Geist in der Gebärde

Noch weitaus spannender ist, dass die Spiegelneuronen beim Menschen in der Gegend des Broca-Areals nachgewiesen wurden, einem Zentrum in der Großhirnrinde, das für die Sprachproduktion von zentraler Bedeutung ist. Der Neurowissenschaftler Vilayanur Ramachandran von der Universität von Kalifornien in San Diego ist daher überzeugt, dass diese Nervenzellen die Entstehung der menschlichen Sprache aus einer Gebärdensprache möglich machten.

Marcel Braß und seine Kollegen untersuchen inzwischen auch den Bereich Sprache: Wenn man Versuchspersonen beispielsweise die Silbe "ba" akkustisch vorspielt und auf einem Bildschirm einen Mund, mit der offenen Lippenstellung für die Silbe "ga", dann nehmen die Probanden die Silbe "da" war. Bei einem auditiven "ga" und einem visuellen "ba" hingegen die Silbe "bga". Wahrgenommene Sprachlaute werden im Gehirn also scheinbar nicht einfach rein auf akustischer Basis abgespeichert, sondern mit Hilfe der Spiegelneuronen auf dazu passende Bewegungsmuster abgebildet, als phonetische Gesten, die das Zusammenspiel der Artikulationsorgane steuern. Dieses Phänomen erklärt auch die Irritation durch schlecht synchronisierte Filme.

Manche Wissenschafter gehen gar so weit, durch die Existenz der Spiegelneuronen unsere Fähigkeit zur Einfühlung in die Mitmenschen zu erklären. "Wenn jemand lacht oder weint, steckt das bekanntlich an", sagt Rizzolatti. Und dank der Spiegelneuronen habe sich der Mensch zu einem sozialen, kommunikativen Wesen entwickelt. "Autistische Kinder hingegen nehmen ihre Mitmenschen lediglich als eine Art Maschinen wahr", sagt Rizzolatti. In Zukunft müsse daher genauer erforscht werden, ob bei dieser Störung die Funktion der Spiegelneuronen beeinträchtigt sei.

Marcel Braß untersucht in Leipzig Patienten mit Gehirnverletzungen. Diese sollen einen Bildschirm beobachten, auf dem gleichzeitig Zahlen und Finger gezeigt werden. Auf eine bestimmte Zahl hin müssen sie einen ganz bestimmten Finger heben und dürfen sich nicht von den Fingern auf dem Bildschirm ablenken lassen. Hirnverletzten gelingt das besonders schlecht. Sie reagieren viel häufiger auf die Fingerbewegung auf dem Bildschirm, den imitativen Reiz, als, wie vorgesehen, auf die Zahl, den symbolischen Reiz. Dabei nehmen sie durchaus wahr, dass sie den falschen Finger heben.

"Genau lokalisierbare Areale im Gehirn sind nämlich dafür verantwortlich, Impulse zur Imitation zu unterdrücken", erklärt Braß. Sie verhindern, dass Erwachsene, im Gegensatz zu Kleinkindern, spontan gesehene Handlungen nachahmen. "Wenn die betreffenden Gehirn-Areale allerdings beeinträchtigt sind, imitiert man zwanghaft."

In den Augen von Vilayanur S. Ramachandran, von der Universität von Kalifornien in San Diego sind die Spiegelneuronen in jedem Fall eine der bedeutendsten Entdeckungen der vergangenen zehn Jahre. Die für unsere Zivilisation zentralen Elemente wie Religion und Kunst seien ursprünglich durch Zufall entstanden, vermutet Ramachandran. Sie haben sich aber dank der Spiegelneuronen durch die ausgeprägte Imitationsfähigkeit der menschlichen Spezies schnell verbreiten können. Der alleinige Schlüssel für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation können die geheimnisvollen Nervenzellen trotzdem nicht gewesen sein: Schließlich haben Affen bisher weder Kunst, noch Religion, noch neurowissenschaftliche Forschung erfunden - trotz der Spiegelneuronen in ihren Gehirnen.

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