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Gesundheit: Nicht nur Kurt Biedenkopf tritt in einer starren Bildungswelt für lebenslanges Lernen ein

"Wissen ist Macht! Nichtwissen macht nichts!

"Wissen ist Macht! Nichtwissen macht nichts!" Mit solch flotten Sprüchen verspottete der Schüler von einst die DDR-Pädagogik. Heute redet nicht nur Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf von der Wissensgesellschaft und der Notwendigkeit lebenslangen Lernens: "Eine entscheidende Voraussetzung für den Erhalt unseres Wohlstandes ist ein Wissensvorsprung," so der frühere Bochumer Hochschulrektor über das Kapital von Morgen. Ein weiteres Problem sieht Biedenkopf in der strukturellen Überalterung der Bevölkerung. Vor dem Hintergrund der unbestrittenen Bildungsnotwendigkeiten hat er daher die Universitäten aufgefordert, ihr Angebot an ältere erwachsene "Kunden" zu erweitern.

Biedenkopf stellt sich vor, dass jeder Akademiker ein- bis zweimal in seinem Leben nochmals für ein Jahr an der Universität studiert. Und zwar nicht nur speziell weiterbildend, sondern im Sinne einer qualitativen, generellen Runderneuerung. Eine Art Bildungs-Sabbatjahr also. Die sächsischen Universitäten, die ohnehin in einem Jahrzehnt um Studenten kämpfen müssten, sollten sich dazu zusammenschließen und diesen zweiten oder dritten Studienabschnitt didaktisch organisieren. Zur Finanzierung schweben dem Ministerpräsidenten Tarifverträge wie beim Volkswagen-Konzern vor. Das Ansparen von Lebensarbeitszeit über mehrere Jahre könnte den befristeten Bildungs-Ausstieg ermöglichen. Zum Beispiel könnte man Regelungen wie die Viertagewoche bei VW zur Weiterbildung nutzen.

Rolf Grönig, Geschäftsführer der konzerneigenen Coaching-Gesellschaft, erläutert das sogenannte Zeitwertpapier. Überstunden werden in Geld umgerechnet, verzinst in unabhängigen Fonds angelegt und können "zum Zeitpunkt X" wieder in Zeit umgewandelt werden. Dieser Tag X kann durchaus noch vor der Frührente liegen. Dieses Modell setzt allerdings die Bindung an den Arbeitsplatz voraus. Außerdem richtet Volkswagen jetzt eine Art Betriebsuniversität, die Business-School ein, in der auch elfmonatige Vollzeitstudien vorgesehen sind.

Auf solche Möglichkeiten kann die sächsische Bauingenieurin Ellen Ehrhardt nur neidisch blicken. Ihr kleines Dresdner Projektierungsbüro ist immer noch im Existenzkampf. Sie sagt: "Eine verlockende Idee, aber wir können keinen Mitarbeiter entbehren." Wie in vielen Branchen sind auch hier unvergütete Überstunden schon selbstverständlich.

Auch im Dresdner Institut für Holztechnologie, einer außeruniversitären Forschungs-GmbH, gilt eher die Sechstagewoche. Es gibt keine institutionelle Förderung, die Eigenmittelquote beträgt höchstens 75 Prozent. Institutsleiterin Margot Scheithauer findet den Vorschlag von Kurt Biedenkopf einerseits prächtig, andererseits geradezu existenzgefährdend für ihr Institut. "Wenn überhaupt, können wir bestenfalls einige Stunden wieder abfeiern lassen." Das Äußerste, was sie sich vorstellen kann, wäre die Erhaltung des Arbeitsplatzes für Mitarbeiter, die auf eigene Kosten höchstens ein Vierteljahr Bildungsurlaub nehmen.

Wettbewerbsfähigkeit verlangt einerseits Investitionen in Bildung und Wissen, während derselbe Wettbewerb mit der Tendenz zu immer größerer Selbstausbeutung wiederum Weiterbildung verhindert. Hannes Lehmann, Dezernent für akademische Angelegenheiten an der TU Dresden, berichtet sogar von "heimlichen Fernstudenten". Keinesfalls dürfe ihr Arbeitgeber von der nächtlichen Büffelei erfahren, weil er sonst mangelndes Engagement für den eigenen Betrieb schlussfolgern würde. Trotzdem erwarten alle, vom Großkonzern bis zum freien Forschungsinstitut, die persönliche Weiterbildung nach dem mehr oder weniger fiktiven Feierabend. Wie manche Chefs nur Artikel in Fachzeitschriften anzustreichen und an die Mitarbeiter weiterzugeben, reicht da nicht.

Weiterbildung hat, anders als die Erstausbildung, allgemein eher autodidaktischen Charakter. Dennoch hält Roland Schöne, Professor für Erwachsenenbildung an der TU Chemnitz, auch institutionelle Angebote mindestens zur Lernunterstützung für unverzichtbar. Sie ermöglichten erst individuelle Lernformen. Allerdings müssten alte verschulte Organisationsformenvon flexiblen abgelöst werden. Der Chemnitzer Internet-Studiengang zählt beispielsweise dazu. In einer engeren Verflechtung von Arbeit und Freizeit müsse eine neue Lernumwelt geschaffen werden, heißt es etwas verklausuliert. Institutsleiterin Margot Scheithauer will die Politik verpflichten: Öffentliche Programme oder Stipendien müssten her. Aber weder die öffentliche Hand noch große Teile der Privatwirtschaft sind wegen kurzfristiger finanzieller Zwänge bislang bereit, konsequent in den Faktor Bildung zu investieren. Das von der CDU nach langem Hin und Her im letzten Jahr verabschiedete sächsische Weiterbildungsgesetz bietet dem Arbeitnehmer so gut wie gar nichts. Über die dort behandelten berufsbegleitenden Formen wollte Biedenkopf ja weit hinausgehen.

Auf der Angebotsseite, bei den Hochschulen, rennt der CDU-Vordenker längst offene Türen ein. Neben freiwilligen Fernstudienangeboten offeriert allein die TU Dresden 20 teils viersemestrige Aufbaustudiengänge. Einige Teilnehmer zahlen aus eigener Tasche, andere bekommen Zuschüsse vom Arbeitgeber. Dezernent Hannes Lehmann folgert trocken, dass die Hochschulen eigentlich nicht gemeint sein können. "Es kommt darauf an, die gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Angebote auch individuell genutzt werden können!" Und das sei wohl eher Sache der Politiker.

So lange Weiterbildung von der Potenz des Arbeitgebers oder dem eigenen Geldbeutel abhängt, wird eine akademische Runderneuerung, ein Bildungs-Sabbatjahr für höhere Semester wohl die Ausnahme bleiben. Erwachsenendidaktiker Professor Schöne sieht Weiterbildung gegenwärtig vor allem betriebsbezogen und auf kurzfristigen Erfolg angelegt. Bleibt dennoch die begründete Hoffnung, dass deshalb das Abendland nicht morgen schon in Unwissenheit untergeht.

Michael Bartsch

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