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Gesundheit: Nobelpreisträger Max Perutz in Berlin: Die Maschinen des Lebens - Kann die Natur ohne Schöpfer entstanden sein?

Die Themenfrage des Abends war geeignet, die Erwartungen in eine falsche Richtung zu lenken. "Kann die Natur ohne Schöpfer entstanden sein?

Die Themenfrage des Abends war geeignet, die Erwartungen in eine falsche Richtung zu lenken. "Kann die Natur ohne Schöpfer entstanden sein?" lautete der Titel des Vortrags, den der 84jährige britische Chemiker und Nobelpreiträger des Jahres 1962, Max Perutz, in der Berliner Urania hielt. Ein führender Naturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts und die Frage nach Gott? Mit der Neugier auf diese Konstellation mag mancher zu dem Vortrag gekommen sein.

Perutz kündigte denn auch eine Geschichte an, "von der ich noch nie öffentlich gesprochen habe". Er gab eine Fülle von Beispielen für die perfekte Mechanik von Pflanzen und Tieren, drang in die Welt der Bakteriophagen vor und erklärte Moleküle als unvorstellbar kleine "Maschinen des Lebens". Der Rattenzahn etwa sei "gebaut wie mit Eisenstäben verstärkter Beton". Es gebe eine erstaunliche Effizienz der Muskelfasern und eine aerodynamisch ausgeklügelte Reaktion der Blätter auf den Wind.

Von hier aus war es dann nur ein kleiner Schritt zur Natur als Vorbild für Erfindungen, einem Thema, das seit den 80er Jahren unter dem Schlagwort "Bionik" Beachtung findet. Vom menschlichen Ohr zur Erfindung des Telefons, von Ikarus über Leonardo da Vincis Vogelstudien bis zu Otto Lilienthals Messungen zum Verhältnis von Reibung zu Auftrieb anhand der gebogenen Storchenflügel: Der gebürtige Wiener, der seit Jahrzehnten in England lebt und noch immer am Medical Research Council in Cambridge forscht, brachte das Kunststück fertig, im Plauderton ebenso liebevoll wie gründlich zu erklären und dabei die Saaltechniker durch immer neue Bildwünsche in Atem zu halten.

Doch wie entstehen in der Natur all diese komplizierten Organismen, die sogar der modernen Technik als Vorbild dienen? Ausgerechnet im Zusammenhang mit dem Namen Charles Darwin fiel das Wort zum ersten Mal: Schon der Evolutionstheoretiker habe sich gefragt, wie denn ein so hoch empfindliches Organ wie das Auge ohne Einwirkung eines Schöpfers einfach so durch die Evolution entstanden sein könne. Genau an dieser Stelle entwickelte sich der Vortrag aber auch in eine ganz andere Richtung, als es die Themenfrage wohl für viele Zuhörer nahelegte. Zwar bleibe die Entstehung der ersten Gene und Proteine und damit der Ursprung des Lebens noch "ein Geheimnis", so Perutz. "Aber Leben kann durch die bekannten Gesetze der Physik und der Chemie erklärt werden."

Mit dem französischen Genetiker und Nobelpreisträger Francois Jacob ist der Forscher überzeugt davon, dass die Natur bastelt. "Ich glaube daran, dass dieses anscheinende Wunder, dass wir da sind, doch auf natürliche Gesetze zurückzuführen ist", bekannte er.

Wer denn aber diese Natur sei, die da bastele, wollte unter dem Beifall der Anwesenden ein Herr aus dem Publikum wissen. Die Antwort fiel klar aus: die Evolution, zufällige Vorgänge, "von denen die meisten nicht funktionieren, aber manchmal funktioniert eine neue Variante besser als die schon existierenden". Eine solche Veränderung ist etwa ein Hämoglobin mit höherer Sauerstoffaffinität, das es den Lamas erlaubt, in großer Höhe besser zu atmen, als das ein Kamel könnte. Es ist das Ergebnis einer einzigen Mutation und verschafft den Lamas einen großen Vorteil im Konkurrenzkampf um Weideflächen. Die Information dafür ist in den Genen niedergeschrieben. Die Existenz eines Schöpfers brauche man dafür nicht anzunehmen.

Wäre es nach Perutz gegangen, so hätte im Programm der Urania denn auch ein anderer Titel gestanden. "Der Titel, den ich vorschlug, war: Die Natur als Ingenieur." Und dass ihn dieser Aspekt immer noch und immer wieder fasziniert, war offensichtlich. "Ich finde, die Natur ist noch viel wunderbarer als irgend etwas, das man sich vorstellen könnte."

Wenn die Ansichten des begeisterten Naturforschers, der seinerzeit in Stockholm für die Röntgenstrukturanalyse des Blutfarbstoffs Hämoglobin geehrt wurde, auch manchen enttäuscht haben mochten, der sich von dem Abend den Hinweis auf eine "schöpferische Hand" hinter den Technologien der Natur erhoffte: Als hartgesottener Gottesleugner trat der begeisterungsfähige alte Herr nicht auf. Als ihm eine Dame einst für die "Erfindung des Hämoglobins" gedankt habe, so erzählte der Gelehrte schmunzelnd, da habe er ihr geantwortet: "Nicht ich, sondern der liebe Gott hat es erfunden."

Mit Nachdruck dankte Perutz schließlich einem Diskussionsteilnehmer, der mahnte, man solle Gott nicht ausgerechnet aus den Grenzen und Defiziten der Naturwissenschaften konstruieren. Wo diese Grenzen liegen, ist auch für Perutz noch längst nicht ausgemacht. "Ich habe da in meinem langen Forscherleben schon mehrmals Überraschungen erlebt."

Adelheid Müller-Lissner

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