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Gesundheit: NS-Experimente: Verblendete Wissenschaft

"Ich, Eva Mozes Kor, eine Überlebende von Mengeles medizinischen Versuchen, habe gelernt, dass die Menschenrechte in der medizinischen Forschung ein Thema sind, mit dem man sich auseinandersetzen muss." Ihren bewegten Appell richtete die 85-jährige Auschwitz-Überlebende an Deutschlands renommierteste Wissenschaftsorganisation, die Max-Planck-Gesellschaft.

"Ich, Eva Mozes Kor, eine Überlebende von Mengeles medizinischen Versuchen, habe gelernt, dass die Menschenrechte in der medizinischen Forschung ein Thema sind, mit dem man sich auseinandersetzen muss." Ihren bewegten Appell richtete die 85-jährige Auschwitz-Überlebende an Deutschlands renommierteste Wissenschaftsorganisation, die Max-Planck-Gesellschaft. "Ich bitte Sie dringend, behandeln Sie Ihre Versuchspersonen und Patienten mit demselben Respekt, den Sie an ihrer Stelle erwarten würden. Denken Sie daran, wenn Sie rein um der Wissenschaft willen und nicht für das Wohl der Menschheit forschen, haben Sie diese sehr schmale Grenzlinie bereits überschritten und Sie bewegen sich in Richtung auf die Nazi-Ärzte und die Dr. Mengeles dieser Welt zu."

Das Symposion "Biowissenschaften und Menschenversuche an Kaiser-Wilhelm-Instituten - Die Verbindung nach Auschwitz", auf dem diese Mahnung ausgesprochen wird, ist in vieler Hinsicht ungewöhnlich: Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) hatte Überlebende der Medizinexperimente an Zwillingen im Konzentrationslager Auschwitz eingeladen - stellvertretend für die vielen "Opfer einer verbrecherischen Wissenschaft im Nationalsozialismus". Bei ihnen entschuldigte sich MPG-Präsident Hubert Markl. Die weltberühmte Forschungsorganisation bekannte sich damit auch zu ihrer Verantwortung für NS-Verbrechen, an denen Wissenschaftler ihrer Vorgängerorganisation, beteiligt waren.

Das hat auch in der Max-Planck-Gesellschaft eine lange Vorgeschichte. Denn natürlich dahinter steht die aktuelle Frage, wozu Wissenschaftler auf der Suche nach Erkenntnis fähig sind. Zum 50-jährigen Jubiläum seiner Organisation hatte Markl die "Präsidentenkommission" einberufen, um diese NS-Verbrechen zu erforschen. "Die Rolle der Wissenschaft während der Nazi-Diktatur ist eines der vielen, bis heute nur unzureichend aufgeklärten Kapitel der deutschen Vergangenheit. Dies gilt auch für Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als Vorgängerin der MPG", sagt Markl heute.

Als einen ihrer ersten Schwerpunkte wählte die Kommission die Biomedizin und die rassenbiologische Forschung und Anwendungspraxis. Markl: "Hier wird am deutlichsten erkennbar, auf welche Weise und in welchem Ausmaß die Forschung in Deutschland mit dem Nazi-Regime verstrickt war ... wo im Zusammenhang mit der Wissenschaft die schlimmsten Opfer zu beklagen sind und wo die moralische Entgrenzung der Wissenschaft durch den nationalsozialistischen Rassenwahn am unmittelbarsten zu erkennen sind".

Zentren in Berlin

Nach zwei Jahren Forschung sind die enge Verstrickung von Direktoren und Mitarbeitern an Kaiser-Wilhelm-Instituten (KWI) an NS-Verbrechen "zweifelsfrei" belegt, sagte Markl in einer ersten Bewertung der Forschungsergebnisse. Zentren waren das "KWI für Anthropologie" in Berlin, das "KWI für Hirnforschung" in Berlin-Buch und die "Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie" in München. So waren die KWI-Wissenschaftler Ernst Rüdin und Eugen Fischer an der NS-Rassengesetzgebung, wie den Nürnberger Gesetzen von 1935, beteiligt. Andere haben sich an "rassenhygienisch" begründeten Verbrechen beteiligt oder deren Ergebnisse genutzt, darunter die KWI-Wissenschaftler Julius Hallervorden und Hugo Spatz. Das gilt auch für die Nutzung vorgeblich wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in den NS-Zwangsanstalten, wie psychiatrische Kliniken und Konzentrationslager. Der KZ-Arzt Josef Mengele gehörte zwar selbst nicht der KWG an, war aber ein Schüler des späteren Berliner KWI-Direktors Otmar von Verschuer. Dieser wusste von den Verbrechen in Auschwitz und hat darauf Einfluss genommen.

In den Worten der Auschwitz-Überlebenden Eva Mozes Kor nimmt das Grauen noch heute Gestalt an, wenn sie die Ankunft mit ihrer Familie in Auschwitz 1944 beschreibt. "Zwillinge! Zwillinge?", rief ein SS-Mann auf dem Bahnsteig. "Sind das Zwillinge?" fragte er meine Mutter. "Ist das gut?" fragte meine Mutter. "Ja", nickte der SS-Mann. "Ja, sie sind Zwillinge", sagte meine Mutter." Danach sah sie ihre Mutter nie wieder und überlebte nur unter unvorstellbaren Qualen. Bis heute weiß sie nicht einmal genau, welche Experimente an ihr durchgeführt wurden.

Zu den Lehren aus diesen Verbrechen gehört für Markl an erster Stelle: "Jede Forschung muss die Menschenwürde achten. Die Zustimmung der Beteiligten ist unabdingbar nötig." Eine einfache Übertragung auf die Zellforschung lehnt Markl aber ab. "Diese Opfer, die als Kinder in Experimenten gequält worden sind, kann nur mit einer Zellkultur vergleichen, wer gar nicht versteht, worum es geht. Meine Kollegen auch in Israel kritisieren immer wieder, dass es bei der Bewertung der Stammzellenforschung in Deutschland eine Tendenz zur Übermoralisierung gibt. Vielleicht sollte man auch einmal darauf hören, was im Ausland gesagt wird."

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