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Gesundheit: Online-Studiengänge: Deutsche Unis entdecken das Internet

Gestern lange gefeiert, viel getrunken und spät ins Bett gekommen - Studentin Andrea zieht es vor, die erste Vorlesung ausfallen zu lassen. Sie kann ruhig weiterschlafen: Ihr Kurs im Studiengang Informatik an der thüringischen Fachhochschule Schmalkalden ist live im Internet zu sehen und kann auch zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen werden.

Gestern lange gefeiert, viel getrunken und spät ins Bett gekommen - Studentin Andrea zieht es vor, die erste Vorlesung ausfallen zu lassen. Sie kann ruhig weiterschlafen: Ihr Kurs im Studiengang Informatik an der thüringischen Fachhochschule Schmalkalden ist live im Internet zu sehen und kann auch zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen werden. "Eine Dienstleistung an den Studenten", nennt es Heinzpeter Höller, Urheber des Online-Dienstes und Professor für Informatik an der Hochschule.

Die scheinbar nebensächliche Bemerkung Höllers hat ein schwereres Gewicht als man vermutet. Deutsche Universitäten stehen im Wettbewerb. Alle Ausgaben müssen vor den Ministerien gerechtfertigt werden, denn diese wachen über das Steuergeld. Um die Qualität ihrer Lehre zu verbessern und damit mehr Geld aus dem Bundeshaushalt zu ergattern, haben einige Universitäten das Internet entdeckt.

Beitrag zur Internationalisierung

Über das elektronische Netz soll das Lehrangebot Studierenden und sonstigen Interessierten zugänglich gemacht werden. Und nicht nur das: Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) will das Online-Angebot deutscher Hochschulen aus den UMTS-Zinsersparnissen unterstützen. Sie fordert die Gründung einer "Virtuellen Deutschen Universität", in die Universitäten aus allen Bundesländern ihr Lehrangebot einbringen sollen. Damit sollen zugleich attraktive Angebote für ausländische Studenten und Möglichkeiten zur Weiterbildung entstehen - beides Zukunftsaufgaben der Hochschulen, die bisher aber mehr schlecht als recht dahindümpelten.

Was in Verwaltungen ausgedacht wurde, ist allerdings noch lange nicht umgesetzt. Universitätsprofessor Höller nimmt optimistischen Politikern gleich wieder den Wind aus den Segeln. "Das elektronische Studieren kann das Präsenz-Studium nicht ersetzen", gibt Höller zu bedenken. Zwar werde sein Online-Angebot regelmäßig genutzt, die Zahl der Studenten in seinen Vorlesungen habe jedoch nicht abgenommen. "Ich sehe vor allem eine Chance in der Fort- und Weiterbildung", sagt Höller. Berufstätige Akademiker und Studenten, die eine Zusatzqualifikation erlangen wollten, seien mit dem neuen Online-Angebot bestens bedient.

Weil das Thema derzeit in aller Munde ist, hat die Bertelsmann Stiftung jüngst in der Studie "Szenario 2005" aktuelle Tendenzen ausgewertet. "Szenario 2005" besagt, dass Studenten in fünf Jahren auf dem globalen Online-Bildungsmarkt neben dem staatlichen Angebot auch zwischen privaten Bildungsanbietern und Corporate Universities auswählen können. Hochschulen werden Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen eingehen und Bildungsbroker werden helfen, Bildungsangebote für den einzelnen Studenten zusammenzustellen. Auch die Erfahrenste auf dem Gebiet des Fernunterrichts unter den deutschen Universitäten - die Fernuniversität Hagen - versucht sich im Online-Unterricht. Dieser soll zunächst für den Studiengang Elektrotechnik getestet werden. "Über das Internet kann das Studienmaterial einfacher verschickt werden und es sind schnellere Korrekturen möglich", sagt Horst Wupper, Professor für Elektrotechnik und Dekan des Studienganges. Der Professor, der von sich selbst dachte, ihm bliebe das Erlernen der neuen Medientechnik mit seinen "über 60 Jahren" erspart, hofft, den Studenten durch das Internet aus seiner sozialen Isolation zu reißen. "Studenten suchen nicht nur schneller Kontakt mit den Professoren, sondern auch untereinander wird leichter kommuniziert, was im Fernstudium üblicherweise so gut wie gar nicht passiert", hat Wupper erkannt. Für den ersten Durchlauf haben sich über 130 Studenten eingeschrieben. Doch diese große Nachfrage war auch an der Fernuniversität in Hagen kein Kriterium für den Aufbau des Online-Studienganges. "Wir mussten so etwas tun, weil die Konkurrenz woanders nicht schläft", bemerkt Wupper.

In den USA schon Alltag

Vorbild für die Entwicklung hin zum Internet auf dem deutschen Bildungsmarkt sind einige Projekte in den Vereinigten Staaten. Die Boston Consulting Group nennt in dem Bertelsmann-Thesenpapier einige bewährte Beispiele. Darunter die Motorola University, die University of Phoenix oder - als Universitätsnetzwerke - die Singapore-MIT Alliance (kurz SMA), außerdem Bildungsbroker wie UNext.com. Das Internetbildungsunternehmen bietet Online-Wirtschaftskurse der gehobenen Klasse. Mit den Schwergewichtlern unter den internationalen Universitäten wie Columbia, Stanford, Carnegie Mellon, der University of Chicago und der London School of Economics wird das Ausbildungsprogramm unter dem Namen "Cardean" vermarktet. Es richtet sich an Manager der mittleren Ebene, die sich auf Gebieten wie Unternehmensfinanzen, Marketing oder Finanzbuchhaltung weiterbilden wollen.

Das amerikanische Marketingunternehmen IDC scheint ihnen Recht zu geben: Eine Ermittlung ergab die Prognose, dass dieser Sektor in den Vereinigten Staaten bis zum Jahr 2003 einen Wachstumsmarkt mit einem Finanzvolumen von ungefähr 10 Milliarden Dollar darstellen soll. Und so gibt es auch kaum noch eine bedeutende US-Hochschule, die sich auf diesem Markt nicht versucht, mit Schwerpunkten in den Wirtschaftsbereichen.

In Deutschland jedoch ist man vorsichtiger mit dem Verhökern von Wissen. "Wir diskutieren noch über das Zusammenschnüren von Bildungspaketen. Auch sind wir von Gebührenregelungen noch weit entfernt", sagt Höller in Schmalkalden. Und Wupper ergänzt: "In welche Richtung der Internet-Bildungsmarkt gehen wird, kann sich auch der Fantasievollste heute nicht ausmalen".

Christine Weitzenbürger

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