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Gesundheit: Operation Charité

Streit und Misstrauen lähmen Europas größtes Uni-Klinikum. Wer hat in Zukunft das Sagen?

Der Name der Berliner Charité kommt aus dem Französischen und heißt übersetzt Fürsorge. Doch von einem fürsorglichen Miteinander der Beschäftigten ist an Europas größtem Universitätsklinikum derzeit wenig zu spüren. Seit Berlin vor zwei Jahren beschloss, die Uni-Medizin der Freien Universität mit der der Humboldt-Universität zu vereinigen, kracht es gewaltig. Berlins zweitgrößter Arbeitgeber muss sparen, 266 Millionen Euro bis 2010. So versetzen Tarifauseinandersetzungen und der drohende Stellenabbau die Klinik in große Unruhe, unter den Professoren herrschen Verteilungskämpfe. Zuletzt alarmierte die Ankündigung von Wissenschaftssenator Thomas Flierl die Mitarbeiter, die Charité und der ebenfalls verschuldete öffentliche Krankenhausbetrieb Vivantes könnten nach ihrer Sanierung zusammengelegt werden – ein Vorschlag, dem Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit unterdessen eine Absage erteilte, er wolle keinen „Mammutkonzern“.

Große Bedeutung messen die Beteiligten nun dem neuen Berliner Universitätsmedizingesetz zu, das am 1.Januar in Kraft treten soll. Denn damit wird sich klären, wer in Zukunft das Sagen in der Charité hat. Um den Einfluss an der Charité ringen neben dem Vorstand das Land Berlin, das Eigentümer der Charité ist, die beiden Trägeruniversitäten der Klinik sowie die Professoren und die anderen Beschäftigten – eine brisante und nur noch schwer zu durchschauende Gemengelage. Wir zeigen, wer welche Interessen an der Charité verfolgt.

DIE UNIVERSITÄTEN

Die Freie und die Humboldt-Universität sind die Mütter der im Jahr 2001 fusionierten Berliner Hochschulmedizin. Beide Unis befürchten, dass die Charité bald zu einer eigenständigen medizinischen Hochschule werden könnte. Schon sollen die Uni-Präsidenten nach dem Willen des Senats nicht mehr im Aufsichtsrat sitzen. Hans Jürgen Prömel, amtierender HU-Präsident, und Dieter Lenzen, der Präsident der FU, sehen die enge Zusammenarbeit der Unis mit der Charité bei der Medizinerausbildung, im Exzellenzwettbewerb und bei anderen großen Forschungsvorhaben gefährdet. Auch dass der Aufsichtsrat um drei Beschäftigte vergrößert werden soll, sie aber kein Mitspracherecht bei der Auswahl der auswärtigen Mitglieder haben sollen, passt den Uni-Präsidenten nicht. „Man macht den Aufsichtsrat zu einem politisch-ideologischen Gremium“, sagt Prömel.

Das Verhältnis der Unis zur Charité-Leitung belastet jedoch auch, dass die Hochschulen oft als Konkurrentinnen auftreten – was die Präsidenten allerdings bestreiten. Wenn die Charité einen Sonderforschungsbereich beantragt, kann nur eine Uni Sprecheruni werden und sich profilieren. Geht es um einschneidende Strukturmaßnahmen, werden die Uni-Präsidenten auch immer fragen: Welcher Charité-Standort steht besser da: Mitte und Nord, die einst nur zur HU gehörten, oder im Süden die FU?

DER VORSTAND

Der Vorstand will die Charité wie ein modernes Unternehmen führen: mit schlanken Entscheidungsorganen, die möglichst wenig von der Politik beeinflusst werden oder sich gegenseitig blockieren, wie es an der Gremienuniversität alten Typs üblich war: „Wenn wir weniger Geld bekommen, brauchen wir mehr Entscheidungsfreiheit, um mit den Kürzungen umgehen zu können“, sagt Vorstandschef Detlev Ganten. Das aber werde das neue Gesetz verhindern.

Beispiel Staatseinfluss: Bisher sieht das Gesetz vor, dass die Fachaufsicht für die Charité – wie bei den Universitäten – bei der Wissenschaftsverwaltung bleibt. So müsse diese bereits im Vorfeld praktisch allen Entscheidungen zustimmen, erklärt Ganten. Sinnvoller sei, die Fachaufsicht ganz dem Aufsichtsrat zu übergeben. Die Senatoren für Wissenschaft und Finanzen müssten natürlich im Aufsichtsrat vertreten bleiben. Anders als im Gesetz vorgesehen müsse der Wissenschaftssenator aber nicht zwingend der Vorsitzende des Aufsichtsrats sein. Schließlich sei er auch nicht Vorsitzender des Kuratoriums der Humboldt-Universität.

Beispiel mangelnde Entscheidungsfreiheit des Vorstands: In Unternehmen hat der Aufsichtsrat die Aufgabe, die Geschäfte des Vorstandes zu überwachen – aber nicht, sie selber zu führen. Der Gesetzentwurf widerspreche diesem Prinzip, sagt Ganten. Denn er sehe viele Ausnahmefälle vor. So solle der Aufsichtsrat allen außertariflichen Verträgen zustimmen. „Wie können wir flexible Vertragsverhandlungen mit exzellenten Chefärzten führen, wenn wir jedes Mal auf die nächste Aufsichtsratssitzung warten müssen?“, fragt Ganten.

Beispiel Gremienvielfalt: Die bisher 128 Institute und Abteilungen sollen zu 17 Zentren zusammengelegt werden. Damit sollen die Forschung und die Krankenversorgung effektiver organisiert werden. Das Gesetz konterkariere aber diese neue, einfache Organisation, sagt Ganten. Es sieht vor, dass die Zentren Organe der Klinik sind, und regelt detailliert deren Aufbau. Jedes Mal, wenn die Charité ein Zentrum einrichten wolle, das von der Regel abweiche, müsse das Parlament eine Gesetzesänderung beschließen. Die Charité solle das besser in ihrer Satzung selber regeln dürfen.

Der Vorstand wird vom Wissenschaftsrat unterstützt. Der bekräftigte vor kurzem seine Kritik an der vorgesehenen Gremienvielfalt, die er bereits 2003 geäußert hatte, als der Senat das Vorschaltgesetz verabschiedete. Es drohe eine „gewaltige Abstimmungsbürokratie“, sagt der Ulmer Professor Guido Adler, der vor der Fusion zur Medizin-Expertenkommission des Berliner Senats gehörte und unlängst einen Aufruf führender Wissenschaftler gegen das Gesetz im Tagesspiegel mit unterzeichnete.

Adler geht noch einen Schritt weiter. Der „misslungene“ Gesetzentwurf bestätige ihn in der Meinung, dass „die Charité als eigenständige Medizinische Hochschule besser geführt werden könnte“. Offiziell will sich aus der Führungsetage der Charité dieser Meinung niemand anschließen. Ganten betont: „Wir legen Wert auf einen engen Kontakt zu den Universitäten, erwarten dabei aber auch, dass sie die Interessen der Charité vertreten und nicht nur Eigeninteressen.“ Und eine Fusion mit Vivantes? Ganten glaubt, dass beide Klinika „ausreichend mit sich zu tun haben“. Gleichzeitig plädiert er für eine „langfristige gemeinsame Strategie für die Gesundheitsstadt Berlin“.

DER SENATOR

Das Land Berlin zahlt nicht nur für Forschung und Lehre. Es haftet auch, falls die Charité ein Minus bei der Krankenversorgung macht. Deswegen müsse der Senator auch Aufsichtsratsvorsitzender der Charité sein, sagt Wissenschaftssenator Flierl: „Die finanziellen Risiken bei der Charité sind viel höher als bei den Universitäten.“ Aus der Rechtskonstruktion der Charité als gemeinsamer Gliedkörperschaft der Unis ergebe sich, dass der Senator die Fachaufsicht behalte: „Bei einer Anstalt öffentlichen Rechts oder einer landeseigenen GmbH wäre dies anders.“

Die finanziell prekäre Lage der Charité erfordert aus Fliers Sicht auch ein detailliertes Mitspracherecht des Aufsichtsrats: „Es gibt bereits eine Vermehrung von außertariflich bezahlten Leitungspositionen in der Administration. Das wird nicht unkritisch gesehen, wenn man gleichzeitig einen Riesensolidarpakt stemmen muss, um die Personalkosten zu reduzieren.“ Allerdings sollten die außertariflichen Verträge mit einer Rahmenvereinbarung in die Verantwortung des Vorstandes gelegt werden.

Und was hält Flierl vom Ausschluss der Uni-Präsidenten aus dem Aufsichtsrat? An den Hochschulen wird vermutet, dass nicht der mitbestimmungsfreundliche Flierl dafür verantwortlich ist, sondern Finanzsenator Sarrazin. Das könne er nicht kommentieren, sagt Flierl. Er stehe zu dem Beschluss, der auf einer Mehrheitsentscheidung im Senat beruhe.

Stärken möchte Flierl jedenfalls die Mitbestimmung der wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter. Könnte damit die Gremienvielfalt an der Charité zusammenhängen? Nein, sagt Flierl, das Gesetz lege nur einen „Mindeststandard“ an Gremien fest. Die akademische Selbstverwaltung der Wissenschaftler müsse gewährleistet bleiben. Fakultätsleitung und Fakultätsrat sowie Medizinsenat könnten da nicht zur Disposition stehen. Einen „gewissen Bewegungsspielraum“ sieht Flierl in der Frage, ob die im Gesetz zu regelnden Gremien den Status eines Organs der Charité benötigen: „Der Vorstand hat bereits eine große Macht. Er muss sie nur entfalten.“

DIE PROFESSOREN

Die Professoren unterstützen den Wunsch des Vorstandes nach einer straffen Führung. Die Unterstützung hört allerdings auf, wenn es um das Vetorecht des Fakultätsrates beim Staatszuschuss für Forschung und Lehre und Strukturentscheidungen geht. Dieses Recht möchte der Vorstand dem Fakultätsrat nehmen, wogegen sich die Professoren wehren. Dass die Forscher durch ihren Dekan im Vorstand vertreten sind, lassen sie als Argument nicht gelten. „Der Dekan hat kein imperatives Mandat von den Professoren. Er kann unabhängig entscheiden“, sagt der Pathologe Manfred Dietel, einst Ärztlicher Direktor der Charité.

Zudem wollen die Professoren, die zum größten Teil als Kliniker arbeiten, durchsetzen, dass auch im Vorstand ein klinischer Arzt sitzt. Ansonsten seien klinisch sinnvolle Entscheidungen nicht gewährleistet. Das ist auch ein Seitenhieb gegen den derzeitigen Vorstand, denn Ganten und Dekan Martin Paul sind theoretische Forscher, der Klinikdirektor Behrend Behrends ist Verwaltungsexperte. Der einstige Forschungsdekan Cornelius Frömmel plädiert sogar dafür, den Vorstand auf sechs Mitglieder zu vergrößern. Die häufig von Professoren beklagte mangelnde Kommunikation mit dem Vorstand sei vor allem auf die Überlastung der drei Mitglieder zurückzuführen.

Die neue Zentrumsstruktur findet unter den Professoren nicht nur Befürworter. Von den 128 Instituts- und Abteilungsleitern müssen schließlich viele ihre Leitungsfunktionen abgeben, wenn die 17 Zentren endgültig ihre Arbeit aufnehmen. Zu noch mehr Zwietracht und auch zu Stillstand könnte führen, dass das Gesetz mehrköpfige Zentrumsleitungen vorsieht, warnt Rüdiger Strehl, der Vorsitzende des Verbandes der Unikliniken Deutschlands: „Dort sitzen dann mehrere Wissenschaftler eines Faches, die sich gegenseitig misstrauisch beäugen, bei wem als Erstes gekürzt wird.“

DIE BESCHÄFTIGTEN

Zwei Personalräte, je einen für die Bereiche Krankenversorgung und Wissenschaft, sieht der Gesetzentwurf vor. Der Charité-Vorstand will aber nur einen Personalrat, um in Personalfragen nicht doppelte Verhandlungen führen zu müssen. „Mit nur einem Personalrat können wir die Beschäftigten aber nicht mehr effektiv betreuen“, protestiert Personalvertreter Ingo Zeplien. Ein Personalrat dürfte nicht mehr als 29 Mitglieder haben, der sich dann um insgesamt 15000 Beschäftigte kümmern müsste.

Auch der Personalrat wirft dem Vorstand gravierende Kommunikationsmängel vor. „Was die Beschlusslage des Vorstandes ist, bekommen wir nur aus den Medien mit“, kritisiert Zeplien. Das sieht auch die Ärzteinitiative Charité, die die jungen Ärzte und Wissenschaftler vertritt, so: „In die Umstrukturierungen der Charité wurden die Ärzte nicht mit einbezogen“, heißt es in einem Papier. Gemeinsam treten Ärzte, Pflege- und Verwaltungskräfte allerdings nicht für ihre Belange ein. Die Trennung der Berufsgruppen habe sich zunehmend verschärft, sagt Zeplien. Inzwischen streiten die Ärzte in den Tarifverhandlungen separat.

Wie geht es weiter mit der Charité? Am Mittwoch wird das Abgeordnetenhaus darüber verhandeln.

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