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Organspende: Ein Stück von mir

In Berlin warten zurzeit rund 1100 Patienten auf ein neues Organ. Aber nur ein Zehntel des Bedarfs kann gedeckt werden Auch deshalb steigt die Zahl derer, die einem nahestehenden Menschen zu Lebzeiten eine Niere oder einen Teil der Leber spenden.

Die Lebensgefährtin von André K. ist heute 27 Jahre alt. Dass sie ein Problem mit der Leber hatte, wusste sie schon länger: PSC, Primär sklerosierende Cholangitis hieß ihre Krankheit, bei der die Gallenwege entzünden, vernarben und dadurch verengen. Seit 2008 stand sie auf der Warteliste von Eurotransplant für eine neue Leber, aber 2011 verschlimmerten sich die Symptome: „Sie wurde sehr schnell müde“, erzählt K., „hatte ständig Juckreiz und bekam eine gelbe Gesichtsfarbe.“ Der Reinickendorfer lebt seit neun Jahren mit seiner Lebensgefährtin zusammen und ist selbst nur ein Jahr älter als sie. Beide haben einen fünjährigen Sohn. Da nicht absehbar war, wann über Eurotransplant ein Organ zur Verfügung stehen würde, begannen sie, über Alternativen nachzudenken. Das Transplantationsbüro der Charité klärte sie über die Möglichkeit einer Lebendspende auf. „Mir wurde bald klar, dass ich das tun würde“, erzählt André K. Am 21. Februar, vor wenigen Wochen, wurden ihm 60 Prozent seiner Leber entnommen und seiner Lebensgefährtin implantiert.

Damit gehört er zu der wachsenden Zahl von Berlinern, die bereit sind, für einen nahestehenden Menschen ein Organ zu Lebzeiten zu spenden – also eine Niere oder einen Teil der Leber, dem einzigen der transplantierbaren Organe, das nachwächst. 2011 wurden in Berlin 81 Lebendspenden registriert, 19 mehr als 2010. Auch bundesweit steigt die Zahl. Nach Auskunft der Stiftung Lebendspende ist der Anteil der zu Lebzeiten gespendeten Nieren an allen Nierentransplantationen in Deutschland stetig gewachsen, von 16,1 Prozent (2003) auf 22,6 Prozent (2010).

Bei den postmortalen Spenden, also der Organentnahme nach dem Tod, sieht es anders aus: Hier ist die Spendenbereitschaft in Deutschland, im europäischen Vergleich, gering. Je nach Region nimmt sie weiter ab. Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) sank sie zum Beispiel im Bereich Nordost, zu dem Berlin gehört, von 180 Spendern (2005) auf 129 (2011). Den Bedarf deckt das gerade mal zu einem guten Zehntel. Aktuell warten in Berlin rund 1100 Patienten auf ein neues Organ, darunter 882 auf eine Niere und 130 auf eine Leber. „Die Not des Organmangels ist sicher mit ein Grund, warum sich zunehmend enge Angehörige zu einer Lebendspende entschließen“, sagt Internist Detlef Bösebeck, bei der DSO zuständig für den Bereich Nordost. Möglicherweise leitet die Neuregelung des Transplantationsgesetzes, auf die sich Regierung und Opposition kürzlich geeinigt haben, eine Trendwende ein. Künftig soll jeder Erwachsene regelmäßig angeschrieben und gefragt werden, ob er nach seinem Tod zur Organspende bereit ist.

André K. und seine Lebensgefährtin fanden Unterstützung beim Transplantationsbüro der Charité am Virchow-Klinikum. Die Mitarbeiter begleiten den Prozess einer Lebendspende bis zur postoperativen Versorgung. „Sie haben sich Zeit genommen und waren bei Fragen immer da, es war eine sehr positive Erfahrung“, erzählt K. Zunächst werden Untersuchungen durchgeführt, etwa von Kardiologen, um herauszufinden, ob es irgendetwas gibt, was gegen die Spende spricht. Spender und Empfänger werden außerdem in Gesprächen über die Risiken aufgeklärt. „Wir wollen niemanden überreden“, sagt Oliver Laurich, einer der Transplantationskoordinatoren, „sondern umfassend über die Vor- und Nachteile informieren.“ Psychologen finden heraus, ob der Spender den Vorgang seelisch verkraftet. Und die Lebendspende-Kommission der Ärztekammer muss prüfen, ob tatsächlich eine enge Bindung zum Empfänger besteht und ob die Entscheidung freiwillig getroffen wurde – auch, um Organhandel auszuschließen.

Spender und Empfänger werden parallel operiert, André K. verwendet einen Begriff aus dem Logistikjargon: Die Spende erfolge „just in time“. Millimeter für Millimeter wurden die Gefäße seiner Leber durchtrennt und verödet, der entnommene Teil wurde sofort seiner Lebensgefährtin eingesetzt und mit ihren Gefäßen vernäht. „Beim Aufwachen war ich erst mal schockiert, dass ich so lange in Narkose gelegen hatte, von frühmorgens bis abends“, sagt er. „Aber Schmerzen habe ich nicht verspürt. Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt.“ Dass ein Stück seines Körpers fehlt, hat er nicht gemerkt. Das ist auch seine Botschaft: „Zwar reagiert jeder Körper anders, aber im Grunde ist Lebendspende nicht schlimm. Viel zu wenig Menschen wissen, dass diese Möglichkeit überhaupt existiert. Es fehlt an Aufklärung.“

Die Spende hat die emotionale Beziehung zu seiner Lebensgefährtin gestärkt. Dabei weiß André K.: „Man macht so etwas ja immer auch für sich selbst, für das Kind, für die gemeinsame Lebensqualität und Zukunft.“ Die Kosten von Voruntersuchungen und Operation trägt übrigens die Krankenkasse des Empfängers. André K. war aber sechs Wochen außer Gefecht und konnte nicht arbeiten. Sein Arbeitgeber – er ist in der Werkstatt einer Omnibusgesellschaft in Mariendorf tätig – hat den Lohn weitergezahlt, obwohl er das nicht müsste. Denn André K. war nicht selbst erkrankt, seine Spende erfolgte freiwillig. Nicht immer läuft das so problemlos. Deshalb fordert die Techniker Krankenkasse vom Gesetzgeber, die unsichere Situation von Lebendspendern zu verbessern. Kommt es zu Komplikationen, droht den Spendern im Extremfall die Erwerbsunfähigkeit. Ein schlechter Dank für ihren selbstlosen Einsatz.

Mehr Informationen unter www.transplantationsbuero-berlin.de, www.stiftung- lebendspende.de und beim Berliner Verein Junge Helden e.V. (www.junge-helden.org)

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