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Gesundheit: Otto Hahn: Kernsprengstoff für das Dritte Reich

Für den Historiker Mark Walker ist Otto Hahn jemand, der nach dem Krieg seine Zusammenarbeit mit den Nazis nicht mehr wahrhaben wollte. Wie andere deutsche Wissenschaftler auch, habe er die Tätigkeit für die Nazis "verdrängt", stellte Walker bei seinen Forschungen fest.

Für den Historiker Mark Walker ist Otto Hahn jemand, der nach dem Krieg seine Zusammenarbeit mit den Nazis nicht mehr wahrhaben wollte. Wie andere deutsche Wissenschaftler auch, habe er die Tätigkeit für die Nazis "verdrängt", stellte Walker bei seinen Forschungen fest. Walker durchforstete die Archive der Max-Planck-Gesellschaft, sprach mit zahlreichen Zeitzeugen, nahm auch den Nachlass von Otto Hahn und Werner Heisenberg unter die Lupe. Im Auftrag der Präsidentenkommission "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus" zog er eine erste Bilanz: "Der Kernspaltung folgte eine Bewusstseinsspaltung, vor allem bei Otto Hahn." Dem Entdecker der Kernspaltung also.

1938 hatte Hahn langsame Neutronen auf schwere Urankerne geschossen und sie dadurch in kleinere Kerne zertrümmert. Hahn war Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin. Nach diesem Erfolg forcierte er seine Forschungen zu den Transuranen, jenen chemischen Elementen, die schwerer als Uran sind. "Diese Forschungen, die Hahns Institut in das deutsche Uranprojekt einbanden, wurden von den Militärbehörden als kriegswichtig angesehen", sagte Walker. "Hahn wie auch Heisenberg hatten in mehreren populären Vorträgen vor führenden Vertretern der Industrie, des Militärs und der Nazipartei die möglichen wirtschaftlichen und militärischen Anwendungen skizziert."

Mark Walker zitierte aus einem Bericht, den der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker 1940 an das Heereswaffenamt sandte: Darin stellte er ausdrücklich fest, dass das neu entdeckte Element "ein Kernsprengstoff ist". Dieses "Transuran" wird inzwischen als Plutonium bezeichnet. Von Weizsäcker hatte dazu an Otto Hahns Institut geforscht.

1944 erklärte Werner Heisenberg, einen Reaktor bauen zu können, mit dem sich noch effektiverer Kernsprengstoff herstellen ließe. Im gleichen Jahr erhielt Otto Hahn für seine Arbeiten aus dem Jahr 1938 den Nobelpreis. "Bis zum Kriegsende glaubten diese Wissenschaftler, mit ihren Forschungen die Weltspitze zu sein", sagte Mark Walker. "Erst als die Amerikaner die Atombombe über Hiroshima zündeten, setzte Ernüchterung ein." Mit ungeheurem Einsatz an Geld, Personal und Technik hatten die Amerikaner ihr "Manhattan-Projekt" durchgezogen, klammheimlich hatten sie die Deutschen überholt. Aufgrund der neuesten Arbeiten von Oppenheimer, Szilard, Fermi und anderen waren sie beispielsweise in der Lage, Plutonium großtechnisch herzustellen. In Deutschland waren die Forschungen hingegen auf Laborniveau stehen geblieben. Heisenbergs Versuchsreaktor wurde ein Opfer alliierter Luftangriffe, die Labors fielen später den Amerikanern in die Hände.

Nach 1945 wollten die Alliierten die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zerschlagen. Um den Alliierten den Wind aus den Segeln zu nehmen, wollte sich deren Generalverwaltung von den Vorwürfen distanzieren. Als Frontmann wählte sie Otto Hahn. "Hahn vollführte dieselbe Verdrängungsleistung wie die ganze deutsche Gesellschaft", resümierte Walker. "Er war der perfekte Sprecher für eine Organisation, die plötzlich sauber und unbefleckt auferstand."

H. S.

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