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Gesundheit: Oxford: Eliteschmiede für 13 Premierminister

Welche Rolle haben europäische Universitäten für die Entwicklung der Universitätsidee und der Wissenschaften gespielt? Dieser Frage gehen wir in einer Serie nach.

Welche Rolle haben europäische Universitäten für die Entwicklung der Universitätsidee und der Wissenschaften gespielt? Dieser Frage gehen wir in einer Serie nach. Zuerst hatten wir im Oktober die Universitäten Bologna und die Sorbonne vorgestellt.

Wann genau die Universität Oxford gegründet wurde, ist nicht exakt festzustellen. Faktum jedoch ist, dass Oxford eine einzigartige Institution ist - die älteste englischsprachige Universität der Welt überhaupt. Die britische Eliteschmiede kann nachweislich auf eine Geschichte verweisen, die vor etwa 900 Jahren ihren Anfang genommen hat. Allein das Christ Church College hat 13 Premierminister hervorgebracht.

Den Aufstieg von einem weniger bekannten Sammelplatz kirchlicher Lehrer in den Rang einer Universität verdankt Oxford jedoch dem Streit zum Ende des 12. Jahrhunderts zwischen König Heinrich II. und dem Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket, um die weltliche und geistliche Macht. Als Becket es vorzog, im französischen Exil Zuflucht zu suchen, verbot der König den englischen Studenten das Studium in Paris.

Trotz des daraufhin einsetzenden Zustroms von Studenten blieb Oxford für die nächsten 250 Jahre eine Hochburg der mittelalterlichen Scholastik, was nicht heißt, dass nicht bereits in dieser Zeit bemerkenswerte wissenschaftliche Leistungen vollbracht wurden. Die Liste der großen Namen in der Geschichte der Universität führt Roger Bacon (um 1220 - 1292) an, der die Eigenschaften der optischen Linse entdeckte und sogar Autos und Flugzeuge voraussagte. 1531 publizierte Robert Recorde die erste Englische Algebra. Er war überhaupt der erste Gelehrte, der Multiplikations- und Gleichheitszeichen verwandte.

Mit dem Beginn der Renaissance und dem Bruch Heinrichs VIII. mit dem Papst war es in Oxford vorbei mit der Ruhe und mittelalterlichen Abgeschlossenheit. In Folge der Lehren Luthers und Calvins zog in die Colleges ein puritanischer Extremismus ein, der im Widerspruch zu der Politik der anglikanischen Staatskirche stand und oftmals nur durch die Gewalt der Scharfrichter gebrochen werden konnte. Thomas Cranmer, Hugh Latimer und Nicholas Ridley - die drei berühmten Märtyrer von Oxford - wurden wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Philosoph John Locke, Absolvent des Christ Church Colleges und Vordenker eines modernen Verfassungsstaates, wurde Ende des 17.Jahrhunderts des Hochverrats bezichtigt und musste das Land verlassen.

Der Halleysche Komet

Dennoch gedieh die Universität. Immer wieder wurden neue Colleges gestiftet, die reiche Kaufleute, deren Söhne in Oxford studierten, finanzierten. Folgende Namen aus dieser Zeit stehen bis heute für wissenschaftliche Exzellenz: Christopher Wren (1632 - 1723), bekannt geworden als der Architekt der St. Pauls Kathedrale London, kommt aus der Oxforder Schule. Sein wissenschaftlicher Beitrag bestand in der detaillierten anatomischen Zeichnung des menschlichen Gehirns. Edmund Halley (1656-1742) ist Oxfordianer: Durch seine astronomischen Beobachtungen sagte der Professor der Geometrie die Rückkehr des Kometen, der seinen Namen trägt, voraus.

Auch der Politökonom Adam Smith hat in Oxford studiert, und zwar am am Balliol College. Ebenfalls in diese Zeit fiel die Gründung des ersten botanischen Gartens in Oxford, der damals Physic Garten genannt wurde. Hier wurden vor allem Pflanzen angebaut, die für die Medizin sowie den Unterricht der Botanik benötigt wurden. Ein Beispiel für das neue, experimentelle Herangehen an die Lehre.

Auch die 1683 erfolgte Gründung des Ashmolean Museum in der Broad Street ist ein Zeichen für einen bis dahin unbekannten wissenschaftlichen Ansatz. Das erste chemische Labor Englands wurde im Erdgeschoss des Museums angesiedelt, Vorlesungen und Demonstrationen fanden im zweiten Stock statt. Viele berühmte Wissenschaftler standen dem Museum vor, darunter auch James Sadler (1753-1828). Er gelang vor allem zu Ruhm, weil er der erste Engländer war, der in einem Heißluftballon geflogen war, was sicherlich ein Resultat eines Forschungsschwerpunkts des Museums - Pyrotechnik und Gase - war.

Der Niedergang der Universität begann mit dem Ende der Regierungszeit von Oliver Cromwell. Oxford fiel fest in die Hand der anglikanischen Kirche und der Monarchie, die 1662 mit dem "Act of Unifomity" alle Nonkonformisten, Katholiken und Juden aus den Colleges verbannte. Die Kirche war eifrig bestrebt, die Universität von jeglichen gesellschaftlichen Veränderungen fernzuhalten. Die auf den englischen Thron gelangten Hannoveraner waren ebenfalls keine Förderer der Wissenschaft. Das Ansehen von Oxford erreichte einen Tiefstand.

Es kam sogar so weit, dass die Professoren vollständig auf das Unterrichten verzichteten. Das änderte sich jedoch grundlegend gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Verwaltung des weltweiten Empires erforderte ein großes Engagement bei der Ausbildung einer neuen Generation von Beamten und Offizieren. Die ersten Frauen drängten in die Bildung. Nach und nach wurde das Profil der Universität erweitert. So wurden 1895 Lehrstühle für Anatomie und Physiologie eingerichtet. Einer der ersten Inhaber war Sir Charles Sherrington, der den Nobelpreis für seine Studien des Nervensystems bekam.

Zahlreiche Nobelpreisträger

Die Zahl der Preisträger, die seitdem aus Oxford kamen, ist groß: 1917 übernahm Frederick Soddy den neuen Lehrstuhl für anorganische und physikalische Chemie. Zwei Jahre später erhielt er den Nobelpreis für seine Theorie der Isotope. Sein Nachfolger, Cyril Hinshelwood, wurde 1941 für seine Arbeiten zu kinetischen Reaktionen ausgezeichnet. Der größte Beitrag zur Entwicklung der Medizin im 20.Jahrhundert, der ebenfalls mit dem Nobelpreis gewürdigt wurde, war die Entdeckung des Penizillins durch Professor Howard Florey. Diese wissenschaftliche Errungenschaft löste weltweit die Herstellung von Antibiotika aus.

Bis heute sind die Colleges der Universität Oxford ein Zentrum exzellenter sozialwissenschaftlicher- und naturwissenschaftlicher Forschung und Ausbildung. Erst unlängst wurde in Oxford ein Durchbruch zur Heilung muskulärer Dystrophy erzielt. Im März dieses Jahres wurde die komplette genetische Sequenz der Bakterie dekodiert, die Meningitis verursacht. Durchschnittlich wird pro Woche durch die Universität ein Patent angemeldet.

Organisatorisch hat die Hochburg der britischen Elite erst in den letzten Monaten eine gewisse Bereitschaft zur Veränderung gezeigt. Die Colleges haben trotz ihrer Eigenständigkeit akzeptiert, einen Rat auf der Ebene der Universität zu etablieren, der die interdisziplinäre Arbeit zwischen den Lehreinrichtungen koordiniert. Ein erster Schritt, der sicherlich nicht ausreichen wird. In der Öffentlichkeit wird diskutiert, ob das sehr teure Netz von Colleges überhaupt noch tragbar ist. Der Unterricht in den mittelalterlichen Gebäuden sowie der Unterhalt jeder einzelnen Collegebibliothek ist sehr kostspielig. Die Universität Oxford besteht heute aus 39 Colleges, die durch ein föderales System miteinander verbunden sind. Jedes College sucht sich selbstständig die Studenten aus. 38 Colleges akzeptieren Männer und Frauen. St. Hilda akzeptiert nur Frauen.

Dennoch, so die Auffassung von Colin Lucas, dem ersten Vizepräsidenten von Oxford, wird man nur dann weiterhin zu den Top-Universitäten der Welt zählen und attraktiv für die besten Wissenschaftler der Welt sein, wenn die Infrastruktur der Uni den höchsten Anforderungen entspricht. Damit hat die Universität im Vergleich mit US-amerikanischen Einrichtungen derzeit Probleme. Spezielle Studiengebühren für die besten Colleges sind deshalb im Gespräch. So werden für ein Medizinstudium pro Jahr 16 900 Pfund Gebühren kalkuliert. Ein Vorschlag, der von der Regierung sehr kritisch aufgenommen wurde. Oxford allerdings argumentiert: Wenn man auch in Zukunft mit Harvard mithalten will, dann muss man auch zu Harvardmethoden greifen.

Kathrin Singer

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