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Gesundheit: Pauken nur mit Passierschein

Studenten der Freien Universität kritisieren die Institutsbesetzungen. Aber die Proteste sollen weitergehen

Die Streik-Avantgarde der Freien Universität bilden am Montag die Wirtschaftswissenschaftler. Das Audimax ist schwarz vor Studenten, und ihnen heizt zu Beginn der BWL-er Rainer ein: „Bei uns wurde gerade beschlossen, dass wir weiterstreiken. Unser Gebäude ist komplett dicht!“ Da jubeln die Studierenden zum ersten Mal auf der Streik-Vollversammlung der FU. „Konstruktiv streiken!“, mahnt dennoch ein großes Plakat auf dem Podium des Saals.

Wenn die kreativen Protestaktionen der Studenten das Salz in der Suppe sind, stellen die Vollversammlungen (VVs) Fleisch und Gemüse dar. Denn ohne die „Streik“-Beschlüsse der VV würden den Protesten Legitimation und Basis fehlen. An der Freien Universität belagern am Montagmittag gut 2000 Studenten neben dem Audimax drei weitere Hörsäle. Eine überwältigende Mehrheit stimmt schließlich für den Streik – so heißt es nach der VV immer. Das gilt auch heute: Die Arme fliegen fast geschlossen in die Luft, als die Versammlungsleiter fragen: Sollen wir unbefristet weiterstreiken? Nur Vereinzelte heben schüchtern ihre Hand zum Nein und gehen im Applaus über die Entscheidung unter. Doch in der vorangegangenen Diskussion wird über die Formen des Unistreiks hart debattiert.

Vor allem gegen die Besetzungs-Avantgarde der Wirtschaftler legen viele Studenten dann doch energischen Einspruch ein. Besetzen von Unigebäuden bedeutet: Kein Student, der lernen will, kommt rein. Nur für dringende Bibliotheksbesuche bei anstehenden Prüfungen und für wissenschaftliche Mitarbeiter teilen Streikposten Passierscheine aus, und das geht vielen schlicht auf die Nerven. „Wir Romanisten sind zwar einstimmig für die Fortsetzung des Streiks. Wir sind aber skeptisch, was die Besetzungen angeht“, ruft Erstsemester Julia in den Saal. „Nur Besetzungen bringen uns nicht weiter“, meint auch Christina, die selber in der letzten Woche die Silberlaube bei einem Sleep-in blockierte. Die Kommilitonen klatschen, Buh rufen nur wenige. „Durch die Besetzungen treiben wir einen Keil durch die Studentenschaft. Leute als Streikbrecher zu beschimpfen, bringt die nicht auf unsere Seite“, argumentiert ein dritter Student.

Die Vollversammlung findet in der Besetzungsfrage schließlich eine salomonische Lösung: Dezentral soll darüber entschieden werden – die Studenten jedes Instituts beschließen in eigenen Versammlungen, ob sie das Haus blockieren. Wie das in großen Gebäuden wie der Silberlaube gehandhabt werden soll, bleibt vorsichtshalber offen: Dort treffen schließlich mehrere Fächer aufeinander, die oft unterschiedlicher Meinung sind.

Wie wenig die Studenten anno 2003 von einer gesellschaftlichen Revolution halten, zeigen Gastbeiträge eines Gewerkschaftsvertreters und eines Mitglieds des Sozialforums Berlin: Deren Aufforderungen zu einer Solidarisierung mit anderen Gruppen beklatscht der akademische Nachwuchs nur halbherzig.

Dafür diskutieren sie intensiv über mögliche negative Folgen des Streiks. Was ist, wenn vielen das Semester aberkannt wird und was droht dann Bafög-Empfängern? Noch zeigen sich die Uni-Präsidenten solidarisch mit den Studierenden. „Ich bezweifele aber, dass wir acht oder zehn Wochen streiken können und die Präsidenten dann immer noch sagen: Hier habt ihr eure Scheine“, ruft eine Studentin. Eine starke Minderheit plädiert deswegen für eine Befristung des Streiks auf zwei oder drei Wochen. Ein Naturwissenschaftler fordert, explizit die Praktika von Biologen und Chemikern vom Streik auszunehmen. Seine Begründung: Die Wirtschaft hat Drittmittel dafür gezahlt, und die seien im nächsten Semester weg.

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