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Gesundheit: Pinguine des Nordens

Genforscher rekonstruieren Verwandtschaftsverhätnisse und Evolution der ausgestorbenen Riesenalken

Der Riesenalk ist ein zoologisches Kuriosum. Er ist der einzige flugunfähige Vogel der Nordhalbkugel – und ausgestorben noch dazu. Überdies gehört er zur der wenig bekannten Seevogelfamilie der Alken, deren Arten so merkwürdige Namen wie Trottellume, Tordalk und Gryllteiste tragen. Und für Naturkundler bietet er inzwischen dank „wiederbelebter“ Erbsubstanz willkommenen Anschauungsunterricht für die vielfältigen Erfindungen der Evolution.

Bis ins 19. Jahrhundert brütete Pinguinus impennis noch auf abgelegenen Inseln im nördlichen Atlantik. Vom Menschen wegen des Fleisches, Fettes und der Federn rücksichtslos abgeschlachtet, starb diese Vogelart 1844 unwiederbringlich aus. Ähnlich wie der Dodo auf Mauritius wurde der Riesenalk damit zum traurigen Symbol für den Umgang des Menschen mit der Natur.

Für Evolutionsbiologen hält Pinguinus noch eine weitere Besonderheit parat. Denn ähnlich wie die nur auf der Südhalbkugel vorkommenden Pinguine konnten auch die rund 75 Zentimeter großen Alken mit ihren winzigen Stummelflügeln nicht mehr fliegen. Im Nordatlantik nahmen sie mithin die ökologische Planstelle der Pinguine ein.

Heute fast vergessen, galt der Riesenalk lange als der eigentliche Pinguin. Den Seeleuten zeigten die nach Fischen jagenden Riesenalken nicht nur an, dass sie endlich die reichen Fischgründe der Großen Neufundlandbank erreicht hatten. Die hilflosen Brutvögel auf den steilen Inseln vor der Küste müssen ihnen wie ein Geschenk Gottes vorgekommen sein. Der ob seiner Flugunfähigkeit leicht zu erbeutende Riesenalk schien just dort in besonders großen Kolonien zu brüten, wo Seefahrer neue Nahrungsvorräte für ihre langen Überfahrten aufnehmen mussten. Die Tiere wurden zusammen- und auf die Schiffe getrieben, was nicht gleich gegessen wurde, pökelte man ein. Dem Riesenalk kommt mithin eine tragende Rolle bei der europäischen Besiedlung Nordamerikas zu.

Am 3. Juni 1844 wurde auf der Island vorgelagerten Insel Eldey das letzte bekannte Brutpaar erschlagen. Doch auf gewisse Weise „wiederbelebt“ hat den Riesenalk jetzt ein Team von Molekularbiologen um den norwegischen Vogelkundler Truls Moum von der Universität Tromsö. Moum beschäftigt sich seit Anfang der 90er Jahre mit den stammesgeschichtlichen Verhältnissen bei Alken. Erst jetzt aber gelang es ihm und Kollegen, die Erbinformation des ausgestorbenen Riesenalken zu entschlüsseln.

Sie fanden an einem 1821 auf Island getötet Tier, dessen Balg am Naturhistorischen Museum in Reykjavik aufbewahrt wurde, ausreichend Gewebe, um eine DNS-Analyse zu machen. Das Tier war damals offenbar bereits mit der Absicht getötet worden, es aufzubewahren. Es wurde umgehend kühl gelagert und eingesalzen. Diesem Umstand verdanken es die Molekulargenetiker, dass sie aus einem drei Millimeter großen Stück einer Schwanzfeder sowie eines nur vier Milligramm leichten Hautfetzens ein insgesamt 4200 Basenpaare langes Stück der Erbsubstanz gewinnen konnten, wie die Forscher im Fachblatt „Molecular Biology and Evolution“ (Band 19, Seite 1434) berichten. Mit Software ließen sich die DNS-Sequenzen der verschiedenen Alken-Arten des Atlantiks so miteinander vergleichen und ein Verwandtschaftsdiagramm erstellen. Demnach ist der nächste Verwandte des Riesenalks der heute im Atlantik lebende Tordalk.

Überraschenderweise haben der große Fisch jagende Riesenalk und der mit 40 Zentimetern mittelgroße Tordalk einen gemeinsamen Vorfahren im Plankton fressenden Krabbentaucher. Mit seinen nurmehr etwa 20 Zentimetern bringt der es indes gerade einmal auf die Größe eines Stares und ist damit der kleinste Vertreter dieser und anderer Meeresvögel überhaupt. Die Biologen schließen daraus, dass sich die Alken im Atlantik offenbar während ihrer Evolution vor allem in der Körpergröße deutlich auseinander entwickelt haben. Beim Riesenalken kam es während dieser evolutiven Anpassung an das Leben als Unterwasserjäger überdies zu einer ähnlichen Entwicklung wie bei den ebenfalls flugunfähigen Pinguinen der antarktischen Region.

Um in den kalten Gewässern des Nordatlantiks und der Arktis überleben zu können, haben sich Alken ebenso wie Pinguine eine dicke Unterhautfettschicht zugelegt, die ihren Körper isoliert. Der besondere Trick der Riesenalken: Sie sind fast doppelt so groß wie andere heute lebenden Alken des Atlantiks und konnten somit auch größere Fische erbeuten. Doch mit der zunehmenden Körpergröße ging beim Riesenalk wie beim Punguin der Verlust der Flugfähigkeit einher.

Matthias Glaubrecht

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