zum Hauptinhalt

Gesundheit: "Pompeji der Paläontologie": Messeler Urtiere zu Besuch in Berlin

Die ältesten Vorfahren unserer Pferde waren keine Allesfresser, wie man erst annahm, und sie lebten auch nicht in der Steppe, sondern im Wald und fraßen Blätter, vielleicht auch Beeren. In der Grube Messel am Rande des Odenwaldes sind manche der zahlreichen Fossilien so gut erhalten, dass man sogar den Mageninhalt von Tieren identifizieren konnte, die dort vor etwa 50 Millionen Jahren lebten.

Die ältesten Vorfahren unserer Pferde waren keine Allesfresser, wie man erst annahm, und sie lebten auch nicht in der Steppe, sondern im Wald und fraßen Blätter, vielleicht auch Beeren. In der Grube Messel am Rande des Odenwaldes sind manche der zahlreichen Fossilien so gut erhalten, dass man sogar den Mageninhalt von Tieren identifizieren konnte, die dort vor etwa 50 Millionen Jahren lebten. Dort fand man auch das Urpferdchen, das zum Messeler Maskottchen wurde, und zwar gleich in zwei Arten, eine in Foxterrier-, die andere in Schäferhundgröße.

Das Pferd als Schaf

Dieses Urpferd sah nicht so aus, wie man sich ein Urviech vielleicht vorstellt, sondern ähnelte einem Schaf - wenn die plastische Rekonstruktion richtig ist, die man derzeit mit seinem wohlerhaltenen Skelett vergleichen kann: Im Berliner Museum für Naturkunde, wo jetzt eine Ausstellung über die berühmte Grube Messel mit ihren exquisiten Fossilien gezeigt wird. Sie trägt den treffenden Titel "Fenster zur Urzeit", und wurde vom hessischen Wissenschaftsministerium zusammen mit dem Frankfurter Senckenberg-Museum, dem Landesmuseum Darmstadt und dem Berliner Naturkunde-Museum organisiert. Letzteres hat die ursprünglich in Frankfurt gezeigte Ausstellung um wesentliche Stücke erweitert.

Die Dinosaurier waren zwar im Alt-Tertiär, aus dem die fossilienträchtige Messeler Formation stammt, schon ausgestorben. Die hessische Landesregierung lud aber zur Eröffnung in den Dinosauriersaal - mit viel politischem Pomp, mit Sekt und Büfett. Das Land Hessen hat da einiges wieder gut zu machen. Dass die Grube Messel eine Fülle von Fossilien birgt, wusste man seit langem. Nur konnte man sie anfangs nicht konservieren. Kaum aus dem feuchten Stein befreit, trockneten sie aus und zerfielen. Seit Jahrzehnten aber geht man sachgemäß vor: Feuchthalten der Fossilien bis zum Präparieren, dann Trocknen und mit flüssigem Kunstharz Versiegeln.

Aber obgleich die Messeler Fossilien und ihre Konservierungstechnik bekannt waren, hätte man die Grube beinahe mit Müll ausgeschüttet. Nachdem in Messel der unwirtschaftlich gewordene Abbau von Ölschiefer zur Energiegewinnung 1971 endgültig eingestellt war, hatte der Tagebau ein riesiges Loch hinterlassen, 70 Meter tief, 1000 Meter lang und 700 Meter breit. 1981 leitete das Oberbergsamt Wiesbaden einen Planfeststellungsbeschluss ein, wonach diese Fund-Grube der Paläontologie zur Mülldeponie werden sollte.

Erst nach zähem Kampf gelang es einer Bürgerinitiative gemeinsam mit der Gemeinde Messel, dies gerichtlich zu verhindern. Die Prozesskosten musste das Land Hessen tragen. Das wurde vom Saulus zum Paulus, kaufte 1991 die Grube, die heute auch "Pompeji der Päläontologie" genannt wird, und beantragte 1994 bei der Unesco, sie in die "World Heritage List" aufzunehmen. Seit 1995 ist sie nun - neben einigen Dutzend Welt-Kulturdenkmalen - das einzige "Welt-Naturerbe" Deutschlands.

Auf die Besonderheiten der Fundstätte wies bei der Eröffnung der Direktor des Naturkunde-Museums Hans-Peter Schultze hin: Nirgends sonst wurden so viele verschiedenartige und so vollständig erhaltene fossile Tiere und Pflanzen aus dieser erdgeschichtlichen Periode gefunden. Ursprünglich war hier ein kleiner See. Also gab es viele Wassertiere wie Fische und Lurche. Aber auch Landbewohner: Insekten, Vögel, Reptilien und vor allem Säugetiere, für deren gut erhaltene Fossilien Messel berühmt ist. Und Pflanzen, deren Blüten mitsamt den Pollen oft bis ins Detail studiert werden können.

Vorher muss man sie sehr vorsichtig aus dem Messeler Sedimentgestein lösen, das die Bergleute Ölschiefer nennen. Eigentlich ist es ein feingeschichteter dunkler Tonstein, der das bitumenähnliche Kerogen und viel Wasser enthält. Darin eingeschlossen waren zum Beispiel die "Messeler Hessenfledermaus" und sechs andere Fledermausarten, zum Teil noch mit Resten nachtaktiver Fluginsekten im Magen.

Mit langen Fingern stochern

1999 wurde der "Messeler Langfinger" entdeckt - kein Raubgräber, der sich am Weltnatzurerbe vergreifen wollte, sondern Heterohyus, ein langschwänziges Säugetier, das mit den Zähnen die Rinde von den Bäumen riss und dann mit zwei extrem langen Fingern nach Larven stocherte wie unser Specht mit dem Schnabel. Solche Wesen faszinieren uns beim Blick durch das "Fenster zur Urzeit" natürlich besonders.

Für die Wissenschaft aber sind auch die unscheinbaren Funde von großer Bedeutung. Den Algen ist es zu verdanken, dass Tiere und Pflanzen auf dem Grunde des Messeler Sees nicht verwesen konnten. Die massenhaft auf den Seegrund sinkenden abgestorbenen Algen verbrauchten zur eigenen Verwesung allen Sauerstoff. Deshalb war der Seeboden anaerob. Und weil der See so unbewegt war, blieben viele Skelette unversehrt.

Die kleine, aber sehr informative und schön illustrierte Begleitbroschüre (Fünf Mark) geht auch auf die Hypothesen der Paläontologen ein, die in Messel noch vor vielen Rätseln stehen. Warum zum Beispiel fand man so viele Vögel und Fledermäuse? Stürzten sie beim Insektenjagen betäubt ins Wasser, weil vom Faulschlamm des Seegrundes giftige Gase aufstiegen? Und wie sah die Landschaft in der frühen Tertiärzeit dort eigentlich aus? Das Klima jedenfalls war tropisch bis subtropisch, wie die Funde zeigen, etwa Reste von Krokodilen und Palmen. Vor der Kontinentalverschiebung lag der Messeler See ungefähr bei 38 Grad nördlicher Breite, was einer heutigen Position zwischen Südspanien und Sizilien entspricht.

Auf Landbrücken zu Afrika und den amerikanischen Erdteilen deuten die "Exoten" unter den Funden hin, etwa die Kolbenpalmen (Cylanthaceae), aus deren Blättern man sehr viel später die Panamahüte machte, oder der räuberische Laufvogel Aenigmavis. Denn in wärmeren Kontinenten leben heute noch Nachfahren dieser urtümlichen Arten. Bei uns wäre es für sie viel zu kalt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false