zum Hauptinhalt

Gesundheit: Popstar der Wissenschaft

Ein Abenteurer, Forscher und Entdecker: Warum Alexander von Humboldt wieder aktuell ist

Von Bas Kast Er war ein Grenzgänger. Als Alexander von Humboldt am 6. Mai 1859 starb, in seiner Berliner Wohnung an der Oranienburger Straße 67, nur wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag, ging mit ihm auch eine Epoche zu Ende: Die Zeit der Universalgelehrten vom Schlage eines Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 bis 1716) oder Denis Diderot (1713 bis 1784) war endgültig vorbei.

Nie wieder nach Humboldt sollte es einen Forscher geben, dessen Wissen so umfassend war. Er war Geologe, Klimatologe, Ökologe, Vulkanologe, Botaniker, Ozeanograph und Mineraloge. „Zugleich leitete er die Epoche der modernen Naturwissenschaft ein“, meint der Berliner HumboldtExperte Christian Suckow. Mit Humboldt, der Zeit seines Lebens nie die Ganzheit der Natur aus den Augen verlor, begann sie: die allmähliche Zersplitterung der Forschung, die Bildung von Spezialdisziplinen – eine Tendenz, die bis heute nicht aufzuhalten ist. „Humboldt selbst legte für einige dieser Fachrichtungen den Grundstein, zum Beispiel für die Pflanzengeographie und die physische Erdkunde“, sagt Suckow.

Jetzt ist er wieder da. Er wird gefeiert, in Fernsehinterviews, auf Schlosskonzerten. Günther Jauch („Humboldt war Europas erster Kosmonaut“) und zahlreiche weitere Promis legen sich für ihn ins Zeug. Ein Mann aus dem fernen 18. Jahrhundert ist plötzlich in allen Medien und in aller Munde – warum?

Der vordergründige Anlass ist einfach: Hans Magnus Enzensberger gibt in seiner „Anderen Bibliothek“ zwei der wichtigsten Werke Humboldts neu heraus. Es sind die „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas“. Der Skandal: Dieses Buch ist, obwohl Humboldt bereits zu Lebzeiten ein Popstar der Wissenschaft war, nie auf Deutsch erschienen.

Höhepunkt aber ist die Neuausgabe des fast 1000 Seiten umfassenden Hauptwerk Humboldts: der „Kosmos“, das Buch, an dem der Naturforscher die letzten 30 Jahre seines Lebens arbeitete, nicht selten bis tief in die Nacht, so dass die Berliner ihn oft noch bis um drei am erleuchteten Fenster in der Oranienburger Straße sehen konnten.

Vielleicht aber hat die Faszination für den Forscher Humboldt noch einen anderen, tieferen Grund: Er scheint all das zu verkörpert, was uns heute fehlt. Deutschland ist in der Depression, Humboldt war ein Enthusiast. Deutschland wirkt gelähmt – kaum ein Mensch dagegen war so beweglich wie Humboldt. Wir scheuen das Risiko. Humboldt ging mit seinen Reisen in den Amazonas und seinen Ambitionen als Bergsteiger Gefahren ein, die sogar Reinhold Messner beeindrucken: „Sechs Andengipfel, sechs Erstbesteigungen im Gehrock vor fast 200 Jahren – ein beneidenswerter Vorgänger, ein bewundernswertes Vorbild!“

Mag sein, dass in diesem neu ausgebrochenen Humboldt-Hype auch eine Portion Idealismus und Romantik steckt. Tatsache jedoch ist, dass schon Zeitgenossen den vielseitigen Mann bewunderten – und, wie Napoleon, beneideten. „Sie können in einer Woche nicht so viel aus Büchern lernen, wie er ihnen in einer Stunde erklärt“, schwärmte Goethe gegenüber seinem Herzog. „Er war der größte reisende Wissenschaftler, der jemals gelebt hat“, empfand Charles Darwin später. „Ich habe ihn immer bewundert; jetzt bete ich ihn an.“

Wer war dieser Mann, den der „Spiegel“ diese Woche auf die Titelseite hebt und auf 15 Seiten als „Vorzeige-Deutschen“ und „strahlendsten und mutigsten und sanftesten Helden, den Deutschland je hervorgebracht hat“ feiert?

Er ist ein Adliger, geboren 1769, der seine Kindheit im Schloss Tegel verbringt, von außen gesehen geradezu ein Paradies, mit einem See, Park, Wiesen, Gras, Wäldern. Dem kleinen Alexander gefällt es trotzdem nicht, „Schloss Langweil“ nennt er sein Heim – und träumt von der Welt da draußen.

Es soll noch eine Weile dauern, bis er seinen Traum verwirklichen kann. Zunächst studiert er, da es in Berlin noch keine Uni gibt, in Frankfurt an der Oder und Göttingen.

In dieser Zeit fängt er seine ersten kleineren Reisen an, nach Brüssel, ans Meer, nach England. Im Sommer 1790 trifft er in Paris ein – es sind Tage, die er später als die eindrucksvollsten seines Lebens beschreiben wird.

1791 nimmt Humboldt ein Studium an der Bergakademie im sächsischen Freiberg auf. Nun hat er erstmals die Gelegenheit, seine humanistische Ader unter Beweis zu stellen: Ihm gefallen die Umstände, unter denen die Bergarbeiter schuften müssen, nicht. Prompt erfindet er eine Atemmaschine, einen Vorläufer der Gasmaske, sowie eine Lampe, die auch in sauerstoffarmer Luft brennt.

Ende 1796 stirbt Humboldts Mutter. Sein Erbe ist üppig, allein die Zinsen betragen 3476 Taler jährlich. Humboldt zögert nicht lange. Er ist 27 Jahre alt, quittiert seinen Job beim preußischen Staatsdienst – und stürzt sich ins Abenteuer.

Nun schlägt seine Stunde. Endlich kann er hinaus. Er begibt sich auf Reisen. Und seine größte Reise ist die nach Südamerika. „Eigentlich hat er ja nichts entdeckt, zumindest kein Land“, sagt der Humboldt-Experte Christian Suckow. „Aber er hat die von ihm bereisten Länder als einer der Ersten gründlich erforscht.“ Die spanischen Eroberer hatten sich weder Land noch die Leute angeschaut, sie hatten sie unterworfen. Blind. Humboldt war der Erste, der sich für die Menschen und die Natur, das Klima und die Flora südamerikanischer Länder interessierte.

Die Beobachtungen auf diesen Reisen sollten zur Grundlage für seinen „Kosmos“ werden. 3600 Arten bestimmte Humboldt. Er entdeckte Isothermen, Linien gleicher Temperatur – in der Meteorologie noch heute ein Begriff.

Und doch sind es nicht diese und zahlreiche weitere Entdeckungen, die Humboldt ausmachen. Es ist seine Haltung. Seine Offenheit. Sein Humanismus. Sein ganzheitlicher Blick. Humboldt kümmert sich nicht nur um die einzelnen Phänomene, sondern auch um ihre Wechselwirkungen: Wie reagiert der Pflanzenwuchs auf das Klima? Was passiert, wenn der Mensch eingreift und die Umwelt verändert? So wurde Humboldt zum ersten Ökologen.

Zurück in Berlin, einer Stadt, die er als Jugendlicher gehasst hatte, die ihm aber später, nachdem sein Bruder Wilhelm dort die erste Universität gegründet hatte, etwas besser gefiel, erwies sich Humboldt als einer, der die Wissenschaft unters Volk zu bringen verstand. Elitäres Getue war ihm verhasst. Eine Professur lehnte er ab, aber Vorlesungen über das, was er wusste und am eigenen Leib erfahren hatte, die gab er gern.

Im Saal der Singakademie reichten die 800 Plätze nicht. Alle wollten ihn sehen: Lehrer, Bäckermeister, Droschkenkutscher, Maurer. Kein Wunder, denn Humboldt präsentierte sein Wissen nicht, wie es sein Kollege Hegel tat – staubtrocken, rein theoretisch. Er machte Wissenschaft zum Erlebnis, und die Menschen wussten es zu schätzen.

Über den Philosophen Hegel übrigens hat Humboldt einen Satz gesagt, der sein eigenes Leben, seine Haltung, die Humboldt-Haltung, die jetzt wieder gefeiert wird, nicht besser auf den Punkt bringen könnte: „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nie angeschaut haben.“

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false