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Gesundheit: Positionen: Das geschönte Bild der Achtundsechziger

Die zum Teil revolutionsartigen Geschehnisse Ende der sechziger Jahre werden in der aktuellen Debatte um die Beteiligung von Politikern wie Fischer und Trittin oft verklärt. Es fehlt die zeitliche Differenzierung zu den nicht selten gewalttätigen und kriminellen Handlungen der siebziger.

Die zum Teil revolutionsartigen Geschehnisse Ende der sechziger Jahre werden in der aktuellen Debatte um die Beteiligung von Politikern wie Fischer und Trittin oft verklärt. Es fehlt die zeitliche Differenzierung zu den nicht selten gewalttätigen und kriminellen Handlungen der siebziger. Einseitig dargestellt wird die Studentenrevolte als wesentlicher Motor für die gesellschaftliche Entwicklung, nicht zuletzt an den Hochschulen. Die Wirklichkeit war deutlich anders. Die sich in den sechziger Jahren formierende außerparlamentarische Opposition (APO), im Grunde eine antiparlamentarische Bewegung, besaß ihre maßgebliche Kraft im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), von dem sich die SPD bereits 1961 getrennt hatte. Bekannt geworden war er durch seine antiamerikanischen Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam. Er strebte nach einer Revolutionierung der bestehenden Gesellschaft.

Auf dem Höhepunkt ihrer Wirksamkeit - 1967/68 - griff diese Bewegung über die Hochschulen hinaus auf Staat und Gesellschaft über, zog sich allerdings schon kurz darauf wieder in die Universitäten zurück, nachdem die Offensive gescheitert war. Nunmehr ging dort ein Vorgang weiter, mit dem man versuchte, die Universitäten zu Ausgangsstätten für die erstrebte Revolution "umzufunktionieren". Die Universität erschien dafür als das schwächste Glied unter den staatlichen Einrichtungen, die es aufzubrechen galt. Ihre wissenschaftlich notwendige Liberalität diente als Einbruchstelle für diejenigen, die vordergründig für die Beseitigung bestimmter Missstände an den Universitäten eintraten, eigentlich aber damit begannen, das "System" in einem seiner zentralen Bereiche zu treffen. Leicht kam es zu Solidarisierungen mit einer großen Zahl von Studierenden, die mit der Überfüllung der Hochschulen ihre nachvollziehbaren Schwierigkeiten hatten.

Die Situation steigerte sich zu Meinungsterror und Bedrohung wissenschaftlicher Freiheit. Vorlesungsstörungen, die Androhung und auch die Anwendung von Gewalt gegen Sachen und Personen waren keine Einzelerscheinungen. Berichte über "Demos" und Straßenschlachten als Folge der heftigen politischen Diskussionen führten den Bundesbürgern die revolutionären Umstände per Fernsehen dokumentarisch vor Augen. Dies hatte zur Folge, dass das Ansehen der Studenten, und damit auch der Hochschulen, in der Öffentlichkeit litt. Veränderte Lebensgewohnheiten (Wohngemeinschaften, Rücksichtslosigkeit gegenüber Vertragspartnern wie zum Beispiel Vermietern, demonstrative Geringschätzung konventioneller Formen, Vernachlässigung von Äußerlichkeiten wie Kleidung und Frisur) kamen hinzu und machten den "linken" Studenten für weite Bevölkerungskreise zu einem Bürgerschreck. Die enorme Belastung, der sich vor allem die Universitäten schwerpunktmäßig in den siebziger Jahren ausgesetzt sahen, wird verharmlost, wenn man Verständnis für diejenigen aufbringt, die Gewalt angewendet oder toleriert haben. Wer sich an Begebenheiten in Bremen, Marburg, Heidelberg, Berlin, aber auch an anderen Orten erinnert, wird nicht nachvollziehen können, dass bestimmte Auftritte bekannter Personen heute als Kavaliersdelikt eingeordnet werden. Handlungsweisen und die oft lauthals verkündete Gesinnung waren eindeutig kriminell. Wenn sie damals nicht in allen Fällen geahndet wurden, spielte dabei zum Teil Furcht vor weiteren Übergriffen eine Rolle. Aber auch klammheimliche Freude von Kollegen über anderen zugefügte Unbill kam vor und behinderte energisches Vorgehen.

Ein großes Problem stellte das Sympathisantentum mit dem Terrorismus dar. Darunter verstand man das vornehmlich aus Intellektuellen bestehende Umfeld vielfach von den Hochschulen kommender Terroristen. Die Grundsätze zur Beschäftigung von verfassungsfeindlichen Personen im öffentlichen Dienst, niedergelegt im so genannten Extremisten-Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern aus dem Jahre 1972, trafen linke wie rechte Extremisten in gleicher Weise. Aktuell wurde die Frage damals jedoch nur in Bezug auf links, und zwar vor allem wegen der von der APO und ihren Nachfolgern -,insbesondere den K-Gruppen - verfolgten Strategie des Marsches durch die Institutionen.

Wenn heute der Eindruck erweckt wird, die 68-Bewegung hätte eine positiv zu bewertende Reform an den Universitäten in Gang gesetzt, dann bedarf das in zweierlei Hinsicht der Korrektur. Erstens: Es ist falsch, wenn behauptet wird, erst der Studentenprotest habe auf die Mängel des deutschen Hochschulsystems aufmerksam gemacht und damit die Reformpolitik eingeleitet. Tatsächlich sind zum Beispiel die Arbeiten des 1957 von Bund und Ländern für die Hochschulen eingerichteten Wissenschaftsrats mit den Empfehlungen zur Reform der Hochschulen fünf bis zehn Jahre älter als der Höhepunkt des Studentenprotestes im Jahre 1968. Die längst fällige Reform war allerdings so überfällig geworden, dass sie in Revolution ausartete. Zweitens: Besonders stolz kann man auf die "Errungenschaften" der 68-er für die Hochschulen kaum sein. Sonst würde man heute - mehr als dreißig Jahre später - wohl nicht immer noch und immer wieder über die dringend erforderliche Reform - im Grunde: eine Reform der Reform - reden, und zwar mit Beteiligung früherer 68-er.

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