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Gesundheit: Potsdamer Zauberkohle

Energie aus der Biotonne: Wie Forscher aus Laub und Ökoabfall wertvolle Rohstoffe gewinnen

Es klingt wie ein Märchen: Vor den Toren Berlins haben Wissenschaftler auf dem Dach eines Hochhauses ein neues Verfahren entwickelt, bei dem auf wundersam einfache Weise Bio-Müll zu wertvollem Rohstoff umgesetzt werden soll. Bei dem Prozess soll auch nutzbare Energie gewonnen werden. Statt in einer Gartenecke zu verrotten, kann die Biomasse über Nacht in einem Dampfkessel zu Kohle werden.

„Am liebsten gebrauchen wir Biomasse, die nicht mehr weiter – etwa zum Füttern von Tieren – verwendet werden kann“, sagt Markus Antonietti, Direktor am Max-Plank-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam. Die Forscher arbeiten so mit purem Abfall, mit feuchtem Laub, Stroh, nassem Holz.

Sie ahmen mit ihrer Erfindung einen Prozess nach, den die Natur seit Jahrmillionen vormacht: die Umwandlung abgestorbenen biologischen Materials, wie Pflanzen oder Kleintiere, in Kohle, Erdgas und Erdöl. Die absinkende Biomasse bildet auf Meeres- und Seeböden Lagen von organischem Material. Dadurch wird auf darunter liegende Schichten ein hoher Druck ausgeübt, so dass sich schließlich fossiler Brennstoff formt.

Bisher ist man der Frage, welche chemischen Prozesse die Bildung dieser fossilen Brennstoffe fördern, nicht detailliert nachgegangen. Die Wissenschaftler um den 46-jährigen Chemiker Antonietti haben dies nun erforscht – und nebenbei einen Prozess entdeckt, der pflanzlichen Abfall wie Holz oder Stroh in Kohle umwandelt.

Die Entwicklung von Prozessen, bei denen pflanzliches Material zur Energiegewinnung verwertet wird, ist nicht neu. Doch musste bisher die verwendete Biomasse aufwendig getrocknet werden. Ein weiteres Problem herkömmlicher Technologien: Es wird Kohlendioxid frei, ein Gas, das hauptsächlich verantwortlich ist für den Treibhauseffekt. Das treibt die Erderwärmung voran. Dasselbe ist bei der Herstellung von Biogas durch Bakterien aus organischem Material der Fall. Außerdem verbrauchen die Mikroorganismen bei der Umsetzung einen Teil der pflanzlichen Energie.

Pflanzliches Material enthält Kohlenhydrate, beispielsweise Zucker. Diese Verbindungen sind aus Kohlenstoffatomen aufgebaut, an die Wasserstoff- und Sauerstoffatome gebunden sind. Wird in einem chemischen Prozess der Zucker in Kohlenstoff und Wasser zerlegt, entsteht Kohle und Wärme wird frei. Die Kohlenhydrate zersetzen sich erst ab einer Temperatur von 180 Grad Celsius. Wird diese Temperatur überschritten, findet eine „exotherme Reaktion“ statt. Das heißt, dass Wärme freigesetzt wird, die sich zur Stromerzeugung nutzen lässt.

Die Potsdamer Forscher nennen das von ihnen entwickelte Verfahren „hydrothermale Karbonisierung“, aber, so Antonietti, „man könnte den Prozess auch kontrollierte Versumpfung nennen“. Bei einer natürlichen Versumpfung wird ebenfalls pflanzliches Material zersetzt.

Bei dem Verfahren wird pflanzliche Masse mit Wasser unter Ausschluss von Luft in einem Druckbehälter erhitzt. Um die „Dehydratisierung“, also die Abspaltung von Wasser, zu beschleunigen, wird ein Katalysator zu der Mischung gegeben. Besonders geeignet sind Katalysatoren wie Zitronensäure oder Eisenoxid.

Die Kombination von Katalysator, erhöhtem Druck und Temperatur beschleunigt die Bildung von poröser Kohle und – als einzigem Nebenprodukt – Wasser. Was in den Tiefen der Erde mehrere Millionen Jahre benötigt hat, dauert in Antoniettis Kessel weniger als einen Tag.

Nach etwa zwölf Stunden hat sich eine schwarze Brühe geformt. Analysen haben gezeigt, dass es sich dabei um kleine kugelförmige Kohleteilchen in Wasser handelt. Da der Prozess ohne Mikroorganismen auskommt, wird kein Kohlendioxidgas bei der Umsetzung frei. Der ganze in dem ursprünglichen Material enthaltene Kohlenstoff ist somit in der gebildeten Kohle gebunden.

Dass bei dem Prozess tatsächlich viel Energie frei werden kann, zeigte sich, als eine Reaktionskammer im Labor explodierte. Der Behälter hielt dem Druck von acht Bar nicht stand, den der bei der Reaktion entstandene Wasserdampf hervorrief. „Außer einem Blechschaden ist nichts passiert“, erzählt Antonietti. Trotzdem wanderte nach der Explosion der Druckbehälter, in dem die Experimente ausgeführt werden, in ein Holzhäuschen, das auf dem Dach des Max-Planck-Institutes aufgestellt wurde.

Aus dem Kohle-Wasser-Gemisch kann nach Angaben Antoniettis sogar Kraftstoff gewonnen werden. Denn beim weiteren Erhitzen des Gemischs entsteht Synthesegas, das aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff besteht. Aus Synthesegas kann schließlich über bewährte Verfahren Benzin hergestellt werden.

Die Ausbeute ist beträchtlich: „Aus 1000 Kilogramm trockener Biomasse können wir etwa 160 Kilogramm Sprit herstellen“, schätzt Antonietti. Wie viel Biomasse weltweit vorhanden ist und auf diese Weise genutzt werden könnte, ist nur schwer zu schätzen. In einer Studie des World Energy Council wird Biomasse die „potenziell größte Energiequelle der Welt“ genannt. Gleichzeitig wird auch darauf hingewiesen, dass die Nutzung optimiert werden müsse.

Das Potsdamer Gemisch aus poröser Kohle und Wasser kann auch zum Betrieb einer neuen Art von Brennstoffzellen genutzt werden. Herkömmliche Brennstoffzellen nutzen Gase wie Wasserstoff oder Flüssigkeiten wie Methanol. Brennstoffzellen erzeugen elektrischen Strom ohne den Umweg über Wärme. Die in der Kohle enthaltene Energie kann somit maximal ausgebeutet werden. Prototypen dieser Brennstoffzellen gibt es etwa an der Universität Harvard.

Welche der Anwendungen sich schließlich durchsetzen wird, ist noch unklar. Andrea Kruse vom Forschungszentrum Karlsruhe forscht ebenfalls an der Verwertung von Biomasse. Sie erwartet, dass die gewonnene Kohle eher zur Vergasung und Verflüssigung gebraucht werden wird, als zur direkten Energiegewinnung mit Hilfe von Brennstoffzellen, denn „Feststoffe sind schwieriger zu handhaben als Gase oder Flüssigkeiten“.

Maxie Eckert

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