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Gesundheit: Präsent gegen Paarung

Auch Tiere beschenken sich – von den Spinnen bis hin zu den Affen. Fast immer geht es dabei um Sex

Schenken erscheint uns als etwas zutiefst Menschliches. Stimmt aber nicht ganz. Im Tierreich sind Geschenke zwar eine Seltenheit. Doch von den Spinnen bis hin zu den Affen gilt: Auch Tiere beschenken sich. Dabei geht es fast immer um Sex.

Da wäre zum Beispiel die Raubspinne Pisaura mirabilis. Will das Männchen etwas vom Weibchen, fängt er sich eine Fliege, saugt sie jedoch nicht aus, wie es ansonsten Spinnenmanier ist, sondern spinnt die Beute als seidiges Präsent ein. Anschließend trägt der Spinnen-Mann die Fliege als Geschenk zum Weibchen. Statt ins leicht mit Beute zu verwechselnde Männchen, schlägt das Pisaura- Weibchen ihre Klauen daraufhin in die Fliege und beginnt sie auszusaugen. Die Ablenkung nutzend kopuliert er mit ihr. An der Leckerei schmatzend, lässt Pisaura die Liebe über sich ergehen, ohne den Gemahl zum Mahl zu machen. Sein Geschenk schaltet kurzerhand den räuberischen Instinkt der Spinnen-Dame aus.

Dass Beute als Geschenk beim Sex eingesetzt wird, kommt im Tierreich häufig vor. Auch bei Gottesanbeterinnen herrscht diese Art von häufigem Hochzeitskannibalismus, der sich der Pisaura- Mann mittels Präsent-Präsentation entzieht.

Einige Tiere setzen regelrechte Care- Pakete ein. Bei vielen Gliedertieren – Krebsen, Spinnen und Insekten etwa –, aber auch bei Weichtieren wie Schnecken und Tintenfischen werden Geschenke nicht vorm Sex dargeboten, sondern der Samen gleichsam zum Paket verpackt und beim Liebesakt als so genannte Spermatophore übertragen. Solche Spermien-Container sind Massenware vieler Insekten – von Walzenspinnen bis zur Stielaugenfliege.

Bei der Gespenstkrabbe Inachus phalangium, die im westlichen Mittelmeer lebt, greifen die Weibchen zwecks Versorgung der Eier offenbar regelmäßig auf derartige Geschenke zurück. Möglich wird das, weil sie gleich mehrfach mit verschiedenen Männchen kopulieren und deren Sperma-Pakete dann fein säuberlich übereinander gestapelt im „Receptaculum seminis“, einem den Geschlechtsgängen benachbarten Speicherorgan, einlagern. Während sie sich zur Befruchtung der Eier stets nur beim zuletzt deponierten – und damit den Eiern am nächsten gelegenen – Spermapaket bedienen, werden die übrigen zuvor von den Freiern zugestellten Präsentpakete resorbiert und die eiweißreiche Substanz – reichlich zweckentfremdet – zum Aufbau der zu befruchtenden Eier verwendet.

Wir kennen das: Was der Beschenkte mit der Gabe anstellt, geht den Geber nichts mehr an. Im Fall der Gespenstkrabbe dürften allerdings die Männchen selbst dazu beigetragen haben. Jeder Krabben- Mann versiegelt bei der Kopulation das Receptaculum des Weibchens mit einer Art Sperma-Gel, bevor er selbst sein Samenpaket dazu tut. Daher werden diese regelrecht im weiblichen Geschlechtsgang „eingemauert“, so dass sie sich zum Zeitpunkt der Befruchtung ihrer Eier nur beim letzten Spermapaket bedienen kann – und die anderen als eben jene Care-Pakete der Nachwuchsförderung des Siegers dieser Art von Spermakonkurrenz dienen. Bei Gespenstkrabben gilt mithin: Wer zuletzt kommt, wird Vater der Brut. Für die frühen Freier war der Sex vergebens, nicht freilich die Übergabe ihres Samenpräsents.

Uns Menschen eher vertraute Geschenk-Rituale kommen dagegen bei Wirbeltieren vor, doch stehen sie dort ebenfalls im sexuellen Kontext. Beim afrikanischen Zwergschimpansen – auch Bonobo genannt und als die „zärtlichsten“ unter allen Menschenaffen bekannt – erhalten kleine Geschenke nicht nur die Freundschaft; ein Präsent zur rechten Zeit sichert auch zusätzliche Paarungen, und umgekehrt.

So haben Verhaltensforscher wie der aus den Niederlanden stammende Frans de Waal mehrfach beobachtet, dass Weibchen begehrte Nahrung von Männchen erhielten, die sich mit ihnen einlassen durften. Einmal fotografierte de Waal eine junge Bonobo-Frau, die „grinsend und quieckend mit einem Partner kopulierte, der in jeder Hand eine Orange hielt“. Als sie den Schauplatz des Geschehens verließ, hatte sie eine der beiden Früchte ergattert.

Wir Menschen gehen für gewöhlich zwar etwas subtiler vor, aber es gibt da durchaus Parellelen zu unseren haarigen Vettern. So vermuten Verhaltensforscher, dass unsere Ahninnen mit größerer sexueller Attraktivität erfolgreicher waren, sich von den jagenden Männern das (heute noch unter Schimpansen) heiß begehrte Fleisch zu erbetteln – und so vererbte sich diese Prädisposition für „Präsent gegen Paarung“ vielleicht auch beim Menschen.

Die New Yorker Anthropologin Helen Fisher etwa hat diese Vorstellung vom Geben und Nehmen im sexuellen Kontext in ihrem Buch „The Sex Contract“ 1983 populär gemacht. Und offenbar nicht nur in der sozialen Organisation der Bonobogesellschaft sind Sex und Geschenke ein magisches Mittel, das Teilen zu fördern, Gefallen zu erhandeln, die Wogen zu glätten und sich nach einem Streit wieder zu versöhnen. Geschenke könnten auf ritualisiertem Wege über die Nahrungsversorgung und partnerschaftliche Fütterung, insbesondere im Zusammenhang mit der Aufzucht von Nachwuchs, eine wichtige Rolle bereits bei unseren Menschenahnen eingenommen haben.

Soviel immerhin ist sicher: Im Fall der Bonobos erzeugt Sex genug Toleranz bei den Männern, um es den Frauen zu erlauben, ihnen Futter aus den Händen zu nehmen. Hier ist Sex die Währung zur Gewährung kulinarischer Vorteile des Weibchens, während bei Pisaura – der Spinne mit dem Fliegentrick – das Präsent zur Wahrung des Lebens des Männchens eingesetzt wird.

Übrigens kommt es bei Pisaura gelegentlich zum Betrug, etwa wenn der Spinnen-Mann eine Fliege offeriert, die bereits ausgesogen ist. Ganz selten einmal nimmt der Freier die Fliege gleichsam nach vollendetem „Fest-Akt“ sogar wieder mit. Doch was uns als gerechte Strafe und Düpierung jener Damen dünkt, die Liebe materialisieren, hat nichts mit höherer Moral zu tun, sondern schlicht mit Eigennutz des Männchen.

Marx war überzeugt, das die Darwinsche Evolution zu tiefst materialistisch ist. Angesichts des Schenkens und Beschenktwerdens muss man ihm Recht geben – zumindest im Tierreich.

Matthias Glaubrecht

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