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PROF. TSOKOS ermittelt: Am Strand lag die Lunge

Aus dem Alltag eines Rechtsmediziners

Vor kurzem ging eine tragische Meldung durch die Presse. In Malaysien fanden Eltern die Leiche ihres vier Tage alten Babys blutüberströmt vor ihrem Haus. Sie hatten das schlafende Kind kurz unbeaufsichtigt im Wohnzimmer gelassen. Wie die polizeilichen Untersuchungen und die Ergebnisse der Obduktion ergaben, wurde das Kind von einem Makaken-Affen entführt, der durch ein offenes Fenster in das Wohnzimmer gelangt war. Er brachte das Neugeborene auf das Dach des Hauses, verletzte es durch Bisse in Gesicht und Hals schwer und ließ es in die Tiefe fallen. Ähnliche Vorfälle gibt es in südostasiatischen Ländern immer wieder.

Tödliche Attacken durch frei lebende Wildtiere sind in Berlin dagegen extrem selten. Zuletzt obduzierten wir im Oktober 2008 einen Mann, der bei einer Treibjagd von einem Wildschwein getötet wurde – es hatte ihm seine Hauer in den Oberschenkel gerammt, der Mann verblutete innerhalb kurzer Zeit. Auch nur sehr selten müssen wir Verstorbene untersuchen, die von Tieren im Zoo getötet wurden. Vor drei Jahren untersuchten wir eine Tierpflegerin, die im Tierpark Friedrichsfelde von einem Moschusochsen zu Tode getrampelte wurde.

Der aktuelle Fall aus Malaysien zeigt, mit welch unterschiedlichen Todesursachen Kollegen in anderen Ländern konfrontiert werden. So untersuchen Schweizer Rechtsmediziner regelmäßig Skifahrer und Bergwanderer, die bei Lawinenabgängen getötet wurden. Außerdem obduzieren sie gelegentlich Opfer von Paragliding-Unglücken in den Bergen. In Zusammenarbeit mit technischen Sachverständigen erhalten sie Hinweise auf technisches oder menschliches Versagen. Für die israelischen Kollegen gehören Tote nach Selbstmordattentaten zur Routine: Sie rekonstruieren den Anschlag und klären, wer Attentäter und wer Opfer war. Mit solchen Fallkonstellationen werden wir es in Berlin hoffentlich nie zu tun haben.

Aber es geht auch exotischer zu in der Rechtsmedizin. In Australien landen zum Beispiel gelegentlich menschliche Lungenflügel auf dem Obduktionstisch, die an Stränden angespült wurden. Sie sind Hinweis darauf, dass der Betreffende, dem sie zu Lebzeiten gehörten, Opfer einer Haiattacke geworden ist: Die Lunge ist mit Luft gefüllt und schießt – nachdem sie sich aus ihrer Befestigung im Körper gelöst hat – aufgrund ihres Auftriebs an die Wasseroberfläche. Das an ihr nachgewiesene DNA-Profil wird mit dem von vermissten Wassersportlern abgeglichen. Das führt fast immer zu einer raschen Identifizierung der Toten. Dafür haben die Kollegen dort nie mit Erfrorenen zu tun. Dass Menschen an Unterkühlung sterben, ist bekannt – wie man die Diagnose „Kältetod“ stellt, das finden Studierende in australischen Lehrbüchern für Rechtsmedizin jedoch nicht. An Stränden angespülte Lungenflügel werden dagegen wohl nie zum Repertoire der Berliner Rechtsmedizin gehören.

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Michael Tsokos

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