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PROF. TSOKOS ermittelt: Die Leichen lagen im Ölfass

Von Michael Tsokos

Diesen Kriminalfall hätten sich Drehbuchschreiber nicht besser ausdenken können. Im Sommer 2007 verschwinden zwei hochrangige kasachische Bankmanager spurlos. Vier Jahre später werden zwei Leichen auf dem Grundstück des früheren kasachischen Botschafters in Österreich gefunden – bei dem Mann handelt es sich um den Ex-Schwiegersohn des amtierenden kasachischen Präsidenten. Was hat der Diplomat mit dem Verschwinden der Männer zu tun? Warum waren die Toten auf seinem Grundstück vergraben? Und: Handelt es sich bei den Leichen um die vermissten Manager?

Um Antworten auf alle diese Fragen zu erhalten, haben die kasachischen Ermittler Unterstützung bei der Berliner Rechtsmedizin angefordert. Im Mai bin ich deshalb nach Almaty gefahren, um die Toten zu obduzieren und ihre Identität zu klären. Das war nicht einfach, denn sie hatten zuvor über längere Zeit in mit Kalk gefüllten Ölfässern gelagert. Trotzdem ließen sich an ihren Körpern noch Spuren von Folter und stumpfer äußerer Gewalteinwirkung nachweisen. Wie die toxikologische Untersuchung ergab, waren ihnen Medikamente verabreicht worden – Schmerzmittel, durch die der oder die Täter ihre Opfer womöglich länger foltern konnten. Per Haaranalyse ließ sich zudem feststellen, dass den Männern kurz vor dem Tod diverse Psychopharmaka eingeflößt worden waren, Mittel, die umgangssprachlich als Wahrheitsserum bezeichnet werden. Offenbar wollte man ihnen Informationen entlocken, bevor man sie erdrosselte.

Dass es sich zweifelsfrei um die vermissten Bankmanager handelt, ließ sich per DNA-Analyse nachweisen: Das genetische Profil der beiden Männer wurde mit dem von Familienangehörigen abgeglichen. Seitdem die Ergebnisse vorliegen, bemühen sich die kasachischen Behörden intensiv um die Auslieferung des tatverdächtigen Diplomaten. Wo er sich zurzeit aufhält, ist unklar. Nach dem Ende seiner Botschaftertätigkeit soll er zunächst weiter in Österreich gelebt haben, später auf Malta untergetaucht sein.

Dass Ermittlungsbehörden aus anderen Ländern unsere Unterstützung anfordern, ist nicht ungewöhnlich. Im Fall der ermordeten Bankmanager ist es sogar plausibel: Zum einen genießt die Berliner Rechtsmedizin einen guten Ruf, mit unseren Untersuchungsmethoden und -möglichkeiten liegen wir im internationalen Vergleich sehr weit vorne; zum anderen sind unsere Untersuchungsergebnisse objektiv – deutsche Ermittler waren mit dem Fall zuvor nicht befasst. Darüber hinaus ist die Bildung internationaler Helferteams seit geraumer Zeit eine Domäne der Rechtsmedizin: Wann immer es Kollegen im Ausland an tatkräftiger Unterstützung mangelt, kommen Rechtsmediziner zum Einsatz. So zum Beispiel beim Tsunami in Indonesien und Thailand, bei den Abstürzen der Concorde in Frankreich und der Air-France-Maschine über dem Atlantik sowie beim Brand im Mont-Blanc-Tunnel.

Michael Tsokos

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