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PROF. TSOKOS ermittelt: Kein Smoking am Tatort

Aus dem Alltag eines Rechtsmediziners

Ende November jährte sich ein besonderes Jubiläum: Der „Tatort“ wurde 40 Jahre alt. In der Serie sind im Laufe der Zeit zunehmend Rechtsmediziner in Erscheinung getreten: Dr. Joseph Roth, gespielt von Joe Bausch im Kölner Tatort, und Prof. Karl-Friedrich Boerne, dargestellt von Jan Josef Liefers im Münsteraner Tatort. Beide Charaktere gelten als etwas kauzig und verschroben. Sind Rechtsmediziner wirklich so?

Im Gegensatz zu unseren TV-Pendants sind wir nicht grundsätzlich schlecht gelaunt, wenn die Staatsanwaltschaft oder Polizei mit einem Untersuchungsauftrag an uns herantritt. In Berlin müssten wir bei der Fülle an Arbeit dann wohl dauernd schlecht gelaunt sein. Fragen der Ermittler zu Todesursache oder Todeszeitpunkt quittieren wir nicht, wie der „Kollege“ Boerne, mit lateinischen Fachbegriffen, um unsere humanistische Bildung zu betonen. Wir benötigen auch nicht mehrere Tage, um der Polizei erste vage Angaben zu den möglichen Todesumständen machen zu können. Solche Fragen beantworten wir direkt während der Leichenöffnung. Bei mutmaßlichen Tötungsdelikten erfolgt sie innerhalb weniger Stunden nach Auffindung des Opfers.

In der Vergangenheit kam es schon mal vor, dass Professor Boerne im Smoking zum Leichenfundort kam. In der Realität wäre das undenkbar. Wir tragen am Tatort Schutzanzüge, Mundschutz, Überschuhe und Handschuhe. Dadurch wird verhindert, dass wir DNA- oder Faserspuren hinterlassen. Wir vernehmen auch keine Zeugen oder Verdächtigen. Bei unserem TV-Kollegen aus Münster ist das anders. Der verschafft sich nach Feierabend gerne mal Zugang zur Wohnung des Hauptverdächtigen, und bemächtigt sich dort erdrückenden Beweismaterials. Beides wäre illegal.

Vielleicht kommt die Verzerrung daher, weil Rechtsmediziner gelegentlich als „Ermittler in Weiß“ bezeichnet werden. Unsere Tätigkeit beschränkt sich jedoch auf das Zusammentragen naturwissenschaftlicher Fakten im Sektionssaal und Labor. Eine auf die Minute genaue Bestimmung des Todeszeitpunkts ist uns – anders als dem Kollegen im Kölner Tatort – nicht möglich. Das hängt mit der Komplexität biologischer Vorgänge zusammen. Für die Kreativität der Drehbuchautoren haben wir Rechtsmediziner trotzdem Verständnis. Eine realitätsnahe Darstellung würde die „Tatort“-Zuschauer wohl eher langweilen als fesseln. Unsere tägliche Arbeit bietet keine filmreife Action. Und dennoch hat die Popularität unserer TV-Kollegen der Rechtsmedizin im wahren Leben bisher mehr genützt als geschadet: Unsere Profession ist offensichtlich salonfähig geworden.

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Michael Tsokos

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