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PROF. TSOKOS ermittelt: Mit falschem Totenschein

Von Michael Tsokos

Es wäre beinahe das perfekte Verbrechen geworden. Nur das Bestattungsgesetz machte dem Paar einen Strich durch die Rechnung. Es schreibt vor, dass vor der Einäscherung eines Toten ein Rechtsmediziner den Leichnam noch einmal untersucht. So soll sichergestellt werden, dass die auf dem Totenschein attestierte Todesart tatsächlich zutrifft und keine Spuren von Gewalt bei der ersten Leichenschau übersehen wurden. Nach der Einäscherung kann man das naturgemäß nicht mehr feststellen. Tote, die durch Erdbestattung beigesetzt werden, können dagegen im Zweifelsfall exhumiert werden.

Unsere Mitarbeiter haben deshalb regelmäßige Termine in den Krematorien der Stadt. In einem Kühlraum stehen die geöffneten Särge mit den Toten und den dazugehörigen Totenscheinen. Meist sind rund 30 Personen auf einmal aufgebahrt. Wir müssen die Leichen äußerlich untersuchen, um Auffälligkeiten festzustellen. Punktförmige Einblutungen in den Augenbindehäuten deuten zum Beispiel darauf hin, dass die Person stranguliert worden sein könnte. Bei Ungereimtheiten sind wir verpflichtet, sofort die Polizei zu informieren.

An jenem Tag war eine Kollegin vor Ort. Auf dem Totenschein eines 36-jährigen Mannes war als Todesursache Leberkrebs und eine natürliche Todesart angegeben. Angeblich hatte der Tumor schon so viele Metastasen gestreut, dass keine ärztlichen Maßnahmen mehr durchgeführt wurden. So stand es auf dem Totenschein. Der Kollegin fielen jedoch Einstichstellen an beiden Armbeugen auf und weckten ihren rechtsmedizinischen Spürsinn. Sie meldete den Befund der Polizei, die daraufhin eine Obduktion anregte. Wie wir feststellten, hatte der Mann gar keinen Krebs. Seine Leber war gesund. Auch fanden sich an den inneren Organen keine schwerwiegenden Erkrankungen. Die chemisch-toxikologische Untersuchung in unserem Labor ergab, dass dem Mann eine tödliche Überdosis an Morphin gespritzt worden war.

Die Ermittlungen konzentrierten sich auf den Arzt, der den falschen Totenschein ausgestellt hatte. Wie sich herausstellte, hatte er ein Verhältnis mit der Ehefrau des Verstorbenen. Dieser war also keineswegs eines natürlichen Todes gestorben, sondern Opfer eines Tötungsdelikts. Dass das Verbrechen beinahe nicht aufgedeckt worden wäre, hat einen einfachen Grund: In Deutschland darf jeder approbierte Arzt eine Leichenschau durchführen und einen Totenschein ausstellen. Dabei wäre es wünschenswert, dass dies durch eine unabhängige Instanz geschieht. Nur so können nicht-natürliche Todesfälle aufgedeckt werden.

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