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Gesundheit: Psychologische Kriegsführung: Sieg ist eine Glaubensfrage

Vor Verdun bluteten die deutschen und französischen Armeen 1916 im Stellungs- und Festungskrieg aus. Die Kriegsbegeisterung vom August 1914 war schon längst Beklemmungen und Ängsten gewichen.

Vor Verdun bluteten die deutschen und französischen Armeen 1916 im Stellungs- und Festungskrieg aus. Die Kriegsbegeisterung vom August 1914 war schon längst Beklemmungen und Ängsten gewichen. Wenigstens die Stellungen an der Somme sollten in den folgenden Jahren gehalten werden, um Deutschland jene Zerstörungen zu ersparen, die in Frankreich angerichtet worden waren. War das ein Motiv für den erstaunlichen Durchhaltewillen der deutschen Soldaten bis 1918 ?

Im Zweiten Weltkrieg war es 1943 kaum anders. Von den Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg demoralisiert, hatten viele Deutsche den Beginn des Zweiten Weltkriegs mit Bangen und ohne Begeisterung erlebt. Erst durch die Blitzkriege in Polen und Frankreich schlug die Stimmung um. "Solange die Deutschen siegten, war der Sieg selbst die Motivation", sagte Jürgen Förster auf einer Tagung des Militärgeschichtlichen Forschungsamts in Potsdam, bei der die beiden Weltkriege im Vergleich betrachtet wurden. Erste Rückschläge brachten der Frostwinter 1941 vor Moskau und dann Stalingrad. Viele Deutsche begannen, auch vom Bombenkrieg in der Heimat zermürbt, seit 1943 an der Siegeszuversicht zu zweifeln.

In den kritischen Situationen beider Weltkriege versuchten Armeeführer und Politiker das Steuer herumzureißen: durch Psychologie. Der britische Militärhistoriker Hew Strachan von der Universität Glasgow wies darauf hin, dass Hindenburg und Ludendorff im Jahr 1917 ganze Regimenter psychologisch neu zu festigen suchten. Die alte Siegeszuversicht, der Geist vom August 1914, sollte wiederbelebt werden, um danach den kriegsentscheidenden Durchbruch im Westen zu erreichen.

Ähnliche Anstrengungen unternahmen die Nationalsozialisten und die Heeresführung im Zweiten Weltkrieg nach Stalingrad. Als der Glaube an die eigene Unbesiegbarkeit im Schwinden war, versuchten die Nationalsozialisten, Offiziere und Soldaten zu fanatischen Weltanschauungskriegern zu machen. Der Krieg sollte als die Auseinandersetzung zwischen Bolschewismus und Plutokratie und als Notwendigkeit begriffen werden, um der nordischen Rasse den Lebensraum im Osten zu verschaffen. Selbst die Angst, dass nach den Methoden der verbrannten Erde und den Massenexekutionen im Osten den Deutschen die Rache der Sieger drohen könnte, spielte im Endkampf eine Rolle. Der Durchhaltewillen wurde mit Erfolg gestärkt.

Briefe an die Front

Jürgen Förster zog als Resümee seiner Forschungen: "In beiden Weltkriegen wollte die Führung die restlose innere Militarisierung des deutschen Volkes erreichen. Das gelang im Ersten Welkrieg nicht, sondern erst unter Hitler. Hindenburg, Ludendorff und Hitler glaubten an die kriegsentscheidende Wirkung des Wortes." Die Auswertung von Kriegsbriefen verdeutlichte den Erfolg: In der Heimat wurden Ehefrauen und Familien auf Endsieg, Opferbereitschaft und Durchhaltewillen eingestimmt und entsprechende Briefe schrieben viele an die Ehemänner und Söhne an der Front. Nach dem Attentat des 20. Juli zeigte sich, dass sich die Soldaten wieder positiv über Hitler äußerten und die Attentäter des 20. Juli verurteilten.

Hew Strachan stellte die Bedeutung des systematischen Trainings in den modernen Massenheeren heraus. Dabei geht es nicht nur darum, wehrpflichtige Zivilisten mit den modernen Waffen vertraut zu machen. Sie müssen auch geschult werden, im Stress des Gefechts automatisch zu reagieren. Dazu werde die Bereitschaft zum Töten anerzogen. Bereits im Training seien die Zivilisationshemmungen zu überwinden. Zur psychologischen Vorbereitung auf den Krieg gehört es, jeden Soldaten von der Gerechtigkeit und Notwendigkeit des Krieges zu überzeugen. Auch die Abschreckung für Fahnenflüchtige, die geächtet oder exekutiert werden, ist ein verbreitetes Rezept.

Jenseits der psychologischen Kriegsführung ging es um weitere grundsätzliche Fragen. Der amerikanische Historiker David G. Herrmann von der Fordham University in New York sieht in dem begrenzten Elitebegriff der Deutschen den Schlüssel zur Niederlage: Das Primat der Heeresführung im Ersten Weltkrieg sei eine Ursache für Fehleinschätzungen gewesen - das Primat der politischen Führung über die Militärs in dem von Hitler inszenierten Weltanschauungskrieg habe sich als ebenso uneffektiv erwiesen. Dagegen hätten die siegreichen westlichen Demokratien Vertreter auch anderer gesellschaftlicher Gruppen in die Kriegsentscheidungen einbezogen. Aber Herrmanns Ansatz erklärt nicht alles.

Aufschlussreicher scheint die Perspektive des Militärhistorikers Bernhard Kroener von der Uni Potsdam zu sein. Er bemängelte, dass der als überlegen eingeschätzte deutsche Generalstab in beiden Weltkriegen von ähnlichen Fehleinschätzungen ausging: Nur wenn der Weltkrieg als Blitzkrieg geführt werden konnte, war er zu gewinnen. Dietrich Beyrau von der Universität Tübingen brachte es auf den Punkt: In Deutschland hätten die Eliten immer wieder Visionen entwickelt und darüber vergessen, "dass Deutschland ein kleines Land ist und nicht über die nötigen Ressourcen verfügt, um den Griff nach der Weltmacht zu wagen!".

Auch ohne, dass es ausgesprochen wurde, bleibt das moralische Resümee: Es ist ein Segen, dass Deutschland den Zweiten Weltkrieg verloren hat.

Uwe Schlicht

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