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Gesundheit: Rasenmäher zu Pflugscharen

Die Humboldt-Universität zeigt, wie die Berliner Hochschulreform gelingen könnte – wenn die Gremien nicht blockieren

Was ist eine Strukturreform an einer deutschen Hochschule? Wenn ein ganzer Bereich entweder in der Bedeutungslosigkeit verschwindet oder erheblich aufgewertet wird. Genau das passiert mit der Lehrerbildung in Berlin. Die Technische Universität (TU) wird sich künftig auf die Berufsschullehrer konzentrieren. Die Humboldt-Universität (HU) hat dagegen alle Chancen, zu einem Zentrum der Schulforschung in Deutschland zu werden. Denn die Kultusministerkonferenz vertraut der HU die Aufgabe an, für die Formulierung der Bildungsstandards zu sorgen. Gelingt das, kann Deutschland den Pisaschock überwinden.

An der TU jedoch sind die Professoren, die sich der Lehrerbildung widmen, in den Augen vieler Techniker und Naturwissenschaftler immer noch Schmuddelkinder. Seit der Auflösung der Pädagogischen Hochschule im einstigen West-Berlin und der zwangsweisen Integration der Pädagogen in die Universitäten grassiert dieses Vorurteil auch an der Freien Universität und an der Universität der Künste. Eine Universität denkt an ihr Renommee – da ist die Ausbildung von Studienräten etwas Feines. Da man aber mit Grund- und Realschullehrern nichts zu tun haben will, wird hier gern gespart.

Die Humboldt-Universität reagiert ganz anders. Nach der Wiedervereinigung wurde dort der Aufbau der Erziehungswissenschaften mit großem Ehrgeiz betrieben. Nun bekommt sie mit dem An-Institut für die Entwicklung der Bildungsstandards eine bundesweite Sonderstellung. Die Schmuddelkinder erhalten neue Kleider.

So kann eine Strukturreform aussehen. Aber noch stehen viele quälende Diskussionen in den Gremien bevor, ehe im Sommer 2004 das Urteil gefällt wird: Gibt es eine Strukturreform in Berlin oder diktiert beim Sparen der Rasenmäher? Unter dem Druck der Politiker müssen die Universitäten 75 Millionen Euro bis 2009 dauerhaft einsparen. Da erscheint es auf den ersten Blick am gerechtesten, in allen Fächern wenige Professuren zu streichen, statt in ausgewählten Fächern besonders große Opfer zu verlangen. Die Gremien neigen eher zu klein-klein. Nach diesem Prinzip hat die Freie Universität ihr Sparprogramm am schnellsten durch die Gremien gebracht. Die Politiker warten jedoch auf Vorschläge zur Strukturreform, weil es in Berlin sehr viele Doppel- und Dreifachangebote gibt.

Als der Präsident der Technischen Universität, Kurt Kutzler, vorschlug, die Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften als die Kernbereiche einer technischen Universität möglichst zu schonen, war der Konflikt bereits programmiert. Denn dann muss bei der Lehrerbildung am meisten gespart werden. Zweites Opfer sind wegen der Mehrfachangebote in Berlin die Studiengänge in Volks- und Betriebswirtschaft. Nur der in der Stadt einzigartige Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen bleibt erhalten. Außerdem will Kutzler die Chemie in eine neue Verbindung zu den Ingenieuren bringen – das wäre wirklich eine Strukturreform. Aber die Traditionalisten wollen an einer geschlossenen naturwissenschaftlichen Fakultät festhalten. Das ist Gremienmentalität.

Auch an der Humboldt-Uni machen es die Gremien dem Präsidenten schwer. Präsident Jürgen Mlynek wollte die riesige und teure Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät auflösen und eine neue Fakultät für Lebenswissenschaften einrichten, in der die Reste der Landwirtschaft mit der Biologie zusammengeführt werden. Aber der Akademische Senat strich jeden Hinweis auf diese neue Fakultät und sorgte dafür, dass die Landwirte genügend Professuren behalten, um als Fakultät fortbestehen zu können. Dann will HU-Präsident Mlynek im Sommer die Fakultäten neu zuschneiden. Die Fakultäten sollen „bei der strategischen Entwicklung” mehr Gewicht bekommen. Schon heute zeichnet sich ab, dass der Wunsch des Präsidenten, die Position der Dekane an der Spitze der Fakultäten zu stärken, auf wenig Gegenliebe stößt.

Was plant der Präsident noch? Statt zwei mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultäten soll es nur eine geben. Jura und Wirtschaftswissenschaften sollen in einer Fakultät für Staatswissenschaften und etliche Geisteswissenschaften in einer Kulturwissenschaftlichen Fakultät zusammengeführt werden. Im Sommer wird über einen weiteren Strukturvorschlag entschieden. Das Präsidium möchte das Profil der Humboldt-Universität zusätzlich durch eine völlig neue Organisation schärfen: Quer über Fach- und Fakultätsgrenzen hinweg sollen Zentren auf Zeit eingerichtet werden. Sie dienen der Forschung in jenen Grenzbereichen, in denen man auf Neuland vorstoßen kann. Der für die Forschung zuständige Vizepräsident Jürgen Prömel nennt einige Beispiele: In den Lebenswissenschaften sind Zentren geplant, die eine Brücke zur Medizin schlagen; ein Zentrum für Infektionsbiologie und Immunität, ein Zentrum für Pflanzenwissenschaften und ein Zentrum für theoretische Biologie.

Sozialwissenschaftler, Ethnologen und Literaturwissenschaftler könnten sich in einem Zentrum zur Metropolenforschung zusammentun. Paris steht für die kulturelle Rolle einer Metropole, Berlin, London oder New York für multikulturelle Metropolen. Und die Geografen blicken nach Südamerika, wo Sao Paulo ein Beispiel für die Megametropole bietet. In einem Zentrum für Antike würden Historiker, Altertumswissenschaftler und Theologen zusammenarbeiten und eine Brücke zu den Berliner Museen schlagen.

Bis zu zwölf Zentren sind geplant. Aber auch das findet in der Gremienuniversität nicht nur Zustimmung. Denn die Humboldt-Universität hat bereits 17 Graduiertenkollegs für die Doktorandenförderung, sie besitzt Forschergruppen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Sonderforschungsbereiche. Wenn jeder Professor in mehreren Forschungseinrichtungen tätig sei, könne das zu einer bloßen „Vervielfältigung von Mitgliedschaften” führen, wurde im Akademischen Senat kritisiert. Präsident Mlynek sieht diese Gefahr nicht und hofft auf eine bessere Außenwirkung für die designierte Elite-Universität.

Die finanziellen Risiken bleiben erheblich – egal ob die „Rasenmäher” oder die „Strukturreformer” siegen. Mlynek wollte der Humboldt-Universität die Streichung von 90 Professuren zumuten. Dem Akademischen Senat war das zu brutal und er bestand auf der Streichung von nur 73 Professuren. Damit erhöht sich das finanzielle Risiko. Die Zielmarke lautet für die HU: 28,3 Millionen Euro müssen bis zum Jahr 2009 gespart werden. Deswegen muss die HU schon in diesem Jahr mit 4,5 Millionen Euro weniger auskommen.

Alle Fakultäten sollen bis zum heutigen 15. März ihre Strukturplanung vorlegen. Erst danach kann entschieden werden, wie die HU bei der Wiederbesetzung von frei werdenden Wissenschaftlerstellen verfährt. Fächer, die noch einen großen Personalüberhang mit sich herumschleppen, haben es bei der Besetzung freier Stellen schwer.

Resümee: Die Universitäten haben mehr Autonomie verlangt und von der Politik erhalten. Streichen nach dem Prinzip Rasenmäher können die Ministerialbeamten auch. Strukturreformen auf Grund einer Stärken-Schwächen-Analyse – das ist die Herausforderung. Die Universitäten müssen beweisen, dass sie es besser können als die Politiker.

Uwe Schlicht

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